„Mehr arbeiten können wir uns nicht leisten…“

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Gestern mittag, als ich mit Nadeschda am Bahnhof auf Maxim’s Rückkehr von einem Klassenausflug wartete, führte ich so eines dieser Müttergespräche mit einer anderen wartenden und befreundeten Mutter. Meine befreundete Mutter hatte mir schon vor ein paar Wochen erzählt, dass ihr Chef sie gefragt hatte, ob sie nicht ein paar Stunden mehr arbeiten wollte und könnte. Nachdem sie erst einmal Dampf abgelassen hatte, dass ihre Mutter sie einmal wieder als „Babysitterin“ im Stich gelassen hatte, fuhr sie weiter fort: „Und dann ging mir noch einmal durch den Kopf, dass ich ja eigentlich ein paar Stunden mehr arbeiten wollte. Aber wenn ich dafür einen bezahlten Babysitter engagieren muss… Weißt Du, ich habe zu meinem Mann gestern gesagt: Das können wir vergessen. Dass ich mehr arbeite, können wir uns nicht leisten! Ich müsste ja Geld mitbringen, um zu arbeiten und um die Betreuung unserer Kinder zu gewährleisten.“ Nach einem Moment des Schweigens fügte sie noch an: „Das ist einfach absurd….“

Das ist auf der einen Seite ein gewisses „Luxusleiden“, wenn ich die aktuellen Beiträge von Claire von Mama streikt lese. Bei ihr geht es um etwas ganz anderes und bekommt mit der sich abzeichnenden existenziellen Not eine ganz andere Dimension. Claire findet keinen Job, obwohl sie super qualifiziert ist, da sie durch die Betreuungsaufgaben für ihre Kinder als Alleinerziehende gebunden ist. Das wird ihr wahrscheinlich niemand so sagen, liegt aber auf der Hand. Und dann ist da noch die systemimmanente Ungerechtigkeit, dass der Kindesunterhalt von Hart IV abgezogen wird. Da wird es mir echt schlecht! Und ich frage mich, wer sich denn solche Regelungen ausdenkt. Genauso wie der Ausbau des Betreuungsangebots bis 22:00h, damit man der Schichtarbeit in vielen Bereichen gerecht wird. Haben wir dann auch Kindergartenbetreuung im Schichtbetrieb oder Schulunterricht im Schichtbetrieb? „Ach, von Montag bis Mittwoch habt Ihr Spätunterricht in der Schule. Der ist mit meinem Schichtplan abgestimmt…“ Das soll funktionieren? Mal ganz abgesehen davon, dass JEDER Erziehungsratgeber davon spricht, dass Kinder Rhythmus und Routine brauchen, dass sie Schlaf brauchen, um fit zu sein, um den Lernstoff aufzunehmen. Und JEDER weiß, dass wir hier eben nicht über Schlaf egal zu welcher Uhrzeit reden, sondern über den vor zwölf Uhr nachts.

Nun, unser Leben findet ohnehin fern ab von all dem statt. Muss es auch. Als wir uns vor mehr als acht Jahren in den Adoptionsprozess begaben, war mir zwar klar, dass ich mindestens für ein Jahr meinen Job an den Nagel hängen musste. Da redeten wir aber über ein Kind und über eine Großmutter nebenan. Und ich war trotz aller Fachliteratur noch so naiv, dass ich glaubte, alle Traumatisierungen könne man in einem Jahr heilen. Nun, es wurden zwei Kinder – wofür ich dem Schicksal ewig dankbar bin. Die Großmutter starb leider viel zu schnell – wofür ich das Schicksal ewig verfluche -, das hatte sie auf keine Fall verdient. Und die Traumatisierungen meiner Kinder lassen sich nun eben auch nicht in einem Jahr heilen, sondern sind auch nach sieben Jahren immer noch virulent. Wir haben akzeptiert, dass Maxim und Nadeschda mehr Förderung und Fürsorge als andere Kinder brauchen. Sie sind High-Need Kinder. Erst vor ein paar Tagen hatten wir ein Gespräch mit einer Lehrerin, die uns noch einmal sehr deutlich machte, dass Nadeschda die häusliche Unterstützung braucht. Ich habe daraufhin ein Jobangebot, in dem ich bis 16:00 Uhr hätte arbeiten müssen, abgelehnt. Das hätte nicht funktioniert. Ich kann nicht mit meinen Kindern um 16:30 Uhr anfangen, für die Schule zu arbeiten. Im Gegensatz zu Claire bin ich in der privilegierten Situation, dass ich allein aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus gerne wieder arbeiten möchte, um nicht zu lange vom Arbeitsmarkt weg zu sein, um drin zu bleiben. Denn wer sagt uns, dass mein Mann auf immer und ewig seinen Job behalten wird. Oder was ist, wenn er ihn aus irgendwelchen Gründen nicht mehr ausüben kann. Eine Garantie auf ein sorgenfreies Leben gibt es eben nicht. Auch bei uns nicht. So verhält es sich auch bei der eingangs erwähnten befreundeten Mutter. Sie arbeitet, um den Anschluss nicht zu verlieren, um ggf. falls bei ihrem Mann etwas schief läuft, die Möglichkeit auf einen Job zu haben, der zumindest in weiten Teilen die Familie ernährt. Doch wenn es so ist, dass sie Geld mitbringen muss, um das zu bekommen, dann ist eben das Ende der Fahnenstange erreicht.

Und viel mehr noch ist das Ende der Fahnenstange erreicht, und die Zeit endlich umzudenken mehr als überschritten, wenn hochqualifizierte aber eben alleinerziehende Mütter nicht mehr die Chance bekommen, ihre Kinder so gut zu versorgen, wie es ihre Kinder brauchen. Dann haben wir kein „Luxusproblem“, sondern ein ernsthaftes. Ein wirklich ernsthaftes und existenzielles!

13 Gedanken zu “„Mehr arbeiten können wir uns nicht leisten…“

  1. Ich bin gerade mehr als schockiert, dass das Kindergeld vom Hartz IV Satz abgezogen wird. Also wird man auch noch bestraft, wenn man Kinder hat und (unverschuldet) Arbeitslos ist. Und wer muss es ausbaden? Die Kinder! Und dann wird gebrüllt über zunehmende Kinderarmut und zu dickere Kinder (meiner Meinung nach ist da auch ein Zusammenhang), verrohung der Gesellschaft ect. pp. Da kriegt man doch aaaaargh! Meine Freundin ist auch alleinerziehend und arbeitslos, zu Vorstellungsgesprächen wird sie zu Hauf eingeladen, aber unflexibel wegen Kind? Sorry, nicht mit uns.

    Und auch das arbeiten gehen damit man die Betreuung bezahlt bekommt, kenne ich auch. Vor dem selben Problem stehe ich. Kita Platz, sofern man einen bekommt, 360 €. Das muss man erst einmal verdienen.

    Und meine Schwester bekommt eine Absage nach der anderen bei Bewerbungen für Erzieherin….

    Setzen 6.

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    • Liebe Pluechen,
      danke für Deine Worte! Kaum zu glauben, wie viele in dieser Situation sind.
      Nur eines zur Ergänzung: Es ist der Kindesunterhalt bei geschiedenen Ehepaaren, der angerechnet wird. Ich glaube und hoffe, dass es nicht das Kindergeld ist… Nichtsdestotrotz ändert das nichts an der Misere, die unerträglich ist.
      Liebe Grüße
      Charlotte

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      • Leider wird das Kindergeld voll auf den Hartz IV Regelsatz angerechnet, wie auch sonst alles. Der Regelsatz beläuft sich zu Zeit auf einen Betrag zwischen 237€ und 311€ pro Kind, je nach Alter, nicht mehr und nicht weniger. Im Gegenteil, sollte das Kind ein Einkommen erzielen, dass über diesem Betrag liegt, zum Beispiel durch Kindergeld und Unterhalt, wird dieser Überschuß mit dem AlG2 der Mutter verrechnet.
        Geht die Mutter einem 450€Job nach, hat sie einen Freibetrag von 100€, der Rest wird mit dem Alg2 verrechnet, genauso wie bei jedem Single. Hat eine Mutter 2-3 Kinder, kann man sich ausrechnen, wieviel für jeden übrigbleibt. Kinderfreibeträge gibt es in dem System nämlich nicht. Trotzdem gibt es viele AE in Minijobs, da sie das Geld dringend brauchen und es Jobs sind, die während der Kinderbetreuungszeiten gemacht werden können. Und diese Frauen sind beileibe nicht alle schlecht qualifiziert. Ist man sozialversicherungspflichtig beschäftigt und muß aufstocken, sieht die Situation kaum besser aus. Die Freibeträge sind gestaffelt. Ich habe bei einer 18h woche bspw. 1250€ im Monat, da beläuft sich der Freibetrag auf 300€, also der Betrag, den ich mehr habe, als einer, der nur ALG2 bezieht. Dringend benötigtes Geld bei drei Töchtern! Bekomme ich Weihnachtsgeld, wird dieses jedoch wieder voll verrechnet ohne Freibeträge. Haben meine Kinder kein Recht auf Weihnachten? Muß ich am Jahresende nicht auch Versicherungen etc bezahlen? Wir müssen nicht hungern, aber die Mathenachhilfe ist nur schwer zu bezahlen und die Hürden des BuT sind an der Stelle sehr hoch. Erst wenn in einem Fach mindestens 2 Fünfen hintereinander geschrieben wurden, darf man überhaupt daran denken, einen Antrag zu stellen, also wenn das Kind schon im Brunnen liegt. Aber Kinder kommen an erster Stelle. Also spart man bei sich selbst: Neue Kleidung erst, wenn die alte kurz vor dem Auseinanderfallen ist, kein Friseur und die neue dringend benötigte Brille geht auch nicht. Ja, werden manche dann sagen, arbeite doch mehr als 18h oder gib deinem Kind doch selbst Nachhilfe, bei 18h haste ja Zeit. Aber wie so viele Mütter konnte ich nach der Elternzeit nicht in meinen Beruf zurück, wegen der Unvereinbarkeit der Betreuungszeiten mit den Arbeitszeiten. Daher betreue ich jetzt Kinder im Nachmittagsbereich einer Grundschule an drei Tagen in der Woche. Das gibt nicht mehr als 18h her. An den anderen beiden Tagen hat mich mein Arbeitgeber freigestellt, damit ich berufbegleitend eine neue Ausbildung machen kann. Also weder Zeit noch Geld. Aber im Gegensatz zu vielen anderen in der gleichen Situation haben wir wenigstens eine Perspektive. Sorry, jetz ist der Text sehr lang geworden.
        Liebe Grüße
        Iris

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      • Liebe Iris,
        hab tausend Dank für Deinen Kommentar! Auch wenn er sehr lang ist, so doch um so erhellender! Und sehr wichtig! Danke dafür! Irgendwie ist er nur im System hängen geblieben – wollte da jemand, dass das nicht gelesen wird? – daher die späte Reaktion….
        Hab Dank für die Schilderung Deiner Situation und der „Richtigstellung“ von der ein oder anderen Mythe.
        Liebe Grüße
        Charlotte

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    • Liebe Claire, das brauchst Du auch nicht. 😉 Ebenso haben mich Deine Beiträge sehr betroffen gemacht und ich konnte und wollte sie nicht einfach so stehen lassen. Ich wünsche Dir einfach aus der Ferne nur alles erdenklich Gute, das Du brauchst, um in Deiner Situation weiter zu bestehen!
      Ganz liebe Grüße zurück
      Charlotte

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  2. Das Kindergeld wird sehr wohl mit Hartz 4 verrechnet!

    Ich selbst arbeite minimal und merke, dass das für meine Pflegekinder mehr als genug ist, auch wenn mir das viele nicht so recht glauben, zumal man uns ja den Achtstundenkitaplatz aufgedrängt hat (den ich noch nicht einen voll Tag wahrgenommen habe).
    Wir sind durch das Pflegegeld ja zusätzlich abgesichert, hier besteht kein Grund zur Klage, aber wenn ich die Kinder stattdessen adoptiert oder selbst High-Need-Kinder geboren hätte … ich stände wohl schnell bei Hartz 4 oder vor dem totalen Durchdrehen.
    Natalie

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    • Liebe Natalie, danke für diese Korrektur!
      Ich konnte mich inhaltlich nur auf Claire’s Beiträge beziehen, und da ging es aus verständlichen Gründen um den Kindesunterhalt. Dass das Kindergeld nun doch tatsächlich auch abgezogen, angerechnet, wie auch immer wird, macht die Sache aber auch nicht besser. Im Gegenteil….
      Liebe Grüße Charlotte

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      • Liebe Charlotte,
        ich hatte in meinem Beitrag an den Bundesarbeitsminister gefordert, dass mit der Praxis aufgehört werden soll, dass Kindergeld, Unterhalt und Unterhaltsvorschuss angerechnet wird auf Hartz-4 als Einkommen. Das war der vorletzte Beitrag und das ist leider die gängige Praxis. Pflegegeld wird glaube ich auf Hartz-4 nicht als Einkommen angerechnet, wenn man Kinder hat, die eine Pflegestufe haben.
        Herzliche Grüße, Claire

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      • Liebe Claire, ja, das stimmt. Ich hatte irgendwie nur den Kindesunterhalt im Fokus, vielleicht auch, weil ich in meinem Freundeskreis genau diese Diskussionen bei sich trennenden Frauen mitbekomme. Und Natalie sagte ja, dass das Pflegegeld nicht angerecht wird. Aber egal wie, dass überhaupt irgendetwas abgezogen wird, was originär den Kindern zu Gute kommt, ist eine bodenlose Ungerechtigkeit. Egal was und wie. Das steht den Kindern zu, egal wie der Status der Mutter ist.
        Liebe Grüße
        Charlotte

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  3. Pingback: Charlotte’s Sonntagslieblinge (87) | Charlotte's Adoptionsblog ©

  4. Da ich morgen mal wieder 20€ für eine Zusatzstunde Kindergarten bezahlen muss, um eine Zusatzstunde arbeiten zu können (müssen), trifft dein Beitrag echt meinen Nerv. Grmpf. Mehr arbeiten kann ich mir definitiv auch nicht leisten!

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