„Zweite Karriere“ in der Mitte des Lebens – der Weg ist das Ziel

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Photo by Laura Kapfer on unsplash.com

Diese Sommerferien stellten für uns so eine kleine Zäsur da. Zwei Jahre Ausbildung sind für mich zu Ende gegangen. Nach den Ferien fügt sich unser Alltag in einigen Teilen neu. Wie mein Weg nun weitergeht, wird sich zeigen. Um so mehr bin ich zur Zeit empfänglich für Impulse, die sich mit der Suche und dem Beschreiten neuer Wege beschäftigen. Erst im Urlaub stieß ich wieder einmal auf einen spannenden Artikel in einer einschlägigen Frauenzeitschrift, in der es um den neuen Dreh im Leben ging, um die neue Aufbruchstimmung in der Lebensmitte. Glückliche und stabile Ehe, gesunde, wohlgeratene Kinder und ein Job, der eine bis zum Rentenalter erfüllt, und dann in den Hafen der Sicherheit bis zum Ende des Lebens einfahren, das war gestern. „Die Lebensmitte ist eine Buckelpiste und kein Spaziergang.“, schreibt die Autorin Antje Gardyan. Wie wahr! Immer häufiger begegnen mir Artikel und Geschichten von Menschen, die in der Mitte ihres Lebens einen neuen Weg einschlagen, ihren alt hergebrachten Lebenspfade verlassen und sich aufmachen zu neuen Ufern. So auch ich. Vor zwei Jahren entschied ich mich, meinen Job in der Kommunikationsbranche endgültig aufzugeben und einen neuen Weg zu beschreiten.

Während ich hier schreibe, fällt mir wieder die Geschichte von den zwei Söhnen ein, die von ihrem Vater in die Welt geschickt wurden, mit dem Auftrag, Spuren in der Welt zu hinterlassen. Der eine war emsig dabei, entlang seines Weges Zeichen zu hinterlassen, Stöckchen, Bänder, Bilder. So sehr war er damit beschäftigt, seine Werke zu erstellen, dass er wenig vom Weg um ihn herum mitbekam. Der andere ging entlang des Weges und immer wenn er jemanden traf, suchte er das Gespräch mit dem Menschen, der ihm begegnete. Nach ihrer Rückkehr, ging der Vater mit ihnen erneut den Weg. Von den Stöckchen, Bändern, Bildern und Zeichen des ersten Sohnes waren nicht mehr viele da, vom Wind zerstört, vom Regen durchnässt, von der Sonne verblichen. Doch an jeden Ort entlang des Weges, in den sie kamen, erinnerten sich die Menschen an den zweiten Sohn, begrüßten ihn freudig, erkundigten sich, wie es ihm ergangen war. Gerne erinnerten sie sich an ihn und die fruchtbaren Gespräche, die sie mit ihm, diesem so freundlichen und frohen Jungen geführt hatten.

Im Grunde jedoch begann mein Weg einer „zweiten Karriere“ mit der Ankunft meiner Kinder vor etlichen Jahren. Auch wenn es mir erst im Laufe der Zeit bewusst geworden ist, so war die Ankunft unserer Kinder die einschneidendste Veränderung in meinem Leben. Nichts würde so bleiben, wie es mal war. In vielen Bereichen, über das bloße Muttersein hinaus, begann ich neue Wege zu gehen. Das hing zum einen mit unserer Geschichte zusammen, wie wir eine Familie wurden, zum anderen mit den besonderen Bedürfnissen meiner Kinder, die eine Rückkehr in mein altes Berufsleben unmöglich machten, ihm aber auch den letzten Sinn nahmen. Es ging eben nicht mehr darum „Stöckchen zu basteln“ und „gewichtige Zeichen zu entwickeln“, die an mich auf meinem Lebensweg erinnerten, sondern es ging alleine darum, diese zwei Kinder fürsorglich und heilend in ihr eigenes Leben zu begleiten, ihnen zur Seite zu stehen, sie zu stärken, sie sich entwicklen zu lassen, damit sie irgendwann in der Lage sind, ihren eigenen Weg zu gehen. Das war nun meine Lebensaufgabe und sie wird es auch noch eine ganze Weile bleiben.

Dennoch blieb eine Motivation in meinem Leben: Auch wenn ich beruflich zum Wohle meiner Kinder deutlich zurücksteckte, so wollte ich doch mit zunehmendem Alter der Kinder ein Stück meiner eigenen Autonomie wieder erlangen. Meine Kinder würden mich mit der Zeit immer weniger brauchen. Insofern war für mich immer klar, dass ich irgendwann wieder regelmäßig einem Beruf nachgehen wollen würde. Hatte ich mich wegen meiner Kinder bereits in den vergangenen Jahren viel mit erziehungsrelevanten Themen rund um die Entwicklung und pädagogische Begleitung von Kindern beschäftigt, lag eine berufliche Perspektive in der Arbeit und der Begleitung von Kindern nun nahe. Es schien ein Wink des Schicksals zu sein, dass in der Waldorfbewegung dringend Lehrer gesucht wurden und daher das Ausbildungsangebot deutlich erweitert wurde. „Ich höre Dich förmlich ins Telefon hineinlachen.“ sagte mein Bruder, als ich ihm von der Möglichkeit der Ausbildung zum Waldorfklassenlehrer erzählte. Ja, es fühlte sich richtig an. Doch nicht nur, um meinem Leben über das Mutter und Autorin Sein hinaus einen Sinn zu geben, sondern auch, um meine Kinder so gut ich konnte durch ihre Schulzeit zu begleiten und daran mit ihnen zu wachsen. Und so machte ich mich auf den Weg, Lehrerin zu werden.

In den zwei Jahren Studium habe ich viel gelernt. Nicht unbedingt, eine perfekte Lehrerin zu werden, auch wenn ich erfahren habe, dass mir bestimmten Gaben für die Arbeit mit Kindern gegeben sind. Vielleicht wird es auch so sein, dass ich in der Begegnung und der Begleitung von Kindern positive Spuren hinterlassen kann, wie der eine Sohn in der Geschichte, der mit seinen Gesprächen und Impulsen den Menschen in Erinnerung blieb. Ungeachtet dessen habe ich auf jeden Fall gelernt, meine Kinder sicher bis zum Abitur durch die Schule zu begleiten. Dafür fühle ich mehr als gut gerüstet. Ich habe die Waldorfpädagogik ein gutes Stück durchdrungen. So weiß ich nun auch, wo die Schwächen der Waldorfpädagogik liegen, gerade mit Blick auf die Bedürfnisse meiner Kinder. Am Ende der zwei Jahre, die oft eine organisatorische und emotionale Herausforderung waren, bleibt neben den Erfahrungen im Seminar der Anfang für ein neues Buch. Es wäre mein zweites, in meiner „Karriere“ als Mutter. Und wiederum eines, dass vielleicht in einer kleinen Nische etwas bewegen kann. Genauso wie mein erstes Buch. Vielleicht ist nach allem auch das die größte Lernerfahrung: Bewusst meinen Herzensangelegenheiten zu folgen.

Vor allem aber hat mich die Zeit gelehrt, das Leben nun etappenweise zu nehmen, klare Prioritäten zu setzen und immer wieder neu zu fokussieren. Am Ende zählt der Weg und nicht das Ziel. Das Leben ist, solange es dauert, ein fortlaufender Prozess, in dem Stillstand und Ankommen oft nur trügerische Phantasien sind.

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