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„Fröhliche Weihnachten“ – Meine Geschichte zum Story Samstag

storysamstag_0Vor ein paar Wochen habe ich bei Tante Tex’s Story Samstag zum Thema „Erbe“ mitgemacht. Auch das aktuelle Thema „Endlich wieder Weihnachtszeit“ hat mich beschäftigt und so mache ich wiedermal mit einer Kurzgeschichte mit.

Die wunderbare Adventszeit ist angebrochen und alles rast auf Weihnachten zu. Dieses wunderbare Familienfest, das Fest der Liebe mit Besinnlichkeit und Herzlichkeit. So sollte es sein, aber ehrlich gesagt entwickelt es sich in vielen Familien auch zu einer Farce, an deren Ende Streit und schlechte Stimmung gewinnen. Ich bin froh und dankbar, dass in der Realität in meiner kleinen Familie das Weihnachtsfest tatsächlich etwas von der viel beschworenen Romantik hat. Doch das war vor allem in meiner Herkunftsfamilie einmal anders und hat mich zu dieser Geschichte inspiriert.

„Fröhliche Weihnachten“

Anna steht in der Küche, schon seit heute morgen um sechs. Ihr Haar löst sich langsam aus ihrem Zopf. Mit verbissenem Mund kämpft sie mit dem Karpfen. Das Festmahl sollte doch gut werden. Als ihre Tochter Marie in die Küche kommt, entweicht ihr: „Kommst Du auch endlich mal auf die Idee, mir zu helfen? Hast Du wenigsten was Anständiges zum Anziehen dabei, für nachher für die Kirche?!“ Kaum eine halbe Stunde bei den Eltern für die Weihnachtsferien, schon wieder die ersten Vorwürfe, denkt Marie. Zähneknirschend nimmt sie sich Obst und ein Brett und beginnt schweigsam Äpfel und Kiwis für den Obstsalat zu schneiden. „Du musst die Äpfel viel kleiner schneiden. So schmeckt es nicht.“ hört sie ihre Mutter aus der anderen Ecke der Küche.

Zur gleichen Zeit stellt Herrmann den Weihnachtsbaum auf. Alle Familienmitglieder machen einen großen Bogen um das Wohnzimmer, wenn Vater den Baum aufstellt. Anna steht ohnehin in der Küche und hadert mit ihrem Schicksal. Sohn Peter muss noch dringend ein paar Freunde in der Stadt treffen und Annas Schwester Marlene packt die letzten Geschenke ein. Wie immer wurde der Christbaum viel zu spät gekauft, wie immer ist er dürr und verliert bereits die ersten Nadeln und wie immer funktioniert die Lichterkette nicht. Nur der Großvater sitzt beharrlich in seinem Sessel und gibt kluge Tipps. Wutschnaubend reisst Herrmann an der Lichterkette und wirft seinem Schwiegervater einen bösen Blick zu.

Beim Mittagessen herrscht angespannte Stimmung. „Ach, was freue ich mich, wenn nachher wieder Deine Eltern kommen. Dein Vater mit seiner aufgetakelten Tussi. Er wird uns den ganzen Abend wieder mit seinen Geschichten aus alten Zeiten langweilen. Sie sieht bestimmt wieder wie aus dem Ei gepellt aus, hat sich die letzten Tage nur gepflegt. Sicherlich hat sie wieder ein neues Kleid. Ich, ich muss wieder meinen Rock und Bluse anziehen, wie in den vergangen zehn Jahren auch. Warum kaufst Du mir nicht mal etwas neues zum Anziehen? Und dass Du ja heute nachmittag diese gammelige Cordhose ausziehst und dich wenigsten mal rasierst.“ bemerkt Anna. Herrmann schweigt verkniffen. Marie und Peter schauen sich stumm über den Tisch an. „Jetzt hör doch mal auf, Anna.“ entgegnet allein Marlene. „Es ist doch alles gut. Das Essen ist vorbereitet, der Baum steht, die Geschenke sind verpackt. Lass es doch jetzt mal Weihnachten werden.“ „Ach, Du immer mit Deinem heiligen Weihnachten,“ giftet Anna zurück.“Du musst ja nicht zu uns kommen, wenn es Dir nicht passt. Setzt Dich hier ins gemachte Nest und krümmst keinen Finger. Ich hab immer die ganze Arbeit und es interessiert einfach keinen.“ Hektisch brechen sie danach zum Gottesdienst auf. Die Kirche ist rappelvoll, bis auf den Großvater müssen alle ganz hinten stehen. Es ist heiß und die Luft zum Durchschneiden dick. „Warum müssen wir hier eigentlich jedes Jahr hingehen, wo wir das ganze Jahr keinen Gottesdienst besuchen?“ beschwert sich Herrmann. „Weil das zu Weihnachten gehört und man das so macht.“ zischelt Anna zurück.

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Kaum zurück vor der Haustür, sehen sie schon Herrmanns Vater aus dem Auto aussteigen. Galant hilft er seiner Begleitung aus dem Auto. Überschwänglich geht sie auf Anna zu: „Hallo meine Liebe. Wie schön wieder bei Euch zu sein. Aber sag mal, Du siehst ein bisschen mitgenommen aus. Dir könnte ein wenig Schminke auch mal gut tun. Und der Rock, hattest Du den nicht auch schon am letzten Weihnachtsfest an. Ein wenig aus der Mode…“ Anna schaut ihre Stiefmutter an. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.„Wie schön, dass Ihr da seid. Ich konnte es kaum erwarten.“ Anna hält einen Moment inne. „Dann feiert ein fröhliches Weihnachten.“ sagt sie ruhig, dreht sich um und geht. Es hat angefangen zu schneien. Anna verschwindet im Schneetreiben, als würde sich ein Vorhang hinter ihr schließen.

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Charlottes Sonntagslieblinge (11)

Grukarte - Laterne und Hirsch im Lichterglanz

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Eine hektische Woche liegt hinter uns. Die vielgelobte Ruhe und Besinnlichkeit der Adventszeit muss erst noch einziehen. Langsam kehrt an diesem ersten Advent nun etwas Stille ein. Stille, in der mir wieder bewusst wird, wie kostbar unser Leben mit Maxim und Nadeschda ist. Um so mehr genieße ich es, in diesem stillen Moment alle schönen Dinge und Ereignisse mir wieder bewusst zu machen. Deshalb blicke ich inspiriert von  Mirjam von Perfektwir auf meine eigenen, ganz persönlichen Lieblinge dieser Woche. Hier sind meine drei Sonntagslieblinge:

  1. Maxim hat im Zirkus eine formidable Jonglage-Vorstellung gegeben. Wie sicher er dort auf der Bühne stand und Teller gedreht und Keulen geworfen hat.  Die Vorstellung war ein voller Erfolg und all die Mühen der stundenlangen Proben haben sich gelohnt. Und mehr noch, all die Aufregung und Anspannung hat er gut kompensiert. Ich bin stolz auf meinen Sohn.
  2. Nadeschda ist heute zum ersten Mal die Adventsspirale in der Schule gelaufen. Wie sicher und souverän sie den Apfel mit der Kerze hielt, wie behutsam sie die Kerze entzündet hat, um dann ihren Weg wieder hinaus aus der Tannenspirale zu laufen. Für mich eine symbolhafte Erfahrung, die mir zeigt, wie mutig und tapfer sie ihren Lebensweg geht.
  3. Ich bin dankbar, dass ein hektisches und arbeitsames Jahr sich jetzt dem Ende neigt. Die nächsten Wochen werden wir in Ruhe ausklingen lassen. Hoffentlich. Es ist Zeit, sich an dem Erreichten zu erfreuen und in der stillen Adventszeit innezuhalten und Kraft zu schöpfen für einen Neuanfang im neuen Jahr.

Habt auch Ihr einen zauberhaften 1. Advent! Tragt die Feierlichkeit in Eure neue Woche! Möge auch diese Euch etwas Ruhe und Besinnlichkeit bescheren.

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Die bunte Enkelschar meiner amerikanischen Mutter

Join hands

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Richard hat streng genommen drei Schwiegermütter. Die liebste ist ihm diejenige, die (leider) am weitesten weg wohnt: Meine „Ersatzmutter“ Lyann in den USA. Lyann ist uns so lieb und teuer, eben nicht weil sie so weit weg ist und uns nicht stören oder belästigen kann, sondern weil sie so eine wunderbare Frau ist und uns mit so viel Fürsorge das Gefühl von Geborgenheit und bedingungsloser Liebe gibt.

Meine Kindheit, an deren Ende ich eine biologische Mutter und eine Stiefmutter hatte, war aus vielen Gründen nicht die glücklichste. Das Beste was mir passieren konnte, war ein längerer Aufenthalt in den USA bei Lyann und ihrer Familie. Sie war damals in zweiter Ehe verheiratet, hatte insgesamt fünf Kinder, zwei eigene aus ihrer ersten Ehe und drei Stiefkinder aus der ersten Ehe ihres Mannes. Ich wurde als ihr gemeinsames Kind angenommen und in die Familie aufgenommen. Zum ersten Mal erfuhr ich, wie es war, nicht für das geliebt zu werden, was man tat, sondern allein für das, was man einfach war. Ich fühlte mich akzeptiert und wertgeschätzt, konnte zum ersten Mal einfach ich selbst sein. Auch nach meiner Rückkehr nach Deutschland hielten wir über alle die Jahre und Jahrzehnte intensiven Kontakt und bis heute bin ich ihre „German Daughter“. Selbst mit Maxim und Nadeschda sehen wir uns einmal im Jahr für eine längere Zeit.

Mit Lyann lernte ich, dass Familie auch anders sein kann, ohne genetische Bande funktioniert und gelebt wird. Von ihren sechs Kindern ist leider eine Tochter recht jung gestorben.Alle anderen leben in Beziehungen und haben inzwischen alle Kinder. Als letzter komplettierte mein amerikanischer Gastbruder in der vergangenen Woche den bunten Enkelreigen. Denn die Enkelschar ist wirklich bunt und so vielschichtig, wie eben Kinder in unserer heutigen Zeit zu uns kommen können. Anführen tut die Schar Emily, die uneheliche Tochter meiner ältesten Gastschwester. Ihr Vater ist Mexikaner. Mehr wissen wir nicht. Danach folgte Harry, das „normalste“ Kind, geboren als einziger Sohn aus einer glücklichen Ehe meiner zweiten Gastschwester. Dann ist da Kate, entstanden aus einer Samenspende und Tochter meiner dritten Gastschwester  und ein Regenbogenkind. Maxim und Nadeschda, aus Russland adoptiert, sprechen von Lyann immer liebevoll als ihrer amerikanischen Grandma. Und schließlich vervollständigte James nun vor ein paar Tagen den bunten Enkelreigen, in den USA als Säugling nach einer langen Adoptionsreise meines Gastbruders adoptiert. All diese Kinder werden von Lyann als ihre Enkel gleichwertig wertgeschätzt und geliebt. Sie nimmt jedes Kind ungeachtet seiner Herkunft an, so wie es ist, einzigartig und wunderbar.

Jedes Jahr, wenn wir uns sehen, kommen wir zu einem großen Familientreffen zusammen. Ein Foto von Grandma Lyann mit all ihren Enkeln gehört dabei zum rituellen Erinnerungsstück. Das aktuellste steht immer auf meinem Schreibtisch. Wenn ich es betrachte, denke ich jedes Mal: Liebe liegt einfach nicht in den Genen. Sie wächst aus dem Herzen.

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Charlottes Sonntagslieblinge (10)

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Ben White, unsplash.com

So schwer der Alltag als Mutter auch manchmal ist, das Leben kann so wunderbar sein, wenn man sich in einem stillen Moment einmal all der schönen Dinge und Ereignisse bewusst wird. Deshalb blicke ich inspiriert von  Mirjam von Perfektwir auf meine eigenen, ganz persönlichen Lieblinge dieser Woche. Hier sind meine drei Sonntagslieblinge:

  1. Ein arbeitsamer aber dann doch immer wieder wunderschöner „Tag der offenen Tür“, der in jedem Jahr an dem Wochenende vor dem ersten Advent in unserer Schule stattfindet, liegt hinter uns. Es war wunderbar, eine kleine Krippe aus Holz, Moss und mit Tannenzweigen mit Maxim zu bauen, in die jetzt in der Vorweihnachtszeit Maria und Josef mit dem allen anderen Figuren nach und nach einziehen werden.
  2. Wir haben heute unser traditionelles Knusperhäuschen dekoriert. Und wie fast in jedem Jahr – in den vergangenen sechs Jahren – war Katharina da, um bei der Dekoration Hand anzulegen mit den Kindern. Die Institutionalisierung einer Tradition ist geglückt. Was allerdings das größte Geschenk ist: Inzwischen sind vier Kinder anwesend und wir bauen zwei Häuser zusammen, für jede Familie eines. Denn auch meine liebe Freundin und Wegbegleiterin über all die Jahre hat inzwischen zwei wunderbare Kinder. Das war mal anders.
  3. Ja, in dieser Woche habe ich an all die Freunde gedacht, die mich in all den Jahren begleitet haben und begleiten. Und wie wunderbar das ist! Es sind diejenigen, die schon ewig da sind, da hat man meist kaum Kontakt im Alltag, aber wenn man sich sieht oder spricht, so selten das auch sein mag, da springt der Funke über. Es ist als würde man nahtlos daran anschließen, wo man vor Wochen, Monaten, Jahren aufgehört hat. Da geht es einfach nahtlos weiter. Und das ist einfach schön!

Wie jeden Sonntag, für heute bin ich dankbar und freue mich auf die neue Woche. Habt einen wunderbaren Start in die nächste Woche! – Der Advent naht!

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Der stumme Schrei nach Hilfe

Wenn Adoptiveltern nicht sehen, dass ihr Kind Hilfe braucht

Nachdem ich mich vor zwei Wochen über die fehlende Unterstützung von Adoptivfamilien ausgelassen habe, möchte ich heute auch die Kehrseite der Medaille adressieren:

Wer ein Kind adoptiert und dies gar aus dem Ausland, ist sich meistens der Tatsache bewusst, dass diese Kinder körperliche Beeinträchtigungen haben können. Schielen, Kiefergaumenspalte, sprachliche Entwicklungsverzögerungen, Leistenbruch, Hörschäden. Das bringt ihre Lebensgeschichte bis zur Adoption mit, und je nach Herkunftsland sind diese körperlichen „Defizite“ auch die Chance, warum diese Kinder nicht im Land selbst sondern international zur Adoption freigegeben werden. Auf all diese körperlichen Beeinträchtigungen werden zukünftige Adoptiveltern vorbereitet. Ich kenne keine Adoptivfamilie, die nicht die kritische Frage „Halten Sie körperlichen Beeinträchtigungen bei ihrem Adoptivkind für zumutbar?“ beantworten musste. Und sie alle haben sie mit „ja“ beantwortet. Schließlich haben wir in Deutschland ein modernes Gesundheitssystem, das körperliche „Mängel“ beheben kann. Oft haben Adoptivfamilien Glück. Die meisten Adoptivkinder vor allem aus dem Ausland sind physisch kerngesund. Adoptivkinder mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind eher in der Minderheit. Wird ein Adoptivkind mit körperlichen Beeinträchtigungen in die Familie aufgenommen, kümmern sich alle Eltern um das Heilen und Gesundwerden.

Ein Leistenbruch oder eine Gaumenspalte lassen sich operieren und damit reparieren. Das meist mit dem richtigen Arzt auch schnell und nachhaltig. Doch tragen Adoptivkinder, die früh von ihren leiblichen Eltern verlassen wurden und die lange Zeit ihrer ersten Lebensjahren in Heimen aufgewachsen sind, noch ganz andere Verletzungen von dieser Lebensgeschichte. Durch die Trennung von der leiblichen Mutter ist ihr Urvertrauen zerstört worden, das Leben im Heim mit wechselndem und nicht immer fürsorglichem Pflegepersonal hat häufig Bindungsstörungen in vielfältiger Form verursacht. Die Seelen dieser Kinder sind meist tief verletzt. Dies ist meiner Meinung nach bei der Mehrzahl dieser Kinder so. Diese Wunden aber sind selten sichtbar. Und im Vorfeld einer Adoption wird auf diese psychischen Beeinträchtigungen kaum oder nur verhalten offensiv hingewiesen. Erst wenn die Kinder ein paar Wochen, Monate in ihren Adoptivfamilien leben, kommen diese psychischen Wunden zum Vorschein. Zunächst sind die Kinder noch in einer Anpassungsphase, in der sie alles tun, um ja ihren Adoptiveltern zu gefallen, damit sie nicht ein erneutes Mal abgegeben werden. Doch spätestens nach einem halben Jahr lassen sie die Hüllen fallen. „Selten hält es ein Kind länger als ein halbes Jahr durch, seine seelischen Wunden und sein Trauma zu verbergen.“ sagte einmal unsere Betreuerin vom Jugendamt zu mir. Dann zeigt sich das Trauma des Weggeben-worden-Seins in seiner ganzen Massivität: Wutanfälle, aggressives Verhalten, Zerstörungsdrang gegen sich selbst oder gegen andere, Distanzlosigkeit oder totale Ablehnung von körperlicher Zuneigung der Adoptiveltern, sich in den Schlaf schaukeln, Hyperaktivität, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, Essstörungen, um nur einige zu nennen.

Die meisten Adoptivfamilien setzen sich mit diesen Herausforderungen auseinander, lesen Ratgeber, lassen sich von Erziehungsspezialisten beraten, stellen ihren Lebenswandel um, suchen sich, wenn sie es alleine nicht mehr schaffen, die professionelle Hilfe von Therapeuten und Ärzten. Damit beginnt ein langsamer Heilungsprozess, an dessen Ende das Adoptivkind seine seelischen Wunden verarbeitet, eine stabile Bindung zu seinen Adoptiveltern aufbauen kann, ein gesundes Selbstgefühl entwickelt und sich sicher und geborgen fühlt. Das ist meist harte Arbeit, für das Kind und seine Adoptivfamilie, und immer ein jahrelanger Prozess mit vielen Rückschlägen, der unzählige Opfer verlangt. Doch am Ende wird die Gewissheit siegen, ein Kind in ein gesundes und beständiges Leben hineingeführt zu haben.

Zu meinem Bedauern gibt es aber auch immer wieder Adoptivfamilien, die die seelischen Wunden ihrer Kinder nicht sehen oder auch nicht sehen wollen. Ich bin mit einzelnen Fällen konfrontiert worden, in denen die Auswirkungen der psychischen Verletzungen einfach nicht wahrgenommen werden, klein geredet werden. „Er schuckelt sich eben immer noch in den Schlaf.“ sagt da eine Adoptivmutter. Das noch mehrere Jahre nach der Adoption. Aber ansonsten ist alles wunderbar und das Leben des Jungen geht unverändert weiter. Schule, dreimal die Woche Fussballtraining, Klavierunterricht, Schwimmen, jeden Abend zwei Stunden Hausaufgaben, danach zwei Stunden spielen auf dem IPad, bis der Schlaf ihn irgendwann übermannt. Die Eltern arbeiten beide Vollzeit mit vielen Abwesenheiten, das Au Pair-Mädchen übernimmt die Kinderbetreuung. In einem anderen Fall zeigt die Adoptivtochter ein unkontrolliertes aggressives Verhalten, wenn sie mit anderen Kinder zusammen spielen soll. Auch sie lebt mittlerweile seit mehreren Jahren in ihrer Adoptivfamilie. Wie aus dem Nichts schubst, tritt, beisst sie, schlägt um sich. Freunde hat sie keine. „Ja, ich weiss, manchmal ist sie im Moment schwierig. Ich weiss auch nicht, woher das kommt. Aber im Kindergarten läuft doch alles gut.“ Und auch hier wird weitergemacht, wie bisher. Die stummen Schreie der Kinder nach Hilfe werden nicht gehört. Sie werden zugedeckt unter dem Mantel der überdurchschnittlichen Entwicklung der Kinder – er kann schon Fahrradfahren, sie hat schon ihren Freischwimmer, sie ist in der Schule sehr ehrgeizig, er spielt fantastisch Klavier.

Mir tut es um diese Kinder so unendlich leid. Es könnte ihnen mit einem anderen ruhigeren Alltag und professioneller Hilfe so viel besser gehen. Aber therapeutische Hilfe mag ja oft auch als Zeichen von Schwäche gesehen werden. Vor allem aber ist es unbequem. Ich muss ja dann auch als Familie mein Leben vielleicht ändern. Auch ich habe mich lange der Illusion hingegeben, mit meinen beiden Adoptivkindern ein „normales“ Leben zu führen. Doch auch bei uns traten seelischen Wunden deutlicher auf, als wir das erahnen konnten. Auch ich habe erst versucht, diese Schwierigkeiten alleine zu lösen, bin aber schnell an meine Grenzen gestoßen. Ich habe mir professionelle Hilfe geholt, für die ich heute sehr dankbar bin. Denn auch ich als Adoptivmutter bin mit den Therapien meiner Kinder gewachsen. Die Heilung  meiner Kinder erleben zu dürfen, ist mehr als ein Geschenk. Um so mehr bin ich fassungslos, wenn ich von diesen problematischen „Fällen“ höre oder sie erlebe, in denen die Adoptiveltern einfach ihre Augen verschließen. Das ist naiv. Denn in einem späteren Alter, meist in der Pubertät passiert genau das mit diesen Kindern, was die Fachliteratur immer als „Horrorszenarien“ schildert: Sie lügen, stehlen, schlagen und prügeln sich, zerstören vor Wut die Einrichtung im Haus der Eltern, etc. Es sind diese Kinder, die die Literatur als „hochproblematisch“ bezeichnet. Doch soweit muss es meiner Meinung nach nicht kommen. Eltern können ihren Kindern helfen, frühzeitig. Doch dafür müssten sie Abschied nehmen von der Illusion, dass Adoptivfamilien ganz „normale“ Familien sind.

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Charlottes Sonntagslieblinge (9)

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Ben White, unsplash.com

Maxim und Nadeschda sind zauberhafte Kinder. Unser Leben mit ihnen ist alles andere als schwierig und problembehaftet, sondern meistens wunderbar. Deshalb blicke ich inspiriert von  Mirjam von Perfektwir auf meine eigenen, ganz persönlichen Lieblinge dieser Woche. Hier sind meine drei Sonntagslieblinge:

  1. Zwei zauberhafte Laternenumzüge haben für mich nun die Vorweihnachtszeit so langsam eingeläutet. Es ist so ein erhebendes Gefühl mit einem Kind, meinem Kind in der Dunkelheit durch Felder und Wiesen zu laufen, nur das Kerzenlicht der unzähligen Laternen leuchtet uns in der Dunkelheit den Weg. Es herrscht so eine heilige Stille, die nur das Rauschen der Blätter und die zarten Melodien der Martinslieder unterbrochen wird. Ich bin dankbar für diese besinnlichen Stunden.
  2. Meine Kinder haben in dieser Woche zum ersten Mal alleine die Spülmaschine ausgeräumt. Nadeschda ergriff mit ihrer hilfsbereiten Ader die Initiative: „Komm, Maxim, wir räumen die Spülmaschine aus. Dann hat Mama nicht so viel Arbeit.“
  3. Unsere Vorlesezeit hat sich deutlich verlängert. Es ist einfach schön, abends auf dem Bett zusammenzukuscheln und zu lesen. Die „Latte Igel“-Bücher sind aber auch zu spannend. Nun wollen wir uns damit beeilen, damit wir wieder – wie in jedem Jahr – in Astrid Lindgrens Weihnachtsgeschichten eintauchen können.

Wie jeden Sonntag, für heute bin ich dankbar und freue mich auf die neue Woche. Habt auch Ihr einen wunderbaren Start!