
Annie Spratt, unsplash.com
Wieder mehr im Einklang mit meinen Kindern zu sein, ist mein Thema in dieser Woche. Wie schon in meinem Post zu Nadeschda geschildert, hat mich dabei ein Artikel einer amerikanischen Adoptivmutter zu „Attuning to Family Harmony“ inspiriert. Alex Chase stellt ins Zentrum ihrer Ausführungen die Aussage, dass Adoptivkinder über ihr Verhalten sagen, was sie ertragen können und was nicht.
Von Beginn an hatte Maxim Schwierigkeiten mit Nähe, mit körperlicher Nähe, mit emotionaler Nähe. Solange er nicht selbst über sie entscheiden kann, ist Nähe für ihn schwer zu ertragen. Vor allem von mir, seiner Mutter. Manchmal erscheint es mir, als wäre ich, seine Mama, für ihn eine bedrohliche Person in seinem Leben. In meiner Gegenwart ist er zuweilen angespannt und angestrengt. Mehr als mit anderen Menschen. Der Blickkontakt fällt ihm schwer und ebenso körperlich Nähe und Zuneigung. Das zeigt sich vor allem in Situationen des Übergangs, wie beim Verabschieden morgens in der Schule oder beim Abholen nach der Schule. Oder wenn wir lange vertraut zusammen vorgelesen haben, zieht er sich unvermittelt wieder zurück. Genauso kann er häufig nicht mit Lob und Freude über etwas, was er erfolgreich bewältigt hat, umgehen. Ich spüre förmlich, wie ihm dann alles zu viel wird. Er kann mit dieser Nähe nicht umgehen, sie macht ihm Angst.
Führe ich mir das, was ich zum Urvertrauen geschrieben habe, wieder vor Augen, ist sein Verhalten nachvollziehbar. Denn für Maxim ist es schmerzhaft, sich in eine existenzielle Abhängigkeit zu begeben. So war seine frühe Erfahrung, folgt man Rech-Simon und Simon in ihren „Survivaltipps für Adoptiveltern“ im übertragenen Sinne: „Ich begab mich in eine Abhängigkeit von meiner leiblichen Mutter. Und aus dieser Abhängigkeit folgte eine schmerzhafte Trennung.“ Um diesen Schmerz zu verhindern, hält er auf Gedeih und Verderb an seiner (gefühlten) Autonomie fest und bekämpft jede drohende Abhängigkeit. Natürlich ist die Abhängigkeit von mir, seiner Mama, am größten. Deshalb nimmt er sie im übertragenen Sinne auch als Bedrohung war.
Bis heute fällt es mir schwer, das zu akzeptieren. Er ist eben nicht das Kind, das mich überschwänglich auf dem Schulhof begrüßt und mir um den Hals fällt, der mich immer und immer wieder mit Liebkosungen überhäuft. Er kuschelt wenig. Er ist wenig anhänglich. Mit der Zeit habe ich gelernt, ihn zu lassen. Er braucht Raum, um meine Fürsorge und Zuneigung anzunehmen. Nur wenn er diesen Freiraum hat, kann er selbst seinem eigenen Bedürfnis nach Nähe nachspüren und für sich einfordern. Ja, je mehr ich ihn loslasse, um so mehr Nähe ist zwischen uns. Seine freigewählte Nähe! Und dann ist es doch so, dass er nach einem Nachmittag, an dem er mit mir genau diesen Freiraum erlebt hat, abends auf einmal kommt und auf meinem Schoß sitzen möchte oder mich einfach von hinten fest umarmt.
Toll, wie du das ganze meisterst. Nicht viele haben die Kraft, damit umzugehen. Ich bin froh, dass ein kleiner Schatz mehr eine verständnisvolle Mama hat.
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Dankeschön! Das tut gut. 😉
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Ein kraftvoller Beitrag. Danke dafür! Ja, du hast so Recht, das Loslassen ist für uns Mütter am schwersten und es ist wichtig, die Balance zu finden, zwischen Raum lassen und Halt geben. Das ist gar nicht so einfach. Gerade hat bei unserem Kleinen die Eingewöhnung in der Krippe begonnen. Da heißt es auch wieder Loslassen. Von Herzen liebe Grüße
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Ja, so oft ist es ein Drahtseilakt, die richtige Balance zu finden, nicht zu sehr festzuhalten und auch nicht zu viel loszulassen. Und je nach Gemütslage verschieben sich auch immer wieder die Bedürfnisse, die eigenen als Mutter und vor allem die meiner Kinder. Manchmal habe ich auch schon gedacht, dass das Leben hier eine schwere Lektion bereit hält: Kaum hat man seine Kinder, muss man sie schon wieder „ziehen“ lassen…. Hab Dank für Deine Worte und Euch eine gute Eingewöhnung…
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Ein sehr berührender Text! Vielen Dank dafür und eine große Portion Kraft für euch alle!
Liebe Grüße
Susanne
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Hallo Charlotte,
Habe gerade dein Blog gefunden, und es gefällt mir sehr!
dieser Text erinnert mich sehr an meine Pflegetochter, die heute 15 ist und seit 12 Jahren hier lebt.
Nähe war auch niemals ihrs und auch sie braucht – für mich manchmal erschreckend — viel Freiheit. Und sei es, dass sie wie heute nach einem Tag bei Oma allein mit dem Bus nach Hause fahren muss.
Irgendwie tut das immer ein wenig weh, aber sie kommt nach Hause , immer, denn es ist ihr Zuhause; so spielt sie ihre Zuneigung quasi immer über Bande, aber wennn ich gut hinschaue,sehe ich sie.
Es ist eben etwas ganz Besonderes.
Alles Liebe
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Liebe Natalie,
schön, dass Du meinen Blog gefunden hast. Willkommen. Spannend, dass es sich bei Deiner (Pflege-)Tochter ähnlich verhält wie bei meinem Sohn. Insofern deckt sich hier wahrscheinlich auch wieder die Theorie: Mit dem nicht vorhandenen Urvertrauen sind unsere Kinder lieber autonom unterwegs und immer dann, wenn Nähe ins Spiel kommt, dann fällt es ihnen sehr schwer, damit umzugehen. Ja, es tut mir als Mutter unendlich weh, aber ich glaube unseren Kindern manchmal umso mehr. Wir hatten witzigerweise auch so eine Übernachtungssituation heute. Maxim hatte gestern bei einem Freuen übernachtet. Entgegen der Absprache hat Richard ihn abgeholt und nicht ich. Maxim wollte sofort nach Hause, in der Hoffnung mich noch zu sehen. Aber als er dann hier war, wollte er erst einmal nicht mit mir sprechen… Ja, „Zuneigung über Bande“, das trifft es wirklich gut. – Möge es ich gut ergehen.
Liebe Grüße Charlotte
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