Unser neuer Alltag, der von unseren beiden Kindern dominiert wird, überwältigt mich so sehr – Entschleunigung hin oder her -, dass ich unser Glück noch gar nicht fassen und begreifen kann. Es erscheint mir so unwirklich, dass nun unser Leben als Familie begonnen hat. Wenn Nadeschda morgens in meinem Arm liegt und ihre Milch trinkt, überkommt mich manchmal dieses Gefühl: „Ja, es ist wirklich wahr. Unsere Kinder werden nun bei uns bleiben, und niemand kann sie uns jemals wieder nehmen.“ Meistens fühlt es aber wie ein Traum an, aus dem wir irgendwann wieder aufwachen müssen. Dann wiederum gibt es Momente, in denen sich ein Gefühl breitmacht, als wäre es immer schon so gewesen, als wären Maxim und Nadeschda immer schon bei uns gewesen. Und nur das Adoptionsabenteuer in Russland war ein Traum, aus dem wir jetzt aufgewacht sind. Wie lange diese Gefühle wohl anhalten werden? Wann werden wir zum ersten Mal spüren, dass wir angekommen sind? Wann werden unsere Kinder angekommen sein?
Von Waschmaschinen und Lichtschaltern
Auch nach einer Woche ist für Maxim und Nadeschda alles neu und unglaublich spannend. Selbst die kleinsten Dinge des Alltags, die für Richard und mich so selbstverständlich sind. Wäschewaschen ist eine Sensation für die Kinder. Maxim und Nadeschda sitzen minutenlang vor der laufenden Waschmaschine und beobachten die sich drehende Wäsche. Wenn neues Wasser in die Waschtrommel fließt, entlockt es Nadeschda wahre Begeisterungsausrufe. Maxim hält immer wieder sein Ohr an den Trockner, denn er kann gar nicht glauben, dass sich darin etwas tut und die Wäsche im Anschluss trocken ist. Genauso sind Lichtschalter faszinierend. Maxim muss immer wieder das Licht an und aus machen, immer wieder und immer wieder. An, aus, an, aus, an, aus….
Lebensmittel und Spielzeug
Gestern war Richard kurz alleine Lebensmittel einkaufen, denn noch wollen wir unsere Kinder nicht der Reizüberflutung eines Supermarkts aussetzen. Allein die zwei vollen Einkaufstaschen waren nach Richards Rückkehr wahre Wundertüten. Mit angespannter Hektik packte Maxim alles aus und breitete es auf dem Fussboden aus. Jedes einzelne Teil musste angeschaut, angefasst und beschnuppert werden. Die Fülle schien ihn sichtlich zu überwältigen. Ähnlich verhält er sich bei dem Spielzeug in seinem Zimmer. Er hat schnell seinen Entdeckerdrang gefunden und untersucht jeden Morgen das Spielzeug in seinem Zimmer. Dennoch stellen wir fest, dass er oft nicht weiß, was er mit den Sachen anfangen soll und so das Interesse schnell wieder verliert. Im Grunde ist Spielzeug unwichtig. Heute kamen die Kindersitze, die wir noch in Russland im Hotel bestellt hatten. Das größte für Maxim und Nadeschda war der riesige Pappkarton, in dem Richard sie dann durch die Wohnung zog, oder worin sie sich versteckten. Richtig aufgekratzt waren sie danach und strahlten über beide Ohren.
Spaziergänge am Nachmittag
Auf der anderen Seite ist es faszinierend zu beobachten, wie sich Maxim langsam seine neue Heimat erschließt. Wir machen jeden Nachmittag den gleichen Spaziergang: 500 Meter die Straße runter bis zum Feld, am Feld entlang an den Pferden und Kühen vorbei bis zu den Hühnerställen und wieder zurück. In den ersten Tagen ist Maxim stur auf dem Weg geblieben, ganz nah am Kinderwagen. Am vierten Tag fing er an, bei den Tieren stehen zu bleiben und diese aus sicherer Distanz zu beobachten. Zwei weitere Tage später löste er seine Hand vom Kinderwagen und ging rechts und links des Weges ins Gras, um auch die Pflanzen am Wegesrand zu untersuchen. Heute ist er zum ersten Mal mit dem Dreirad vorneweg gefahren, erst nach 50 Metern blieb er stehen und wartete auf uns.