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31. Mai – Probleme im Kindergarten

Upset problem child sitting on staircase

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Wieder einmal hat sich mein Bauchgefühl bestätigt. Ich sollte wirklich darauf hören. Meine Vorahnung, dass Maxim sich im Kindergarten nicht wohl fühlte und es ihm dort schlecht ging, hat sich in dieser Woche bestätigt. Der Bericht, den wir von seinen Erzieherinnen in Vorbereitung auf Maxims Entwicklungsgespräch bekamen, erschütterte Richard und mich bis ins Mark. Auch das Gespräch selbst überzeugte uns nicht davon, dass manche Aussagen bei uns härter angekommen waren, als sie von seinen Erzieherinnen gemeint waren. Dass aktives Sprechen für Maxim im Kindergarten nach wie vor ein Problem war, wussten wir, und verwunderte uns nicht. Nicht umsonst gingen wir mit ihm weiterhin einmal in der Woche zu Frau Schuster in die logopädische Therapie. Allerdings unterstellten die Erzieherinnen unserem Sohn, dass er ebenso weiterhin Schwierigkeiten habe, sie und andere Kinder zu verstehen. Handlungsaufforderungen mussten ihm gegenüber in zwei- oder drei Wortsätzen formuliert werden, damit er sie verstand und umsetzte. Ebenso spielte Maxim weitestgehend alleine. Er habe keine sozialen Kontakte zu anderen Kindern aus der Gruppe. Im Gegenteil: Konflikte und Auseinandersetzungen mit anderen Kindern häuften sich zunehmend. Meist zog er sich zurück und spielte für sich in der Puppenecke oder auf dem Bauteppich. Auch war es für seine Erzieherinnen schwierig mit ihm in eine Beziehung zu kommen. Maxim ließe sich immer nur kurzfristig für bestimmte Aktivitäten begeistern, sei es nun Basteln, Malen oder Vorlesen. Er teilte sich nicht mit, weder verbal noch non-verbal, wenn er etwas brauchte oder Hilfe benötigte, sondern schien alles mit sich allein auszumachen. Dennoch galt er als ein freundliches Kind, dass in seiner motorischen Aufgewecktheit durchaus altersgerecht entwickelt sei.

Diese Beschreibungen hatten nichts mit dem Kind gemein, dass Richard und ich in den vergangenen Monaten Zuhause erlebt hatten. Maxims passiver Wortschatz war nach unserer Einschätzung von Anfang an überraschend groß gewesen. Selbst beim abendlichen Vorlesen folgte er immer komplexeren Geschichten. Zuhause spielte er immer mit Nadeschda und versuchte sie kontinuierlich in sein Spiel zu integrieren. Gegenüber anderen Kindern bei nachmittäglichen Spielverabredungen zeigte er sich kooperativ und besorgt darum, dass alle glücklich zusammen spielten. Streit und Auseinandersetzungen gab es wenige, obwohl diese im Grunde zu einer altersgerechten Entwicklung gehörten. Denn dreijährige teilten nun mal keine Spielsachen.

Wir waren schockiert. Es schmerzte, so drastisch zu hören, dass es unserem Sohn im Kindergarten nicht gut erging. Mir war nun klar, warum die Zeit Zuhause unmittelbar nach dem Kindergarten oft so schwierig war. Warum ich zunehmend das Gefühl hatte, ein anderes ausgeglichenes Kind zu haben, wenn er nicht in den Kindergarten ging. Warum Maxim in den vergangenen Wochen immer häufiger gesagt hatte, dass er nicht in den Kindergarten gehen wollte. Es bestätigte sich, dass er unglücklich im Kindergarten war. In die Sorge um unseren Sohn mischte sich Ärger und Wut auf seine Erzieherinnen, die in unseren Augen zu wenig Maxims ureigenen Bedürfnisse berücksichtigten. Uns fehlte ein größeres Verständnis seiner Erzieherinnen für seine besondere Geschichte. Wir vermissten eine reflektierte Betrachtung seines Verhaltens, losgelöst von den Normen, in die Kinder im Kindergarten hineingepresst wurden. Maxims Erzieherinnen sollten unseren Sohn nicht mit anderen Kindern vergleichen. Sie mussten anders und individueller mit ihm umgehen und auf ihn eingehen. Vor allem durften sie ihn nicht sich selbst überlassen, wenn er sich zurückzog. Gerade in diesen Momenten wäre es wichtig, dass eine seiner Erzieherinnen sich ihm zuwendet. Sie sollten auf sein Spiel eingehen und sich ihm darin widmen. Was sollten wir nun tun?

Wir suchten zunächst das Gespräch mit Frau Schuster. Sie las den Bericht des Kindergartens aufmerksam und schüttelte nur den Kopf. Für sie war es wieder einmal ein Beispiel, dass Erzieherinnen nicht auf Kinder mit sprachlichen Barrieren vorbereitet sind und ihnen daher der angemessene Umgang mit ihnen fehlt. In ihren Augen klang deutlich aus dem Bericht hervor, dass man sich im Kindergarten für den Fall absichern und rechtfertigen wollte, wenn Maxim im Zweifelsfall nicht die Entwicklung machen würde, die er mit einer passenden Förderung im Kindergarten vollziehen könnte. Man würde ja alles versuchen und individuell auf das Kind eingehen, aber dennoch hätte es seine Schwierigkeiten. Auch Frau Schuster bestätigte, dass sie Maxim anders erlebte und dass seine sprachlichen Fortschritte bemerkenswert seien. Andere Kinder mit mutistischen Zügen bräuchten weit aus länger, bis sie auf dem sprachlichen Stand seien, den Maxim inzwischen erreicht hatte. Beachtlich war seine Entwicklung nicht zuletzt, da er sie in einer Zeit erneuter schwerer emotionaler Strapazen vollzog. Der Verlust der Großmutter, der erneute Bindungsabbruch in seinem bisher kurzen Leben und die mit dem Tod von Renate einhergehende Belastung für uns als Familie sowie sein Unglücklichsein im Kindergarten waren Rahmenbedingungen, die eine sprachliche Entwicklung eher hemmten als förderten. Frau Schuster bot uns ein Gespräch mit den Kindergärtnerinnen am runden Tisch an und ermutigte uns, dass Maxim im familiären Umfeld so viel Unterstützung und Förderung erfuhr, dass er auch im Kindergarten seinen Weg finden würde.

Ähnliches ergab ein Telefonat mit Frau Schiffer, unserer Betreuerin beim Jugendamt. Sie schätzte den Bericht des Kindergartens ähnlich ein wie Frau Schuster. Man wolle sich rechtfertigen, sei aber nicht in der Lage auf die individuellen Bedürfnisse von Maxim einzugehen. In der Regel war sie es eher gewohnt, dass solche Berichte erst in der Schule auftauchten, wenn die Vertreter des Bildungssystems versuchten Adoptivkinder in ihre Normen zu pressen und daran kläglich scheiterten. Dass wir damit bereits im Kindergarten konfrontiert waren, überraschte sie etwas. Auch sie bot ein Gespräch mit dem Kindergarten am runden Tisch an, empfahl uns aber zunächst noch einmal das Gespräch mit Maxims Erzieherinnen zu suchen und sie stärker für Maxims Bedürfnisse zu sensibilisieren. Von einem Kindergartenwechsel riet sie Richard und mir ab. Dies könnte bei Maxim wohlmöglich eher Gefühle des Versagens verstärken. Es könnte eher eine Option sein, die Zeit der Anwesenheit im Kindergarten zu verkürzen. Das war ohnehin gegeben. Denn bald standen die Sommerferien bald vor der Haustür. So schien sich zunächst als ein Weg abzuzeichnen, dass wir Maxims Entwicklung im Kindergarten weiter beobachteten, er nur noch an drei Tagen in der Woche in die Einrichtung gehen werde, und wir den schwierigen und für ihn anstrengenden drei Stunden dort viel intensive Zeit Zuhause und mit uns als Eltern entgegensetzen würden.

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Helikoptermutter aus Überzeugung

VIP Hubschrauber im Anflug

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An Pfingsten haben es „Helikopter-Eltern“ auf die erste Seite der „FAZ am Sonntag“ gebracht. Unter dem Titel „Bitte fahr mich nicht schon wieder!“ wird vor den Gefahren, die der Trend, Kinder zunehmend mit dem Auto zur Schule und persönlich bis in Klassenzimmer zu bringen, gewarnt. Es wird vom pädagogischen Mehrwert berichtet, den stattdessen der gemeinsame Schulweg mit anderen Klassenkameraden zu Fuss hat.  – Ich bin eine bekennende Helikoptermutter! Und das aus Überzeugung. Warum, lest Ihr in meiner aktuellen Kolumne: „Helikoptermutter aus Überzeugung – Warum Adoptivkinder überbehütet werden müssen“.

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16. Mai – Kindergarten reloaded

Auch wenn Maxim heute morgen recht munter und agil aufstand, bestätigte er eifrig, dass sein Knie ihm immer noch weh tat, nach seinem Unfall auf dem Trampolin am Wochenende. In den Kindergarten wollte er partout nicht gehen. Er wurde nicht müde, eifrig zu wiederholen: „Knie aua.“, „Nicht Kindergarten.“, ergänzt um „Steffi nicht lieb. Nicki nicht lieb.“ Sein letzter Kommentar verwunderte mich. Zum ersten Mal äußerte mein Sohn klar, dass er sich bei seinen beiden Erzieherinnen im Kindergarten nicht wohl fühlte. Auf mein Nachfragen bekam ich von ihm immer wieder dieselbe Antwort: „„Steffi nicht lieb. Nicki nicht lieb.“ bestärkt mit einem „Kindergarten gar nicht schön.“ Da ich mir ohnehin unsicher war, ob die Erzieherinnen auf Maxim und sein angeschlagenes Knie besondere Rücksicht nehmen würden, entschied ich kurzerhand, Maxim für diese Woche vom Kindergarten abzumelden. Mir war wohler dabei, meinen Sohn in meiner Obhut zu haben.

Maxims Erleichterung, als ich ihm sagte, dass er diese Woche nicht in den Kindergarten gehen müsste, bestätigte mir, dass diese Entscheidung richtig war. Nachmittags gab ich Maxims Wunsch nach, und wir gingen trotz angeschlagenem Knie auf den Spielplatz. Ich war mir sicher, dass mein Sohn sich ohnehin nur das zutrauen würde, was ihm nicht weh tat. Als ich ihn jedoch so beim Klettern und Toben beobachtete, wurde mir klar, dass sein Knie sich sehr schnell erholt hatte und dass es für ihn nur der willkommene Anlass gewesen war, mir gegenüber offen zu zeigen, dass er nicht in den Kindergarten gehen wollte. Das machte mich nachdenklich. Wieder einmal fragte ich mich, ob mein Sohn in diesem Kindergarten gut aufgehoben war. Die Verunsicherung um eine schlechte Betreuung im Kindergarten löste die Sorge um Maxims Knie ab.

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Adoptivfamilien – die kleine zweite Klasse?

Von Fallzahlen und dem fehlenden politischen Willen

Young manager

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Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern wie Frankreich und Italien oder Nordamerika ist Deutschland Entwicklungsland in Sachen Adoptionen. In Bezug auf Auslandsadoptionen immer noch eher „Unterentwicklungsland“. Warum ist das so? Lest mehr in meiner aktuellen Kolumne: „Adoptivfamilien – die kleine zweite Klasse? – Von Fallzahlen und dem fehlenden politischen Willen“

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2. Mai – Wachsende Geschwisterliebe

Silhouette of Two Young Children Hugging at Sunset

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In den vergangenen zwei Wochen hat sich so etwas wie Alltag bei uns eingependelt. Keine Katastrophen, keine Reisen, keine großen Familienfeste. Richard arbeitet, Maxim geht in den Kindergarten, Nadeschda und ich verbringen unsere Vormittage meist mit Hausarbeit. Manchmal haben wir gute Tage, manchmal schlechte. Maxims Launen nach den Kindergartenvormittagen sind sehr wechselhaft. Doch inzwischen findet er meist mit dem Mittagessen sein inneres Gleichgewicht.

Nadeschda hatte ein paar harte Tage, an denen sie eine schwere Erkältung quälte. Kurze Nächte mit viel Husten und gelegentlichen Alpträumen brachten sie verständlicherweise durcheinander. Meist waren die Nächte, wenn sie zu Richard und mir in unser Bett umgezogen war, früh beendet. Häufig beschloss Nadeschda, dass bereits um sechs Uhr früh ihr Schlafbedarf gestillt war und sie nun spielen wollte. Sicherlich kam hinzu, dass es mit dem nahenden Sommer nun auch früher hell wird. Wenige Stunden später war sie dann aber wieder müde und entsprechend anhänglich und knatschig. An diesen Tagen sehnte ich die Mittagspause herbei, damit wir beide, Nadeschda und ich, unser Schlafdefizit aufholen konnten.

Die Mittagspausen verlaufen nun seit einigen Wochen sehr friedlich. Nach einem erneuten Kampf mit Maxim ums Schlafen, hatte ich neulich beschlossen, dass ich darauf keine Lust mehr hatte, und wechselte meine Strategie. Seitdem darf Maxim sich jeden Mittag zwei Bilderbücher alleine im Bett anschauen. Wenn er Krach macht, nehme ich sie ihm weg. Meist schläft er dabei ein. Entweder höre ich, wie er sich nach dem zweiten Buch umdreht und schläft, oder ich höre im Wohnzimmer ein kleines Poltern, wenn eines der Bücher aus dem Bett gefallen ist. Ebenso ein sicheres Zeichen, dass der Schlaf auch meinen Sohn übermannt hat.  Unsere Nachmittage verbringen wir inzwischen wieder viel draußen, außer mittwochs, wenn Maxim und inzwischen auch Nadeschda turnen. Wir fahren in den Zoo, gehen auf den Spielplatz oder sind draußen in den Feldern mit dem Laufrad oder den Dreirädern unterwegs. Da leisten sich Maxim und Nadeschda gerne Wettrennen. Dies in einem abenteuerlichen Tempo, so dass sich in den Kurven meist ein Hinterrad hebt.

Es ist herrlich zu beobachten, wie sich zwischen Nadeschda und Maxim nun eine Geschwisterbeziehung entwickelt. Sie streiten sich um Spielzeug, sie hauen, beißen, kratzen sich, ziehen sich an den Haaren. Das ist die eine Seite. Doch auf der anderen Seite ist das schlechte Gewissen, dass ein Kind hat, wenn es dem anderen wehgetan hat, ebenso nicht zu übersehen. Selbst Nadeschda schaltet in Sekunden um, entschuldigt sich bei ihrem weinenden Bruder und flitzt zum Kühlschrank, um Eis zum Kühlen zu holen. Über die Streitigkeiten überwiegen aber die Stunden, in denen sie friedlich zusammen spielen oder die Augenblicke besonderer Fürsorge, wenn Maxim zum Beispiel in der Mittagspause versucht, Nadeschda noch etwas „vorzulesen“. Er muss nur leider dieses Vorhaben immer sehr schnell aufgeben, da Nadeschda viel zu schnell einschläft. Sie haben so viel Spaß zusammen und hecken eine Menge Unfug aus, den Richard und ich manchmal gar nicht mitbekommen.

Gestern Abend wollten beide keine Ruhe geben, obwohl es wieder einmal ungewöhnlich spät geworden war, bis beide im Bett lagen. Nach dem Vorlesen, bei dem Nadeschda inzwischen abends mit dabei ist, zeigten beide Kinder keine Anzeichen von Müdigkeit. Ich verließ dennoch das Kinderzimmer, nachdem ich beide in ihre Betten gelegt und „Gute Nacht“ gesagt hatte. Denn ich hatte den Eindruck, dass meine Anwesenheit den Einschlafprozess im Kinderzimmer nur verlängerte. Maxim und Nadeschda verbrachten danach gute fünfzehn Minuten damit, immer wieder „Hallo!“ über das Babyphone zurufen. Irgendwann verstummten sie, und wohlmöglich hatte der Schlaf sie übermannt. Als Richard jedoch noch einmal später im Kinderzimmer nachschaute, stand Nadeschdas Bett in der Mitte des Zimmers mit einem Kinderstuhl davor, Nadeschda hatte sich den Schlafsack ausgezogen und in ihrem Bett lag Maxims dünne Bettdecke. Dieser lag mit seiner dicken Decke zugedeckt in seinem Bett, neben ihm seine kleine Schwester. Was auch immer die Kinder angestellt hatten, würde ihr Geheimnis bleiben, genauso wie es Nadeschda geschafft hatte, aus ihrem Gitterbett zu klettern. Es war an der Zeit, das Bett so umzubauen, dass sie aus dem Bett herauskrabbeln konnte, ohne halsbrecherische Kletterübungen über das Gitter, egal ob mit oder ohne Hilfe ihres Bruders.