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Was brauchen Familien wirklich? – Blogparade

Wecker auf Schreibtisch, Bücher im Hintergrund, Breitbild

Mit freundlicher Unterstützung von Fotolia

Fast hatte ich es geahnt, dass es keine gute Idee ist, mit einem Beitrag zu Sunnybees Blogparade so lange zu warten. Der Arbeitsalltag vor den Ferien an der Schule mit einer neuen Theaterproduktion hat mich etwas überrollt. Aber nun gut. So ist es nun einmal. 

Auf der anderen Seite hatte ich nun genug Zeit nachzudenken, mich ein wenig zu sortieren. Denn nach Sunnybees Beitrag sind mir so viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Als erstes kam mir da mehr Zeit, die ich mir für Familien für ihre Kinder wünsche. Egal wo ich bin, höre ich immer wieder: „Ich wünsche mir mehr Zeit. Mehr Zeit für mich, für meine Kinder.“ Zweitens fällt man als Frau und Mutter natürlich immer wieder in die „Falle“ der Gleichberechtigung. Auch mich bewegt das immer einmal wieder. Denn auch wir leben Zuhause nicht die „Gleichberechtigung“. Wir folgen eher dem Credo, wer am meisten verdient, bestimmt, und die anderen haben zu folgen. Aber seitdem ich mir noch einmal klar gemacht habe, dass mein Mann auch nur so erfolgreich arbeiten kann, weil ich ihm mit allem den Rücken freihalte, und ich im Grunde die „Hauptverdienerin“ in unserer Familie bin, habe ich damit zumindest für mich und mein Leben für eine Weile Frieden geschlossen. Und drittens ist dann da die ganze so wichtige Diskussion um Fürsorgearbeit und deren Anerkennung, in der Claire von mamastreikt so wunderbare Dienste tut. Hier ist ein Umdenken in unserer Gesellschaft so zwingend notwendig. Nicht nur damit die Generation unserer Eltern gut versorgt ist, sondern vor allem auch damit unserer Kinder ein Zuhause haben, in dem sie sich gesund entwicklen können. 

Das ist mein eigentliches Anliegen. Wie Ihr wisst beschäftige ich mich zwangsläufig immer wieder damit, wie es gelingen kann, Kinder, und vor allem meine Kinder gesund und heilend aufwachsen zu lassen. Dabei geht es auch um die gesunde Balance zwischen Beruf und Muttersein. Entgegen aller Überlegungen werde ich nun zum Sommer noch einmal meine Stelle an der Schule erweitern und eine eigene Klasse übernehmen. Ich bin bemüht, dass wir das gut hinbekommen. Und ich hoffe sehr, dass es funktioniert. Gerade in den vergangenen Woche schaue ich daher immer wieder darauf, was uns gut tut und was nicht. 

Aber das ist nicht das Eigentliche, was ich mir heute für Familien wünsche . Erschütternd und zum Denken erneut angeregt hat mich ein Buch, dass ich im Rahmen meines eigenen Forschungsprojektes angefangen habe zu lesen, in dem der Autor an vielen Stellen sehr eindrücklich schildert, dass es im Grunde immer mehr traumatisierte Kinder, oder konkreter beziehungstraumatisierte Kinder in unserer Gesellschaft gibt, weil die Rahmenbedingungen einfach nicht mehr gegeben sind, in denen Kinder auch mit zwei Eltern gesund aufwachsen können. Zu sehr in den Zwängen unserer Leistungsgesellschaft gefangen und oft auch aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus stehen Eltern ihren Kindern nicht mehr so zur Verfügung wie sie es vielleicht brauchen. Und die Welt, in der unsere Kinder aufwachsen, ist längst auch schon keine heile mehr. Die Anforderungen an die Kinder sind schon viel zu früh viel zu groß für sie. Kind sein ist nicht mehr erlaubt, vielmehr werden sie oft in jeglicher Hinsicht schon zu führ zu kleinen Erwachsenen. 

Bei vielen Kindern mag das gut gehen, bei immer mehr aber nicht mehr. Dann fallen sie auf. Meist zuerst in der Schule. Plötzlich werden Kinder zu Problemen, die den Unterricht sprengen, die Klassenkameraden bedrohen, die die Lehrkräfte beschimpfen, die ausbrechen wollen aus dem stark reglementierten und einengenden Alltag. Hilfe bekommen sie, wenn überhaupt zu spät. Denn selbst wenn Eltern sehen, dass ihre Kinder Hilfe brauchen, die über ein sorgendes und fürsorgliches Zuhause hinausgehen, dann ist diese Hilfe in so vielen Fällen so schwer zu bekommen. Nicht nur, dass das Angebot von guten Therapeuten klein ist, einen Platz zu bekommen ist noch einmal schwieriger, von finanzieller Unterstützung hierfür ganz zu schweigen. Durch ewige Mühlen der Bürokratie mit unzähligen Hürden muss eine Familie durch, um die Unterstützung zu bekommen, die ihr Kind vielleicht braucht. Oft dauert dies Prozess Monate. Ob es dann die Hilfe ist, die wirklich zum Kind passt und es heilen lässt, ist fraglich. Zu oft – wenn die Situation in der Schule nicht mehr tragbar ist – wird der Weg über eine „Notfalldiagnostik“ gegangen. Die Kinder werden in eine Klinik eingewiesen, in denen sie zwar – manchmal über Monate – eine akute therapeutische Hilfe bekommen. Doch wirklich beginnen zu heilen und zu wachsen können sie nicht. Oft folgt eine Odyssee von Klinikaufenthalten, an deren Ende oft eine gebrochene Kinderseele steht. 

Wenn denn schon unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist, und das Leben von Leistung und Druck dominiert ist, in dem unserer Kinder selten einen guten Platz haben, dann würde ich mir zumindest wünschen, dass der Zugang zu Hilfe für diese Kinder einfacher ist. Dass es auch Familien, die nicht über die finanziellen Freiräume verfügen, einfach und unkompliziert therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen können, vielleicht sogar für sich selbst auch. (Denn oft sind Beziehungstraumatisierungen verursacht durch ein generationsmäßiges Übertragen von Traumata aus der Kindheit der Eltern.) Ich wünsche mir weniger Hemmschwellen, Hilfe und Unterstützung zu bekommen, nicht nur weniger bürokratische Hemmschwellen, sondern vor allem auch gesellschaftliche und emotionale. Es ist nicht schlimm, wenn ein Kind in der Schule verhaltensauffällig wird. Es ist nur seine Form des Schreis nach Hilfe, nach Beachtung und Wahrnehmung. Schlimm ist, wenn dieses Kind vielleicht gehört wird, ihm aber die Hilfe, die es braucht, verwehrt wird. Das darf nicht sein. Und ich wünsche mir, dass sich genau das ändert. 

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Charlotte’s Sonntagslieblinge (133)

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Der Frühling hält Einzug, wir haben die Uhr auf Sommerzeit gestellt, das vermeidlich neue Jahr ist nun schon drei Monate alt. Die Zeit schreitet unaufhaltsam voran. Ich muss manchmal an mich halten, nicht in innere Hektik und Unruhe zu verfallen, weil meine To Do Listen nicht kleiner werden, weil die Sorge hochkommt, doch nicht alles zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Nicht immer von einem Punkt auf der Agenda zum nächsten zu hetzten. Ich muss noch besser lernen mich abzugrenzen. In manchen Dingen gelingt mir das, in anderen nicht immer. Prioritäten setzen, entscheiden, was wirklich wichtig ist. Auch mal „Nein!“ sagen. Auch mal öfter „Nein!“ sagen. Nicht immer für alles die Verantwortung zu übernehmen. So bin ich heute für diese drei Sonntagslieblinge dankbar, wo ich „Nein“ gesagt habe:

  1. In der Schule höre ich mit den Osterferien im Hort auf zu arbeiten, ich werde mehr Unterrichtsstunden übernehmen und muss mich auf meine neue Klasse vorbereiten. Eine Nachfolge haben sie für mich immer noch nicht gefunden. Erst wollte die Schulleitung ein Konzept haben, wie der Hort sich nun zukünftig aufstellt. Lange war ich versucht, es zuschreiben. Doch dann erinnerte ich mich, dass es nicht meine Verantwortung und Aufgabe ist. Das muss meine Kollegin machen (die am Rande bemerkt auch dafür bezahlt wird) und nicht ich. Nur meckern geht eben nicht…
  2. Auch im Elternbeirat habe ich meine Aufgaben niedergelegt. Ich könnte sie zwar beibehalten, aber natürlich käme ich dann zunehmend in Rollenkonflikte. Und auch hier muss ich mich nicht müde machen, die Eltern davon zu überzeugen, dass sie über den Elternbeirat Einfluss an der Schule geltend machen können. Auch hier, nicht nur auf dem Schulparkplatz meckern, sondern mal machen…
  3. Und mit Blick auf Maxim’s Therapieversuche gegen seine Kopfschmerzen habe ich nach der Erkenntnis vor ein paar Wochen eine Therapie endgültig abgesagt, nachdem ich ja schon die ganze Zeit spürte, dass das nichts bringt. Ich fühlte mich erleichtert, ein wenig befreit und freute mich mit meinem Sohn über einen freien Nachmittag.

Habt einen wunderbaren Frühlingssonntag, hoffentlich, und einen ausgeruhten Start in die neue Woche.

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Vom Umgang mit der „Anstrengungsverweigerung“

Vor einigen Jahren war ich auf einem Vortrag von Bettina Bonus zu „Anstrengungsverweigerung bei Adoptivkindern“. Viel sprach sie von hochproblematischen, traumatisierten Kindern, die sich mit zunehmenden Alter immer mehr jeder Anstrengung verweigern, die sich mit zunehmender Aggression jeder Form von Leistungsanforderung entziehen und später an einem bürgerlichen Leben scheitern. So unterhaltsam die Art der Präsentation dieses schwierigen und heiklen Themas von Bettina Bonus war, ihre Ausführungen trieben mir die kalte Angst in die Glieder. Ich rettete mich mit meinem Glauben, dass es meine eigenen Kinder in ihrem Leben, bevor sie zu uns kamen, nicht so hart getroffen hatte, und wir von vielem verschont bleiben würden.

Heute, Jahre später muss ich gestehen, dass sich die Vorzeichen einer „Anstrengungsverweigerung“ auch bei Maxim und Nadeschda zeigen. Maxim’s Wut beim Üben für die Schule oder Nadeschdas Verweigerung bei manchen Therapeuten mitzumachen – wie ich es in meiner Kolumne zum Leistungsdruck geschildert habe – oder auch Nadeschda’s Tendenz sich in der Schule der Arbeit charmant zu entziehen. All das kann auf eine Anstrengungsverweigerung hindeuten. Nach bald zwei Jahren Schule haben wir mit diesen Tendenzen jedoch einen guten Umgang gefunden. Sie machen mir keine Angst mehr.

In ihrem Vortrag damals riet Bettina Bonus zu etlichen Maßnahmen, wie man als Adoptiveltern mit dieser Verweigerung umgehen könnte: In einem sklavisch durchstrukturierten Tagesablauf sollten die Eltern ihre Kinder eng begleiten. Zur Schule, ja bis zum Klassenzimmer bringen, von der Schule abholen, Hausaufgaben und am Nachmittag Zuhause machen, gefolgt von täglichem Üben. Idealerweise sollten Adoptivkinder einen Leistungssport betreiben, Schwimmen wäre dabei besser als Fussball oder ein Kampfsport. Genauso sollten sie ein orchesterfähiges Instrument spielen, für das sie jeden Tag üben müssten. Der Konsum von elektronischen Medien sollte weitestgehend verboten sein, da er das passive Verhalten, das einer Anstrengungsverweigerung innewohnt, nur begünstigen würde. Als Schulform favorisierte Bettina Bonus die Waldorfschule. Damals mit zwei Kindergartenkindern nahm ich diese Empfehlungen zwar wohlwollend auf, doch glaubte ich, dass unser Leben später mit dem Schuleintritt nicht so rigide aussehen würde.

Doch neulich musste ich, als ich an den Vortrag zurückdachte, schmunzeln: Maxim und Nadeschda besuchen eine Waldorfschule. Wir bringen sie jeden Morgen in die Schule bis in den Klassenraum – und werden dies allein aus logistischen Gründen auch tun müssen, bis sie das Abitur haben, denn es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel dorthin -, mit beiden Kindern mache ich mittlerweile die Hausaufgaben nachmittags zuhause, gefolgt von täglichem Üben. Beide spielen ein Instrument, für das sie jeden Tag üben müssen. Mit Ballett und Zirkusakrobatik verfolgen beide einen Sport, sie körperlich fordert und sie vor allem vor Aufführungen zu hartem Trainieren zwingt. Das Konzept Fernsehen kennen meine Kinder nicht, selbst einen CD-Spieler für Hör-CDs besitzen wir nicht. Die tägliche Routine zahlt sich aus. Diskussionen oder Wutausbrüche über das Üben und Lernen haben dramatisch abgenommen. Es gehört jetzt einfach dazu. Mehr noch, findet es einmal nicht statt, wird es sogar manchmal von Maxim und Nadeschda eingefordert. Auch wenn ich es damals von mir geschoben habe, so gestaltet sich mittlerweile unser Alltag ähnlich, wie ihn Bettina Bonus damals umrissen hat.

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Drei Schritte vor und zwei zurück? – Nadeschda’s Schulentwicklung

hands of parent and child silhouette on nature

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Immer dann, wenn wir wieder einmal einen großen Meilenstein in unserem Leben bewältigt haben, wenn eines meiner Kinder einen großen Schritt vorangegangen ist, gebe ich mich der Illusion hin, dass doch eines Tages auch bei uns alles einmal „normal“ sein wird. Es geht ohne große Schwierigkeiten weiter voran. Meine Kinder erleben eine Kindheit wie jedes andere Kind auch, mit ihren Freizeitaktivitäten, mit ihren Freunden und mit dem, was Kinder vor allem tun wollen und sollten, mit unheimlich viel Spielen. Keine Therapien, keine außer der Reihe-Arztbesuche, keine zusätzliche Förderung.

Doch das wird eine Illusion bleiben. Denn immer dann, wenn ich gerade das Bild im Kopf habe, das der Kinderzug nun sicher auf seinen Schienen fährt, ruckelt irgendetwas oder irgendjemand an den Gleisen und der Zug gerät aus der Spur. Klar, denke ich, wie kann auch der bildliche Kinderzug stabil fahren, wenn unter den Gleisen das Kiesbett nie ordentlich angelegt wurde, ihnen das frühkindliche Vertrauen und die fürsorgliche Obhut der ersten Lebensmonate und -jahre fehlt. Diesen Kies wieder aufzufüllen, ist mühselig und schwierig. Denn wir können nicht alle Schienen abbauen und alles von Anfang an wieder neu aufbauen und anlegen. Wir können nur an den brüchigen, instabilen Stellen etwas Fundament auffüllen. Doch auch da rieselt der Kies manchmal einfach weg.

Nadeschda tat und tut sich nach wie vor schwer mit der Schule. Ja, sie geht gerne hin. Wenn ich sie mit ihren Klassenkameradinnen beobachte, habe ich das Gefühl, dass sie ein glückliches Kind ist und sich in ihrer Klasse wohlfühlt. Dennoch hält ihre nachmittägliche Überforderung, wie ich sie ja schon mal in „Mehr im Einklang mit meinen Adoptivkindern“  beschrieben hatte, an.

Um noch einmal einen vollständigen Blick auf meine Tochter in der Schule zu bekommen, sprach ich vor ein paar Wochen mit ihrer Klassenlehrerin. Es war wie immer ein sehr wohlwollendes und offenes Gespräch. Sie bestätigte meinen Eindruck, dass Nadeschda auf der einen Seite ein sehr glückliches Mädchen in der Schule sei. Dennoch trotz all des Lobes über die wunderbare Entwicklung meiner Tochter kamen zwei Themen zu Tage, die ich in den vergangenen Monaten und beinahe Jahren gut verdrängt hatte.

Zum einen sprach mich Nadeschdas Lehrerin auf Nadeschdas Hüfte an. Irgendwie hätte sie den Eindruck, dass da etwas blockiere, und damit Nadeschdas Hand und Fußkoordination leide. Da war er wieder der „Zombie“ aus unserem ersten Jahr nach der Ankunft der Kinder. Damals schienen wir glimpflich weg gekommen zu sein. Andere Schwierigkeiten waren damals dringlicher. Zudem hatte man uns an vielen Stellen gesagt, dass eine mögliche Hüftfehlstellung, so wie sie bei Nadeschda möglicherweise vorhanden sei, sich auswachsen könnte. Doch nun kam Nadeschdas mögliches Problem mit der Hüfte zurück. Und das sollten wir dringend abklären. Nun, ich war dankbar für meine Hartnäckigkeit in der vergangenen Woche; denn bereits für Ende Januar habe ich einen Termin für eine genauere Diagnose und mögliche Behandlung bekommen.

Zum anderen beschrieb Nadeschdas Lehrerin ihr Verhalten beim „Arbeiten“ in der Klasse so, dass bei mir alle Alarmglocken anschlugen. Ja, sie würde schon interessiert mitarbeiten, doch die Lehrerin oder auch die Substitutslehrer müssten sie eng begleiten. Denn sie sei immer sehr schnell dabei, sich ablenken zu lassen oder auch andere abzulenken. Wenn die Kinder gemeinsam strickten, würde Nadeschda zwar so tun, als strickte sie, doch viel lieber schwatzte sie mit ihrer Tischnachbarin. Ginge es um das Malen und schreiben, wäre sie eine gewitzte Geschichtenerzählerin, um möglichst von der Sache abzulenken. Leise, still und heimlich zeigte sich bei meiner Tochter also auch die Vermeidungsstrategie. Das Arbeiten in der Schule war für sie eine anstrengende Herausforderung, auch wenn dies alles noch nichts mit einem schulischen Leistungsdruck zu tun hatte. Doch Nadeschda versuchte schon jetzt sich dem zu entziehen, so gut es ging. Sie tat das mit der Überlebensstrategie ihres einzigartigen Charmes, auf den schon so mancher hereingefallen war. Und selbst ihre Klassenlehrerin war ein Stück weit auf sie hereingefallen. Denn eher schmunzelnd und amüsiert schilderte sie mir Nadeschdas Verhalten.

Ich bin dankbar, dass wir diesmal schon früh erkannt haben, dass auch Nadeschda dieses vielen Adoptivkindern so typische Vermeidungsverhalten zeigt. So haben wir jetzt noch die Chance, ohne den tatsächlichen schulischen Druck, sie genauso wie Maxim – aber viel spielerischer – zum regelmäßigen Üben zu bewegen. So dass es einfach eine Routine wird, die nicht mehr in Frage gestellt wird. Doch wird Nadeschda auch hier weitere therapeutische Hilfe brauchen. Ab Januar werden wir ihre Kunsttherapie wieder aufgreifen und fortführen, um so zu versuchen, ihr die Angst zu versagen auch auf eine andere Art zu nehmen.

Es liegt nun wieder eine Phase von viel „Arbeit“ – denn die Therapien sind für Nadeschda anstrengend und bewegend und haben wenig mit Spass gemein – vor uns. Da geht sie also hin, die Illusion von einem „normalen“ Alltag. Doch auch wenn sich ein Funken Schwermut breit macht, so denke ich auch, dass genau das wichtig ist, um genauso die vielen wunderbaren Dinge, die meine Tochter meistert, als ein großes Geschenk anzunehmen. Wie glücklich macht es mich, dass Nadeschda aus eigenem Antrieb nun beschlossen hat, Klavier zu spielen und Unterricht zu nehmen. Als die Klavierlehrerin nach der ersten Stunde sagte: „Sie scheint Talent zu haben und feinmotorisch sehe ich hier überhaupt kein Problem.“ ging mir das Herz auf.

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Wenn das „Wutmonster“ zurückkehrt…

little boy holding sad face mask

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Ich soll es nicht so nennen, hat mir Maxim’s Therapeutin geraten. Damit würde ich die Wut meines Kindes bewerten und moralisieren. Ich tue es dennoch, denn für mich ist es ein „Monster“, das „Wutmonster“, das seit ein paar Wochen wieder zunehmend verstärkt die Kontrolle über meinen Sohn übernommen hat. Denn wenn die Wut ihn vollständig für sich eingenommen hat, dann hat es beinahe etwas angsteinflössendes, dieses Etwas, was da in meinem Sohn rumort und brodelt. Gestern trieb es ihn zu bisher nicht da gewesenen Zerstörungskräften.

Maxim besucht seit zwei Jahren eine Waldorf-Schule. Die Kinder sind oft sehr starke Persönlichkeiten, die sich gerne aneinander reiben. Gerade in seiner Klasse hatten und haben wir immer wieder Schwierigkeiten mit der „Disziplin“ unter den Jungen. Da geht es oft zur Sache. Kräftemessen und Machtkämpfe stehen immer noch auf der Tagesordnung. Auch Maxim muss sich darin immer neu behaupten. Und natürlich will er sich auch nicht unterordnen. Was gut so ist. Allerdings beobachte ich, dass er in den letzten Wochen immer mehr mit einem zunehmenden Zorn nach Hause gekommen ist. Ungeachtet eines zunehmenden Gebrauchs an übelsten Schimpfworten, schubst er gerne, tritt Gegenstände weg, knallt Türen, etc. – Meist lasse ich ihn erst einmal im Garten rumtoben, bis seine Wut verraucht ist. Manchmal muss ich auch eingreifen, wenn er gegen seine Schwester geht. Dann gibt es die „Auszeit“ auf dem Stuhl, wobei ich bei ihm sitzen bleibe. Oder wenn es Überhand nimmt, muss er auch in sein Zimmer gehen. Alles verlief aber bisher in geregelten und handhabbaren Bahnen. Vor allem beruhigte er sich irgendwann nach ein paar Minuten und spätestens nach einer halben Stunde war seine Wut verflogen.

Nicht so gestern Abend. Der Nachmittag war schon gespickt mit immer wieder aufflammender Wut und kleinen oder größeren Zornesausbrüchen. Kleinigkeiten, die nicht so funktionierten oder nicht so liefen, wie Maxim wollte, ließen das kleine rote Wutmonster hervorkommen. So als säße es die ganze Zeit auf seiner Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Schrei mal A*loch!“, „Trete mal den Schuh weg!“, „Hau gegen die Mülltonne!“ Erst am späten Nachmittag, als er sich in sein Zimmer zurückzog und schnitzte, schien er sich zu beruhigen. Das Abendessen verlief friedlich, das Bettfertigmachen auch, genauso wie unser allabendliches Vorlese-Ritual. Doch als Maxim dann ins Bett gehen und schlafen sollte, übernahm das Wutmonster. „Ich will nicht schlafen.“ verkündete es. Alles gute Zureden half nicht. Stattdessen begann Maxim, zunächst allen Inhalt seines Bettes in sein Zimmer zu feuern, Decke, Kissen, Stofftiere. Er riss die Weltkarte von der Wand.“Alles blöd, will ich nicht.“ Wenn ich ihn aufhalten wollte, trat er um sich. Dabei auch mir ins Gesicht. Mittlerweile war auch ich sauer und meine Geduld am Ende. Wahrscheinlich die falsche Reaktion. Denn jetzt hatte Maxim’s Wutmonster ja den perfekten Gegenspieler. Und so wütete er weiter. Spielzeug flog aus den Regalen. Beim Radlager wurde die Schaufel abgebrochen. Ich versuchte Maxim festzuhalten, was weder die richtige Reaktion, noch ihn irgendwie zum Einlenken bewegte. Im Gegenteil. Mittlerweile kämpfte mein Sohn ums Überleben. Mit einer unvorstellbaren Kraft. Durch meinen Kopf schossen Bilder aus der Zukunft, wenn Maxim einmal ausgewachsen und in der Pubertät sei und dann in seiner Wut das ganze Haus auseinander nehmen würde. Hatte ich vorher den Gedanken gehabt, sein Zimmer zu verlassen und ihn allein sich seiner Wut zu überlassen, so hatte ich jetzt Angst zu gehen. Denn ich befürchtete, dass er sich etwas antun könnte.

Wie der „Deus ex Machina“ kam Richard plötzlich in Maxim’s Zimmer, nahm ihn auf den Arm, ging mit ihm ins Wohnzimmer, legte sich mit ihm auf die Couch und hielt ihn fest umarmt, bis Maxim eingeschlafen war. Das Wutmonster zog sich wieder zurück.

Wir wissen, dass Maxim’s Wutausbrüche zum einen mit der Situation unter den Jungen in seiner Klasse zu tun haben können. Zum anderen sind sie aber auch ein erneuter Schub in seiner Traumaverarbeitung, bei der wir ihm helfen müssen. In dem Moment, wo sein Leben für ihn in sicheren und geordneten Bahnen verläuft, er sich sicher fühlt, er auf eine stabile Bindung zu Richard und mir bauen kann, kommt die unermessliche Wut hoch. Die Wut auf das, was er als kleines Kind entbehren musste, die Wut und der Schmerz aus seinen frühkindlichen Verletzungen. Sie äußert sich in genau dem Gegenteil, in dem Zorn und der Ablehnung von allem, was er nun hat und was ihm gut tut. Irgendwann wird Maxim diese Wut verarbeitet haben, aber es wird immer wieder Situationen in seinem Leben geben, in denen sie zurückkehren wird. Das „Wutmonster“ ist sein ständiger Begleiter. Wir können ihm nur helfen, einen anderen Umgang damit zu finden. Ich werde versuchen, nicht mehr auf die Tanzeinladungen seines „Wutmonsters“ einzusteigen. In seiner Therapie werden wir wieder mehr an seiner Wut arbeiten. Und er bekommt vom Christkind einen Boxsack!

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#bestofElternblogs – mein bester Beitrag im November

Anja von der Kellerbande ruft regelmäßig zum 1. des Monats zu den besten Beiträgen der Elternblogs auf. Spannend da dann doch noch einmal in die eigenen Statistiken zu schauen – mein bester Beitrag im November war „Der Stumme Schrei nach Hilfe“. Habt lieben Dank für Euer Lesen, Klicken, Teilhaben,….