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Ihr alle kennt doch sicherlich Michael Endes wunderbare Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“? Das haben wir gerade wieder gelesen. Natürlich bewegt die Geschichte meine Kinder, denn Jim ist ja ein Waisenjunge, der als kleines Baby per Paket auf Lummerland landet und dann von Frau Waas großgezogen wird. Als Lummerland zu klein wird, weil Jim zu groß, verlassen Lukas und Jim über Nacht die Insel und brechen zu großen Abenteuern auf. Nachdem sie die mandalanische Prinzessin Li Si aus den Fängen des Drachen Frau Mahlzahn gerettet haben, kommt es auf der Heimfahrt nach Mandala zu einem kleinen spannenden Dialog zwischen Jim und ihr. Li Si ist ganz überrascht, dass Jim, obwohl älter als sie, noch nicht lesen und schreiben kann. Jim laviert sich so ein wenig raus, obwohl ihm die Situation unangenehm ist. Unterm Strich beharrt Jim, darauf, dass er diese Fähigkeiten ja nicht braucht, er käme auch wunderbar ohne zurecht.
Als ich diese Szene nun neulich abends erneut Maxim und Nadeschda vorlas, musste ich ein wenig schmunzeln und an meine beiden kleinen Anstrengungsverweigerer denken. Als Maxim anfing in der ersten Klasse mit Schreiben, sagte er einmal zu mir: „Mama, warum muss ich das lernen? Ich kenne doch die Buchstaben auf der Tastatur. Das reicht doch. Dann tippe ich eben Briefe….“ – Wenn ich dies so schreibe, muss ich unfreiwillig an den Fortschritt der Technik seitdem denken, denn inzwischen müsste er noch nicht einmal mehr die Buchstaben kennen, sondern könnte alles diktieren. Ich kann einer höheren Macht danken, dass die gängigen Spracherkennungsprogramme nun doch noch nicht so gut funktionieren, dass meine Kinder auf die Idee kämen, nun gar nicht mehr schreiben lernen zu müssen.
Doch eine ähnliches Gespräch, wie es zwischen Jim und Li Si im Buch stattfand, hatten Maxim und ich dann doch in den vergangenen Tagen. Maxim lernt jetzt in der dritten Klasse gerade noch einmal richtig die Uhr – mechanisch und digital – lesen. Maxim fällt das sehr schwer. Ja, schon längt hätte er die Uhr lernen müssen, aber da es eben in unserem Alltag so ist, dass ich die Kinder überall hinfahren und abholen muss, wozu. Es war einfach nie die Notwendigkeit da, dass Maxim die Uhr lesen können musste. Auch wenn er mittlerweile mit seinen Freunden im Dorf alleine auf den Spielplatz geht. Da gibt es eine Kirchturmglocke, die schlägt. Und so waren die Abmachungen: „Wenn die Glocke fünfmal schlägt, kommst Du nach Hause.“ Das hat bisher immer wunderbar funktioniert. Nun haben wir uns also durch die Uhr gequält. Und so langsam geht es auch, jeden Tag eine wenig besser. Aber auch, weil wir eben jeden Tag üben. Und jeden Tag unserer guten Freundin der „Anstrengungsverweigerung“ mal für einen kurzen Moment, mal für eine ganze Weile „Guten Tag“ sagen.
Am vergangenen Wochenende war Maxim dann mit einem guten Freund verabredet. Schon zwanzig Minuten vor der Zeit war mein Sohn fertig angezogen, gefrühstückt und bereit für den Ausflug. In freudiger Erwartung kam er alle 30 Sekunden in die Küche, um zu fragen: „Mama, wie lange noch? Wann kommt denn der Karl?“ Als ich ihm sagte: „Schau auf die Uhr am Backofen und rechne es Dir aus.“ antwortete mein Sohn: „Nee, das kann ich nicht und ich brauche das auch nicht.“ Ich antwortete nur: „Okay, dann wirst Du eben nicht wissen, wie lange Du noch warten musst.“ Aber ich dachte bei mir: „Ja, irgendwie hat mein Sohn zumindest im Moment in seinem Leben recht, so behütet und umsorgt er wird, braucht er sich nicht um eine Uhrzeit kümmern. Das ist mit Sicherheit für die Zukunft nicht tragfähig, und genauso wie das Lesen und Schreiben ist das Lesen der Uhr eine Kulturfähigkeit, die er einfach irgendwann lernen muss, um im Leben zu bestehen.“ Und so lernen wir nun fleißig die Uhr. Auch wenn uns manchmal die „Anstrengungsverweigerung“ dabei im Wege steht.
Jim Knopf ist mit Sicherheit kein Anstrengungsverweigerer. Er lernt ja dann auch irgendwann Lesen und Schreiben mit Prinzessin Li Si. Doch ich fand die Verbindung von seiner Geschichte als Adoptivkind, die ihn auf seiner Reise ja auch einholt, und sein vehementes Ablehnen von Lesen und Schreiben können einfach sehr treffend für unsere immer wiederkehrende Situation.
Nehmt dies als Auftakt zu meiner versprochen Reihe an Beiträgen zum Thema „Anstrengungsverweigerung“ in den kommenden Wochen.
Das Wichtigste beim Erlernen neuer Fähigkeiten ist, dass das Kind einsieht, dass diese jetzt aktuell gebraucht werden. Bei meinem Sohn hat es sehr lange gedauert, bis er freiwillig gelernt hat.
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Für uns ist Jim Knopf (Kim Knopf, sagts Kind) vor allem Botschafter für braune Haut… Obwohl als Thailänderin aus Bangkok nicht wirklich dunkel, macht meine 5 Jährige jetzt schon einen Unterschied zwischen ihrem und unserem Teint. Ihre Sprache ist noch nicht so weit, Jim’s Anstrengungsvermeidung wahrzunehmen, aber ich bin mir jetzt schon sicher, sie wird im geeigneten Moment darauf hinweisen! Danke für die interessante Ansicht!
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Danke Dir für Deinen Kommentar! 😉 Ja, Jim Knopf steht für so vieles. Wir Leser interpretieren viel in ihn und auch sein Schöpfer hatte seinen eigenen Ideen. Vor allem ist Jim aber ein unglaublich mutiger und tapferer Junge, und in dem fern ab von einer Anstrengungsvermeidung. Mir kam der Gedanke „nur“ bei der entsprechenden beschriebenen Sequenz im Buch. Zudem beschäftigt ihn seine Geschichte und Herkunft. Er ist eben auch ein Adoptivkind wie meine, aber dennoch phänomenal wie viele Kinder sich mit ihm identifizieren können. 😉 Weil er so vielen in unterschiedlichen Aspekten aus der Seele spricht….
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