Auf die emotionale Achterbahnfahrt, auf die mich meine Kinder immer wieder schicken, war ich nicht vorbereitet. Kaum konnten wir mit Blick auf Maxims Risiko einer Epilepsie-Erkrankung durchatmen, setzte bei Nadeschda der Durchfall ein. Wieder Sorgen und Angst, dass sich etwas mit negativer Tragweite für ihre Entwicklung anbahnt, die ohnehin nicht leicht ist, wenn ich mir die täglichen Kämpfe beim Essen vor Augen halte. Doch diesmal gepaart, mit der Naivität und dem Glauben, dass alles gut wird und sich von selbst reguliert. Bisher hatten wir doch eigentlich Glück gehabt, was die gesundheitliche Situation unserer Kinder angeht. Seit einer Woche hatte sich diese Zuversicht verabschiedet und ließ mich allein mit dem dumpfen Gefühl, dass an ihrer Statt eine neue schmerzliche und schwer tragbare Herausforderung auf uns zukommen werde. Diesmal würde sich nicht alles einfach von alleine regulieren. Diesmal könnte es unseren kleinen beschaulichen Alltag, den wir gerade ein Stück weit gefunden hatten, erschüttern und erneut verändern. Jaja, das Leben und vor allem das Leben mit Kindern ist ein ständiger Prozess, genauso wie das Mutter sein. Man wächst mit seinen Herausforderungen. Doch das kann und will ich alles nicht mehr hören und muss mich dieser Gegebenheit doch fügen. Jetzt schwanke ich zwischen Pragmatismus – wir wissen nun, an was Nadeschda erkrankt ist – und großer Angst vor dem, was da auf uns zukommt – Operation und komplette Umstellung unserer Ernährung gepaart mit unendlicher Traurigkeit, wenn ich daran denke, was meine Tochter alles bereits durchmachen musste und was ihr nun noch alles bevorsteht. Ich fühle mich klein und hilflos, und bin dennoch gezwungen, zu funktionieren und die Herausforderung anzunehmen und meinem Kind zu helfen.
Heute waren wir wieder beim Kinderarzt. Richard ist diesmal auch mitgekommen. Die Blutergebnisse von Nadeschda liegen vor. Unumwunden kommt Dr. Müller schnell zur Sache: Nadeschda leidet an Zöliakie. Dabei handelt es sich um eine Autoimmun- Erkrankung im Darm, die allgemein auch als Glutenunverträglichkeit bekannt ist. Streng genommen heilbar ist diese Erkrankung nicht. Stattdessen können lediglich durch eine lebenslange glutenfreie Diät die Symptome dieser Darmerkrankung auskuriert werden. Bei einer genetischen Vorbelastung bricht diese Krankheit bereits bei Kleinkindern in dem Moment aus, wenn eine Umstellung der Ernährung auf feste und getreidehaltige Nahrung erfolgt. Ob es eine genetische Vorbelastung im Falle von Nadeschda gibt, können wir nicht mehr nachvollziehen. Aus den russischen Akten ergibt sich nichts, was darauf hingedeutet hätte. Da wir davon ausgehen, dass sie im Kinderheim noch keine feste Nahrung – außer wohlmöglich Polenta und Buchweizenbrei- zu sich nahm, blieb ihre Krankheit dort unbemerkt. Erst mit der Umstellung auf feste und getreidehaltige Nahrung bei uns in Deutschland, kommt die Krankheit zum Ausbruch. Jetzt wird mir klar, warum sie vor allem nach dem Essen von Nudeln so heftige Bauchschmerzen bekommen hat. Alle Symptome der letzten Wochen deuten darauf hin und letztlich sind alle Laborergebnisse eindeutig. Unser dumpfes Gefühl hat nun ein konkretes Gesicht bekommen.
Wir sind froh, dass Dr. Müller so schnell den richtigen Impuls und uns zu den aufwendigen Labortests gedrängt hatte. Somit können wir zumindest verhindern, dass die Krankheit bei Nadeschda so weit fortschreitet, dass sich Gedeihstörungen manifestieren und dass sie kaum noch eine Chance hat, ihre ohnehin schon vorhandene Entwicklungsverzögerung aufzuholen. So versucht uns Dr. Müller Mut zu machen. Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Um die Diagnose noch einmal zu bestätigen, muss sich Nadeschda zusätzlich einer Biopsie aus dem Darm unterziehen. Wüssten wir, ob es eine genetische Vorbelastung gibt, könnten wir ihr diesen operativen Eingriff ersparen. Wir drängen einerseits auf einen schnellen Termin, da Nadeschda bis zur Biopsie weiter Glutenhaltige Nahrung zu sich nehmen muss, auch wenn es ihr Schmerzen bereitet. Auf der anderen Seite mischt sich in unser pragmatisches Handeln große Angst vor der Operation, so klein dieser Eingriff auch ist. Denn gerade weil wir nichts aus ihrer genetischen Vorgeschichte wissen, ist das Narkoserisiko um so erheblicher. Die Panik, mein Kind zu verlieren, schnürt mir fast den Hals zu.
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