21. Juni – Folgegespräch im Kindergarten

Heute Nachmittag waren Richard und ich erneut im Kindergarten. Nach dem Gespräch vor vier Wochen und dem Austausch mit Frau Schuster und Frau Schiffer hatten wir noch einmal um ein Folgegespräch gebeten. Inzwischen hatten Richard und ich zwei konkrete Wünsche an Maxims Erzieherinnen, von denen wir glaubten, dass sie ihm helfen könnten: Wir wollten versuchen, Nicki und Steffi noch einmal für Maxims besondere Geschichte zu sensibilisieren, und sie bitten, stärker individuell auf seine Bedürfnisse einzugehen. Vor allem, wenn Maxim sich an seine sicheren Orte im Kindergarten zurückzog, bedurfte er der Hilfe und Unterstützung seiner Erzieherinnen, seine Ängste zu überwinden und wieder den Weg in die Gruppe zu finden. Um noch einen Schritt weiter zu gehen, hatten Richard und ich überlegt, dass es Maxim durchaus helfen könnte, in eine kleinere Gruppe mit Kindern im Kindergarten zu wechseln. Maxim war zur Zeit in der inzwischen vollbesetzten Gruppe mit 25 Kindern. Die Vielzahl der Kinder war sicherlich ebenso ein Grund für seine Überforderung. Es gab aber zwei Gruppen im Kindergarten, die auch Kinder unter drei Jahren aufnahmen, und die daher nur achtzehn Kinder hatten.

Das Gespräch lief anders ab, als von uns erwartet. Steffi und Nicki, Maxims Erzieherinnen, wollten  von uns hören, was wir seit ihrem Bericht unternommen hätten. Da stutze ich zum ersten Mal. Denn, dass Maxim schon seit mehreren Monaten logopädische Unterstützung bekam, wussten sie. Weiterer Therapiebedarf ließ sich für uns aus Maxims Verhalten nicht ableiten. Im Gegenteil. Dass seine soziale Isolation sich nur im Kindergarten zeigte, er im häuslichen Umfeld anders mit Spielfreundschaften umging, bestätigte uns in unserem Wunsch an seine Erzieherinnen, ihm zu helfen, diese Zurückgezogenheit zu verlassen. Oder ihm ein Umfeld zu bieten – zum Beispiel in Form einer kleineren Gruppe –  in dem er sich weniger überfordert fühlte und sich damit automatisch weniger zurückzog. Unsere Frage, ob es möglich wäre, Maxim in einer der kleineren Gruppen wechseln zu lassen, wurde sofort abgelehnt. Richard und ich kamen noch nicht einmal dazu, unseren Wunsch zu erklären. Ich stutzte zum zweiten Mal. Als wir Maxims Rückzüge an sichere Orte im Gruppenraum ansprachen, ruderten Nicki und Steffi entgegen ihrer Aussagen von vor drei Wochen zurück. So viel würde sich Maxim gar nicht zurückziehen, im Gegenteil, sie hätten ihn noch einmal intensiv beobachtet, und es wäre doch schön zu beobachten, wie er zunehmend in Kontakt mit anderen Kindern kommt. Wir sollten uns keine Sorgen machen, dass Maxim im Kindergarten vereinsamt. Als Beleg zeigten sie uns zwei Filme, die sie in vergangenen Tagen gedreht hatten. Im ersten Film turnte Maxim in der Turnhalle mit anderen Kindern. Im zweiten ließ er sich mit drei anderen Kindern etwas von Nicki vorlesen. Und ja, wenn er sich zurückzöge, würden sie selbstverständlich auf ihn zugehen, und versuchen, ihn zu anderen Aktivitäten zu motivieren. Natürlich hätten sie schon ein besonderes Augenmerk auf ihn. Und ja, es wäre ihnen bewusst, dass er besonderen Zuspruch bräuchte. Aber in so großem Umfang ginge das eben auch nicht immer, denn wir dürften ja nicht vergessen, dass es schon auch eine große Gruppe sei mit fünfundzwanzig Kindern. Alles in allem sollten wir uns keine Sorgen machen: Maxim sei trotz seiner sprachlichen Barrieren zunehmend in die Gruppe integriert. Er sei eigentlich immer fröhlich und er fühle sich hier im Kindergarten wohl. Jetzt stutzte ich zum dritten Mal und fühlte mich verwirrt. Es bestand also kein Handlungsbedarf? Alles war gut, Maxim fühlte sich wohl, und seinen Bedarf an mehr individueller Unterstützung erfüllten Nicki und Steffi bereits? Ja, dann war wohl alles gesagt.

Die Filme, die Nicki und Steffi uns gezeigt hatten, beruhigten mich ein wenig. Ich hatte dort wirklich meinen Sohn irgendwie zufrieden und freudig erlebt. Aber all das passte nicht zu meinem Erleben meines Sohnes im Kontext des Kindergartens. Warum nahm sein Unwille in den Kindergarten zu gehen zu? Warum hatte er jeden Mittag nach dem Kindergarten chronisch schlechte Laune, mit der er mich und seine kleine Schwester quälte? Warum hatten seine Erzieherinnen erst uns von Maxims Rückzug aus der Gruppe und von anderen Kindern berichtet, um jetzt wieder zurückzurudern? Auf die letzte Frage war die Antwort klar: Nicki und Steffi hatten gemerkt, dass Richard und ich sie mit in die Verantwortung nehmen wollten und wir uns mehr individuelle Hilfe für unseren Sohn wünschten. Geschickt hatten sie auf der einen Seite Maxims Bedarf an zusätzlicher Unterstützung entkräftet und uns auf der anderen Seite klar gemacht, dass sie ja schon alles Erdenkliche taten. Mehr war in ihren Augen nicht möglich und auch nicht erforderlich zu tun. Es war also an Richard und mir, einen anderen Weg zu finden, für Maxim die Zeit im Kindergarten erträglicher zu machen. Denn ich glaubte nicht daran, dass sein Unwille in den Kindergarten zu gehen und seine Wut und Frustration nach jedem Kindergartenbesuch andere Ursachen hatten, als die Tatsache, dass er sich dort nicht wohl fühlte. Auf der einen Seite war ich enttäuscht von der mangelnden Kooperationsbereitschaft von Maxims Erzieherinnen. Auf der anderen Seite war ich zugleich ein wenig stolz auf mich selbst. Denn zum ersten Mal ließ ich mir bewusst nicht etwas über meinen Sohn einreden, von jemandem, der die vermeintliche pädagogische Kompetenz hatte. Ich kannte meinen Sohn am besten und ich war überzeugt, dass ihn irgend etwas im Kindergarten quälte. Das ließ ich mir nicht ausreden. Denn ich war seine Mutter!

2 Gedanken zu “21. Juni – Folgegespräch im Kindergarten

    • Ja, das wird er. Aber es wird noch dauern… Und erst Jahre später habe ich gelernt, mich richtig als Löwenmutter zu wehren. Bzw. ich habe für meine Tochter einen anderen Kindergarten gefunden, in dem die Erzieherinnen dankbar für meinen Input sind und auf meine Bedürfnisse eingehen. Aber dazu zu einem anderen Zeitpunkt mehr…

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