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Wieder einmal hat sich mein Bauchgefühl bestätigt. Ich sollte wirklich darauf hören. Meine Vorahnung, dass Maxim sich im Kindergarten nicht wohl fühlte und es ihm dort schlecht ging, hat sich in dieser Woche bestätigt. Der Bericht, den wir von seinen Erzieherinnen in Vorbereitung auf Maxims Entwicklungsgespräch bekamen, erschütterte Richard und mich bis ins Mark. Auch das Gespräch selbst überzeugte uns nicht davon, dass manche Aussagen bei uns härter angekommen waren, als sie von seinen Erzieherinnen gemeint waren. Dass aktives Sprechen für Maxim im Kindergarten nach wie vor ein Problem war, wussten wir, und verwunderte uns nicht. Nicht umsonst gingen wir mit ihm weiterhin einmal in der Woche zu Frau Schuster in die logopädische Therapie. Allerdings unterstellten die Erzieherinnen unserem Sohn, dass er ebenso weiterhin Schwierigkeiten habe, sie und andere Kinder zu verstehen. Handlungsaufforderungen mussten ihm gegenüber in zwei- oder drei Wortsätzen formuliert werden, damit er sie verstand und umsetzte. Ebenso spielte Maxim weitestgehend alleine. Er habe keine sozialen Kontakte zu anderen Kindern aus der Gruppe. Im Gegenteil: Konflikte und Auseinandersetzungen mit anderen Kindern häuften sich zunehmend. Meist zog er sich zurück und spielte für sich in der Puppenecke oder auf dem Bauteppich. Auch war es für seine Erzieherinnen schwierig mit ihm in eine Beziehung zu kommen. Maxim ließe sich immer nur kurzfristig für bestimmte Aktivitäten begeistern, sei es nun Basteln, Malen oder Vorlesen. Er teilte sich nicht mit, weder verbal noch non-verbal, wenn er etwas brauchte oder Hilfe benötigte, sondern schien alles mit sich allein auszumachen. Dennoch galt er als ein freundliches Kind, dass in seiner motorischen Aufgewecktheit durchaus altersgerecht entwickelt sei.
Diese Beschreibungen hatten nichts mit dem Kind gemein, dass Richard und ich in den vergangenen Monaten Zuhause erlebt hatten. Maxims passiver Wortschatz war nach unserer Einschätzung von Anfang an überraschend groß gewesen. Selbst beim abendlichen Vorlesen folgte er immer komplexeren Geschichten. Zuhause spielte er immer mit Nadeschda und versuchte sie kontinuierlich in sein Spiel zu integrieren. Gegenüber anderen Kindern bei nachmittäglichen Spielverabredungen zeigte er sich kooperativ und besorgt darum, dass alle glücklich zusammen spielten. Streit und Auseinandersetzungen gab es wenige, obwohl diese im Grunde zu einer altersgerechten Entwicklung gehörten. Denn dreijährige teilten nun mal keine Spielsachen.
Wir waren schockiert. Es schmerzte, so drastisch zu hören, dass es unserem Sohn im Kindergarten nicht gut erging. Mir war nun klar, warum die Zeit Zuhause unmittelbar nach dem Kindergarten oft so schwierig war. Warum ich zunehmend das Gefühl hatte, ein anderes ausgeglichenes Kind zu haben, wenn er nicht in den Kindergarten ging. Warum Maxim in den vergangenen Wochen immer häufiger gesagt hatte, dass er nicht in den Kindergarten gehen wollte. Es bestätigte sich, dass er unglücklich im Kindergarten war. In die Sorge um unseren Sohn mischte sich Ärger und Wut auf seine Erzieherinnen, die in unseren Augen zu wenig Maxims ureigenen Bedürfnisse berücksichtigten. Uns fehlte ein größeres Verständnis seiner Erzieherinnen für seine besondere Geschichte. Wir vermissten eine reflektierte Betrachtung seines Verhaltens, losgelöst von den Normen, in die Kinder im Kindergarten hineingepresst wurden. Maxims Erzieherinnen sollten unseren Sohn nicht mit anderen Kindern vergleichen. Sie mussten anders und individueller mit ihm umgehen und auf ihn eingehen. Vor allem durften sie ihn nicht sich selbst überlassen, wenn er sich zurückzog. Gerade in diesen Momenten wäre es wichtig, dass eine seiner Erzieherinnen sich ihm zuwendet. Sie sollten auf sein Spiel eingehen und sich ihm darin widmen. Was sollten wir nun tun?
Wir suchten zunächst das Gespräch mit Frau Schuster. Sie las den Bericht des Kindergartens aufmerksam und schüttelte nur den Kopf. Für sie war es wieder einmal ein Beispiel, dass Erzieherinnen nicht auf Kinder mit sprachlichen Barrieren vorbereitet sind und ihnen daher der angemessene Umgang mit ihnen fehlt. In ihren Augen klang deutlich aus dem Bericht hervor, dass man sich im Kindergarten für den Fall absichern und rechtfertigen wollte, wenn Maxim im Zweifelsfall nicht die Entwicklung machen würde, die er mit einer passenden Förderung im Kindergarten vollziehen könnte. Man würde ja alles versuchen und individuell auf das Kind eingehen, aber dennoch hätte es seine Schwierigkeiten. Auch Frau Schuster bestätigte, dass sie Maxim anders erlebte und dass seine sprachlichen Fortschritte bemerkenswert seien. Andere Kinder mit mutistischen Zügen bräuchten weit aus länger, bis sie auf dem sprachlichen Stand seien, den Maxim inzwischen erreicht hatte. Beachtlich war seine Entwicklung nicht zuletzt, da er sie in einer Zeit erneuter schwerer emotionaler Strapazen vollzog. Der Verlust der Großmutter, der erneute Bindungsabbruch in seinem bisher kurzen Leben und die mit dem Tod von Renate einhergehende Belastung für uns als Familie sowie sein Unglücklichsein im Kindergarten waren Rahmenbedingungen, die eine sprachliche Entwicklung eher hemmten als förderten. Frau Schuster bot uns ein Gespräch mit den Kindergärtnerinnen am runden Tisch an und ermutigte uns, dass Maxim im familiären Umfeld so viel Unterstützung und Förderung erfuhr, dass er auch im Kindergarten seinen Weg finden würde.
Ähnliches ergab ein Telefonat mit Frau Schiffer, unserer Betreuerin beim Jugendamt. Sie schätzte den Bericht des Kindergartens ähnlich ein wie Frau Schuster. Man wolle sich rechtfertigen, sei aber nicht in der Lage auf die individuellen Bedürfnisse von Maxim einzugehen. In der Regel war sie es eher gewohnt, dass solche Berichte erst in der Schule auftauchten, wenn die Vertreter des Bildungssystems versuchten Adoptivkinder in ihre Normen zu pressen und daran kläglich scheiterten. Dass wir damit bereits im Kindergarten konfrontiert waren, überraschte sie etwas. Auch sie bot ein Gespräch mit dem Kindergarten am runden Tisch an, empfahl uns aber zunächst noch einmal das Gespräch mit Maxims Erzieherinnen zu suchen und sie stärker für Maxims Bedürfnisse zu sensibilisieren. Von einem Kindergartenwechsel riet sie Richard und mir ab. Dies könnte bei Maxim wohlmöglich eher Gefühle des Versagens verstärken. Es könnte eher eine Option sein, die Zeit der Anwesenheit im Kindergarten zu verkürzen. Das war ohnehin gegeben. Denn bald standen die Sommerferien bald vor der Haustür. So schien sich zunächst als ein Weg abzuzeichnen, dass wir Maxims Entwicklung im Kindergarten weiter beobachteten, er nur noch an drei Tagen in der Woche in die Einrichtung gehen werde, und wir den schwierigen und für ihn anstrengenden drei Stunden dort viel intensive Zeit Zuhause und mit uns als Eltern entgegensetzen würden.