
Jakob Owens, unsplash.com
Neulich hatte ich einmal wieder ein ganzes Wochenende lang Seminar. Richard war mit Maxim und Nadeschda alleine Zuhause. Das Wochenende lief wie immer ab: Ich brach am Freitag Nachmittag aus einem ordentlich geputzten Haus zur Akademie auf. Gegen zehn Uhr abends kam ich zurück und fand das Haus im Chaos vor, während Richard mit einem alten Freund im Wohnzimmer saß und sich unterhielt. Schuhe, die überall im Esszimmer verstreut herum lagen, das Geschirr vom Nachmittagssnack stand auf der Spüle, die Spülmaschine war immer noch voll mit sauberem Geschirr, der Esstisch war bedeckt mit irgendwelchen Schnipseln von irgendeiner Bastelei, die Jacken lagen auf dem Boden neben der Eingangstür…. Nun Ihr könnt es Euch vorstellen… Aber das Ordnungsgefühl meiner Kinder und meines Mannes differiert gewaltig zu meinem eigenen, wie ja auch schon einmal geschrieben. „Ordnung ist eben sehr relativ“ und ein SEHR dehnbarer Begriff.
Nun, da wir Besuch hatten, scannte ich nur kurz das Erdgeschoss, schätzte, dass es mich am kommenden Morgen etwa eine halbe Stunde länger kosten würde aufzuräumen, und gesellte mich schweigend zu meinem Mann und unserem Besuch. Am Samstag folgte das gleiche Spiel. Ich stand früh auf, um das Haus in einem ordentlichen Zustand für mein Seminar zu verlassen und kehrte abends wieder in ein Chaos zurück. Diesmal kam ich erst gar nicht richtig zur Haustür hinein, da von Innen zwei Paar Schuhe Größe 48 und vier paar Schuhe in Größen etwas über 30 vor der Tür lagen. Für den Rest der Unordnung erspare ich Euch die Details und appelliere an Eure blühende Phantasie. Während Richard also noch unsere Kinder in den Schlaf begleitete und dabei dann selbst müde von den Strapazen des Tages einschlief – ich sah ihn an dem Abend nicht mehr – guckte ich stumm durch unser Haus, legte meinen Mantel ab und …. räumte auf. Ich stellte die Schuhe an ihren Platz, ich hing die Jacken auf, ich räumte die letzen Einkäufe und die Wochengemüselieferung des Biobauern weg, ich legte zwei Waschmaschinenladungen Wäsche zusammen, um es mir danach mit einem Glas Wein auf der Couch gemütlich zu machen.
Auf einmal frustrierte mich dieses Aufräumritual, was sich seit einem halben Jahr mindestens einmal im Monat abspielte, nicht mehr. Denn während ich nachdenklich in den Kissen versank, traf es mich wie der Blitz. Es war so müssig, mich darüber aufzuregen, dass unser Zuhause immer wie nach einem Tsunami aussah, wenn ich einmal zehn Stunden oder weniger weg war. Richard und meine Kinder würden nie ordentlich sein. Zumindest nicht so wie ich. Denn alle drei hatten etwas gemeinsam: Sie sind in „Choleriker“.
Kennt Ihr die griechische Lehre der vier Temperamente? Das Gedicht von den „Vier Temperamenten und dem Stein im Weg“ von Heinrich Peitmann macht das Naturell der vier Temperamente so schön anschaulich:
„Leicht springt über den Stein der Sanguiniker keck und mit Anmut,
Stolpert er trotzdem darob, macht er sich wenig daraus.
Grimmig stößt ihn beiseite` des Cholerikers kräftiger Fußtritt,
Und sein funkelndes Aug` freut sich des guten Erfolgs.
Kommt das Phlegma daher, so hemmt es gemäßigt die Schritte:
„Gehst du mir nicht aus dem Weg, gehe ich eben herum.“
Aber grübelnd vor ihm bleibt der Melancholiker stehen,
Unzufrieden`nen Gesichts über sein ewiges Pech.“
Ich saß auf unserem Sofa und dachte zurück an eine Szene, die wir am Nachmittag in der Akademie gelesen hatten: „Das cholerische Kind kommt! Man hört es am Schritt! Da! Er klingelt! Kräftig! Kurzes Warten! „Kommt noch keiner?“ Nochmals klingeln: Kräftiger! „Na endlich!“ Die Tür öffnet sich etwas langsam – also von außen gegendrücken. Hinein schnurstracks! Da steht die Mutter! Ein kurzer Gruß, kaum ein Blick! Er hat es eilig! Die Schultasche auf den Boden! Die Jacke ausziehen, Schuhe abstreifen! Weiter! Neuen Zielen zu.!“ Da spricht der Tatendrang. Ich dachte daran, wie sich diese Szene an einem der letzten Wochenenden abgespielt hatte, als ich am Sonntag Mittag schon von der Akademie zurückkam, die Kinder aber noch mit Richard auf einem Ausflug waren. Ich räumte natürlich wieder auf. Da klingelte es, nicht einmal, nicht zweimal, mindestens dreimal. Oder am besten Sturm, so dass ich schon Sorge hatte, dass der Klingelknopf stecken blieb. Maxim und Nadeschda stürmten herein, gefolgt von ihrem Vater. Ein lautes aber eiliges „Hallo Mama!“ Während Kinderjacken auf dem Boden landeten, Schuhe in die Ecke geschleudert wurden, breitete Richard den Inhalt seiner Jackentaschen auf dem Esszimmertisch aus, guckte schnell auf die Nachrichten in seinem Telefon, um sich dann eine Kaffee zu machen und zu sagen: „Ich hänge jetzt noch schnell die Lampe auf.“ Maxim und Nadeschda waren längst in ihren Zimmern verschwunden und spielten.
Menschen mit einem cholerischen Temperament sind mit großem Elan bei der Sache, begeistert erledigen sie die Dinge, die ihnen wichtig erscheinen und die ihnen Spaß machen. Ja, genauso können sie auch engagiert wütend und zornig sein. Zwei Eigenschaften, die wir sofort mit diesem Temperament assoziieren. Doch vielmehr gehören zu cholerischen Menschen Stärken wie Eigeninitiative, Durchhaltevermögen, Wahrheitsliebe, Begeisterungsfähigkeit, ständiger Einsatz für das Gute und ein hohes Gerechtigkeitsempfinden. Sie sind Menschen der Tat. Und deshalb haben sie auch keine Zeit aufzuräumen. An einem Wochenende müssen eben so viele andere wichtigere Dinge erledigt werden. Ich lächlte stumm in mich hinein, entdeckte vor meinen Füßen unter dem Wohnzimmertisch einen Hammer, den Maxim wohl vergessen hatte, hob ihn seufzend auf und dachte: „Ja, ich habe Euch lieb, eben so wie Ihr seid!“
P.S.: Wer mehr über die vier Temperamente erfahren will, findet auch bei Motherbirth einen wunderbaren Post zu „Die vier Temperamente“.