Lange ist es her, dass ich mit „dem Sekretär“ an Tante Tex Story-Samstag teilgenommen habe. Doch eingedenk ihres aktuellen Themas „Heiliger Bund“ muss ich einmal wieder mit einem Beitrag mitmachen, nachdem mich nun unsere eigenen Familienkonstellationen in den vergangenen Wochen viel beschäftigt haben. Weniger mit einer Kurzgeschichte als mit den faktischen (und vielleicht ein wenig wertenden) Schilderungen der Ehen meines Vaters.
Von den Ehe(n)-Frauen meines Vaters

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Meine Mutter war von anmutiger Gestalt, als mein Vater sie kennenlernte. Sie gaben ein hübsches Paar ab. Doch schon vor der Hochzeit übernahm der Standesdünkel, der die Jugend und Kindheit meiner Mutter geprägt hatte, das Regiment in der Beziehung meiner Eltern. Mein Vater durfte meine Mutter erst heiraten, als er seine Promotion abgeschlossen und einen vernünftigen Job gefunden hatte. An der Universität als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu arbeiten, galt als nicht standesgemäß. Das sollte noch gelingen, doch letztlich konnte meine Mutter sich nie von den Erwartungen und Anforderungen frei machen, die ihr ihre eigenen Eltern ins Lebensbuch geschrieben hatten. Und so war ihr Alltag dominiert davon, all das zu tun, was MAN von ihr erwartete und was MAN zu tun pflegte, egal, ob sie das wollte, geschweige denn konnte. Mein Vater bald aufgefressen von der Karriere und dem vielen Geld, das es galt zu verdienen, um meiner Mutter den Lebensstandard zu bieten, den MAN eben in den besseren Kreisen pflegte, glänzte Zuhause mit Abwesenheit und überließ meiner Mutter, die grundsätzlich nicht in der Lage war, Verantwortung für nichts und niemanden zu übernehmen, den Alltag mit Haus, Haushalt und zwei Kindern, der sie bald restlos überforderte und an die Flasche brachte. Glückliche Zeiten habe ich in der Ehe meiner Eltern nicht erlebt. Eher dominierte eine gefühllose und wenig emphatische Atmosphäre mein Elternhaus. Wahrscheinlich hätten sich meine Eltern bereits scheiden lassen sollen, als mein Bruder und ich noch klein waren. Doch dazu fehlte meiner Mutter sicher der Mut, und überhaupt, das tat MAN damals nicht. Koste es was es wolle, es wurde an dieser Ehe festgehalten. Erst als meine Mutter, da sie den normalen Alltag ob ihres Alkoholkonsums nicht mehr bewältigen konnte, das Hemdenbügeln für meinen Vater einstellte – und ich ins Ausland ging und insofern nicht einspringen konnte -, suchte mein Vater sich eine neue Frau, die ihm die Hemden bügelte. Nach zwanzig Ehejahren verließ er meine Mutter und zog mit Elvira zusammen.
Elvira, meine Stiefmutter, bügelte zunächst Hemden, dann ließ sie bald bügeln. Doch vielmehr war ihr die formvollendete Fassade einer Familie immer sehr wichtig. Familie war für sie ein starres formales Konstrukt, in das man sich einfügen musste, ob man wollte oder nicht. Hier galten für sie die unverrückbaren Maßstäbe und Regeln der „08-15-Mittelstands-Spießergesellschaft“. Alles passierte, weil man es so tat, weil man so sein wollte, wie die wohlhabende Freundin drei Häuser weiter, weil der Nachbar, der jeden Samstag sein Auto wusch und seinen Rasen mähte, es von einem erwartete. Als Frau machte man zwar eine Ausbildung, suchte sich aber einen wohlsituierten Mann zum Heiraten, bekam schnell einen ganzen Sack voller Kinder und bemühte sich dann als gestresste Hausfrau und Mutter um einen Teilzeitjob, damit man wenigsten sagen konnte, dass man arbeitete. Das große Haus mit Garten und Zimmern für jedes Kind musste dann schnell in einem repräsentativen Vorort her. Es wurde, wie man es als Mittelstandsfamilie tat, nach dem neusten Luxusmöbelkatalog eingerichtet. Die Designer-Couch war zwar nicht wirklich schön, aber sie galt als Statussymbol. Das eigene Pferd zum privaten Zeitvertreib war der willkommene Ausgleich für das fehlende Cabrio, das einfach mit drei Kindern unpraktisch gewesen wäre. Kinder waren nur Staffage und hatten sich in das starre Regelkonzept einzufügen. Wenn wir Kinder, vor allem ihre Stiefkinder, in ihrem Familienspiel nicht mitspielten, war Krach vorprogrammiert. Daniel und ich hatten selten mitgespielt. Nicht weil wir nicht wollten, sondern weil ihre Erwartungen uns so fremd waren.
Mein Vater fügte sich auch in diese Ehe, doch trat er auch hier bald die Flucht an. Noch einmal eine Familie, diesmal mit drei Kindern, wo doch die ersten Kinder schon aus dem Haus waren, war ihm eigentlich zu viel. Und vielleicht war ihm auch meine Stiefmutter zu viel. Wieder mit dem Vorwand, das viele Geld für den doch aufwendigen Lebenswandel zu verdienen, lebte er meist nur am Wochenende bei seiner zweiten Familie, wenn er sich nicht gerade heimlich mit Daniel oder mir traf. Denn nachdem Elvira gemerkt hatte, dass wir uns wenig in ihr Rollenmodell einer Familie einfügen wollten, und damit eine Bedrohung für ihre Ehe waren, ließen wir uns nicht mehr oft bei unserem Vater blicken. Lange Jahre machten wir zwar gute Miene zu bösem Spiel, doch im Rückblick war es ein Befreiungsschlag, als es zwischen mir und Elvira über die Adoption unserer Kinder zum offenen Bruch kam. Unter fadenscheinigen Begründungen hatte Elvira um die Taufe von Maxim und Nadeschda einen offenen Bruch geschaffen, auf den sie – und ich -zwanzig Jahre gewartet hatte. Als meine Kinder nun mit in diese kranke Ehe und Familie hineingezogen wurden, hatte ich die Schnauze endgültig voll von diesem ganzen formvollendeten Familienspiel. Ich hatte Elvira nie gemocht, von dem ersten Augenblick an, an dem ich sie vor all den Jahren kennenlernen musste. Lange ich hatte versucht, mich mit ihr als Frau meines Vaters zu arrangieren. Doch dann war der Punkt gekommen, an dem sie endlich die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen hatte. Ich war nicht mehr bereit, mich ihr gegenüber irgendwie zu verbiegen. Ich tat das, womit ich sie am meisten traf: Ich strich sie aus meinem Leben.
Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass wenige Jahre nach diesem Bruch, Elvira sich von meinem Vater trennte. Oder um es präzise zu formulieren, sie verließ ihn für einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, ihren Nachbarn. Ein Leben mit ihm dann doch attraktiver als mit einem dann schon Mitte siebzig-jährigen den Lebensabend zu verbringen. Mein Vater hatte für sie ausgedient.
Meine eigene Ehe ist zum Glück anders, auch wenn das ob der Rollenmodelle, die ich in meiner Herkunftsfamilie hatte, im Grunde verwunderlich ist. Richard und ich sind verheiratet, weil wir uns lieben, weil wir ein gemeinsames Ziel vor Augen hatten und haben und weil wir mit Maxim und Nadeschda eine vielleicht sogar besondere Aufgabe und Verantwortung haben. Denn diese beiden wunderbaren Kinder brauchen eine große Stabilität und Sicherheit, die wir ihnen als Eltern geben müssen. Dazu haben wir uns vor Jahren entschieden. Sie brauchen uns als Paar, dass ihnen verbindlich und unabdingbar zur Seite steht. Sie brauchen uns als starke Eltern. Gemeinsam. Zusammen. Damit ist unsere Ehe nicht etwas, was wir eingegangen sind, um gesellschaftliche Konventionen zu erfüllen. Sicherlich gibt es auch einmal schwierige Phasen und natürlich gibt es Tage, an denen ich meinen Mann am liebsten zum Mond schießen wollen würde. Doch wir arbeiten immer wieder an unserer Beziehung, was ein nie enden wollender Prozess des Lernens ist mit all seinen Höhen und Tiefen. In unserer Familienkonstellation stellt sich nicht die Frage, ob unsere Ehe auch scheitern könnte, ganz zu schweigen aus wohlmöglich niederen oder banalen Gründen. Wir haben uns das Versprechen gegeben, zu einander zu halten in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet. Insofern stellte sich nur die Frage, wie diese Ehe ein Leben lang gelingen kann. Für uns und vor allem für unsere Kinder.
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