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Sind Adoptivfamilien von der Gesellschaft akzeptiert? – Mein Interview bei „We are Family“

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Mit freundlicher Unterstützung von Pixabay

„We are Family“, eine Reihe von betreut.de, in der Blogs rund um interessante und vielleicht auf kuriose Familienkonstellationen vorgestellt werden, hatte mich für ein Interview und die Vorstellung meines Blogs angefragt. Gerne habe ich mitgemacht. Spannend fand ich vor allem die Frage, ob meiner Meinung nach unser Familienkonstrukt von der Gesellschaft akzeptiert ist. Nachdem ich zuerst dachte, ja eigentlich schon, kam ich dann beim Schreiben der Antwort zu einem anderen Schluss. Aber lest selbst:

Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie sehr empfindest du dein Familienmodell als von der Gesellschaft akzeptiert?

(0 = überhaupt nicht akzeptiert, 10 = vollständig akzeptiert)

5 hätte ich gesagt, aber nicht wegen der gesunden Mitte, sondern weil es viele in der Gesellschaft gibt, die tatsächlich großen Respekt und Bewunderung haben für die Verantwortung, die wir als Eltern übernommen haben; aber es gibt ebenso mindestens genauso viele, die voll sind mit Vorurteilen aufgrund von Nichtwissen und Ahnungslosigkeit. Und wenn ich die Gesellschaft mit dem Staat gleichsetze, dann ist unser Familienmodell nur bedingt akzeptiert. Denn in vielerlei Hinsicht werden Adoptivfamilien finanziell benachteiligt, so etwa bei der steuerlichen Absetzbarkeit der Adoptionskosten (reproduktionsmedizinische Kosten dürfen als Sonderausgaben abgesetzt werden, Reisekosten und Verwaltungsgebühren für eine Adoption nicht) oder auch der Gleichstellung in der Mütterrente. (…)

Das vollständige Interview könnt Ihr hier lesen.

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Zum Gebrauch von elektronischen Medien bei Adoptivkindern (reloaded)

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Danke an Pixabay

Maxim hatte gerade in der Schule eine Epoche zu „Menschenkunde und Medienkompetenz“. Das war eine spannende Erfahrung für uns alle in der Familie. Nachdem ich auf der einen Seite zunächst überrascht und schockiert war, wie und wie viele elektronische Medien in den Häusern seiner Klassenkameraden genutzt werden, freute es mich auf der anderen Seite umso mehr, als ich im Epochenheft meines Sohnes folgenden Text unter der Überschrift „Medien bei uns Zuhause“ lesen durfte:

„Wir haben einen Fernseher Zuhause. Da dürfen wir manchmal Peter Pan oder andere Filme schauen, aber nur wenn am nächsten Tag keine Schule ist. Meine Mutter hat einen Computer. Auf dem arbeitet sie und schreibt, oder sie schaut manchmal Sachen für uns Kinder nach. Mein Papa muss manchmal auf einem Laptop Zuhause arbeiten. Ich lese Bücher. Und mehr brauche ich auch nicht. Vielleicht hätte ich gerne ein Handy, um mit meinen Freunden zu telefonieren. Aber mehr nicht. Was eine Wii oder NInetendo sind, weiß ich gar nicht. (…)“ 

Eingedenk unserer Erfahrungen mit Blick auf die Gedächtnisleistung von Maxim und der Auseinandersetzung mit den Ratschlägen von Bettina Bonus zum Medienkonsum von Adoptivkindern pflegen wir tatsächlich Zuhause nach wie vor einen sehr restriktiven Umgang mit jeglicher Art von elektronischen Medien. Und ich selbst habe in der Begleitung dieser Epoche in der Schule auch erst einmal lernen müssen, was es da alles gibt. Technologisch gesehen hatte ich wirklich zeitweise das Gefühl Zuhause in der Steinzeit zu leben, auch wenn die wenigen Medien, die wir haben, tatsächlich immer State of the Art sind. Ich war mir der Vielfalt der Medien, mit denen Kinder theoretisch versorgt und konfrontiert sein können, überhaupt nicht bewusst. Geschweige denn war ich mir der Tatsache bewusst, dass auch an einer Waldorfschule in vielen Elternhäusern der kontinuierliche Gebrauch von elektronischen Medien bei den Kindern immer mehr zunimmt. Das ins Bewusstsein zu rufen und auch unter den Kindern in der Klasse zu diskutieren, war wohl auch eines der Ansinnen der Klassenlehrerin.

Allerdings ist bei unserem Sohn, der nun zu der Gruppe an Kindern gehört, die alleine für sich schon einmal gar keine elektronischen Medien haben, noch nicht einmal einen CD-Spieler, das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen. Denn anstatt zu realisieren, dass er sich in einer recht großen Gruppe von Kindern befindet, die keine Wii und keinen Gameboy haben, hat die Auseinandersetzung mit dem Thema bei ihm dazu geführt, dass nun erstmal neue Begehrlichkeiten geweckt wurden. Vielleicht lag es auch einfach schlicht an der Tatsache, dass wir mit der Advents- und Vorweihnachtszeit uns ohnehin in einer Zeit des Wünschens befinden…Nun denn, es brauchte ein paar Diskussionen hier Zuhause, um ihm klar zu machen, dass wir bei unserer Linie bleiben und es weder ein Smartphone noch elektronisches Spielzeug zu Weihnachten gibt. Aber um so beruhigter war ich, als er danach in sein Zimmer ging und dann doch wieder seine Feuerwehrstation aufbaute, und einmal wieder seine beliebten Rettungsspiele spielte.

Ich bin gespannt, wie lange wir das noch so durchhalten können. Denn natürlich kann ich Maxim nicht vollständig von elektronischen Medien abschotten. Dessen bin ich mir bewusst. Wenn seine Freunde die Dinge Zuhause haben und er sich mit diesen zum Spielen verabredet, werde ich nicht verhindern können, dass er dann einen ganzen Nachmittag unter Umständen entweder vor einer Flimmerkiste hockt, oder am Tablet irgendwelche Spiele spielt. Und ich kann auch nicht den anderen Eltern verbieten, meinen Sohn elektronischen Medien in ihrem Hause auszusetzen. Es bleibt ein Drahtseilakt. Aber Maxim’s Text gab mir die Bestätigung, so weiter mit elektronischen Medien hier Zuhause umzugehen, wie wir es bisher getan haben.

 

 

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Von der Wut einer Adoptivmutter – über Helikoptereltern und „Rabeneltern“…

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Photo by Gabriel Matula on unsplash.com

Manchmal bin ich wütend, einfach nur wütend. Immer noch sind wir auf der Suche nach den Ursachen von Maxim’s Kopfschmerzen. Auch ein neuerlicher Termin beim Neurologen hat keine neuen Erkenntnisse gebracht. Und immer mehr läuft es darauf hinaus, dass die Kopfschmerzen durch Stress und innere Anspannung verursacht werden, so wie ich es ja schon vor ein paar Wochen vermutet hatte.

Vor ein paar Tagen war ich in Maxim’s Klasse, um mit der Klassenlehrerin eine Theateraufführung mit den Kindern vorzubereiten. Ich war entsetzt über die Lautstärke, die da herrschte. Langsam wunderte es mich nicht mehr, dass mein Sohn sich kaum im Unterricht konzentrieren kann, neuer Stoff für ihn eine immer größer werdende Herausforderung ist. Wie anstrengend muss es sein, sich in diesem lauten Chaos auch nur irgendwie ein wenig zu konzentrieren? Auch beim Mittagessen und in der Hausaufgabenbetreuung entwickelt sich die Lautstärke mittlerweile zu einem offensichtlichen Thema. Mit strengem und konsequentem Durchgreifen gelingt es uns Betreuerin langsam mehr Ruhe zu schaffen. Aber Spaß macht es nicht. Die Klassenlehrerin weiß um das Problem, ist aber langsam auch mit ihren Lösungsideen am Ende. In der Klasse sind nahezu ein Drittel verhaltensorigineller Kinder, die vor allem durch Lautstärke und respektloses Verhalten auffallen. Diese Kinder bräuchten Hilfe. Hilfe im Elternhaus und vielleicht auch externe Unterstützung, denn ihr auffälliges Verhalten ist doch nur ein lauter Schrei nach Hilfe und Aufmerksamkeit. Doch die Eltern dieser Kinder machen nichts. Im Gegenteil, selbst wenn die Klassenlehrerin schon Therapeutentermine vereinbart, dann ist es mittlerweile nicht nur einmal passiert, dass die Eltern diese Termine mit ihren Kindern nicht wahrgenommen haben.

Da stehen mir die Haare zu Berge! Nicht nur, weil es mir um diese Kinder leid tut, sondern vor allem, weil mein eigener Sohn leidet. Physisch leidet und psychisch leidet. Denn die Kopfschmerzen sind das eine, seine Frustration, dass er im Unterricht nichts mitbekommt und dann auch noch Zuhause mehr lernen und üben muss, ist das andere. Gepaart mit dem Gefühl dumm zu sein und nicht zu können. Hinzukommen die Sorgen und das Rennen von einen Spezialisten zum anderen, von Therapeuten zu Therapeuten. Und am Ende sind es im Grunde die Eltern der anderen leidenden Kinder, die die Ursache allen Übels sind, weil sie sich einfach nicht kümmern, weil es in ihren Augen die Verantwortung der Schule ist, weil es okay ist, einem Kind keine Grenzen aufzuzeigen, weil es viel bequemer ist, alles einfach laufen zu lassen. Oh ja, Zuhause findet dann nur noch „Wohlfühlzeit“ statt, bloss keine Konflikte und Probleme angehen…

Und um meiner Wut nun endgültig Luft zu machen, über diese Eltern ist nichts in Presse und Literatur zu lesen. Stattdessen erobern Bücher über „Helikoptereltern“, wie gerade das aktuelle von Lena Greiner und Carola Padtberg „Ich muss mit auf Klassenfahrt – meine Tochter kann sonst nicht schlafen!“, die Bestsellerlisten, in denen überfürsorgliche Eltern, ja zugegeben durchaus unterhaltsam, auf die Schippe genommen und vorgeführt werden. Das mag ja sein, dass das Phänomen der Helikoptereltern durchaus problematisch ist und eine ganze Generation von hilflosen und überbehüteten Kindern herangezogen wird, die später im Leben vielleicht nur schwer alleine zurecht kommen. – Was ich persönlich allerdings nicht glaube. – Doch über die andere Seite der Medaille, nämlich über die Eltern, die sich zu wenig oder unzureichend um ihre Kinder kümmern, wird viel zu wenig in der Öffentlichkeit geschrieben und gesprochen. – Was ist eigentlich das Gegenteil von Helikoptereltern? Sind es die „Rabeneltern“? – Ist ja auch klar, das wäre längst nicht so unterhaltsam und belustigend zu lesen, wie ein WhatsApp-Chat einer Elterngruppe, wenn die Kinder auf Klassenfahrt sind. Nein, im Gegenteil, es wäre eher traurig und ernüchternd.

Ich stehe dazu: ich bin eine überfürsorgliche Mutter. Nach wie vor bin ich eine Helikoptermutter aus Überzeugung. Daran hat sich in all den Jahren nicht geändert. Und die Situation in Maxim’s Klasse bestätigt mich, dass dies im Falle meiner Kinder richtig ist. Denn nur so kann ich ihnen vielleicht helfen, mit den anderen herausfordernden Kindern umzugehen, sie stark zu machen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Wenn nicht alleine, dann eben mit mir an ihrer Seite.

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Vom Umgang mit Lehrern…

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Photo by Animesh Basnet on unsplash.com

Wie oft passiert es, dass es einen Anruf der Schule gibt, oder eine unerwartete Mail des Lehrers kommt, dass sie netto gesagt unsere traumatisierten Adoptivkinder gerade nicht mehr handhaben können. Jetzt mal unterm Strich, meine Kinder sind so gut umsorgt -und therapiert möchte ich fast sagen – , dass sie nicht unangenehm auffallen. Im Gegenteil. Sie beschweren sich und es ist ihnen zutiefst zu wider, wenn sie regelunkonformes Verhalten wahrnehmen und erleben oder gar Opfer dessen sind. Das hat aber vielleicht auch etwas damit zu tun, dass meine Kinder extrem behütet, wenn nicht sogar überbehütet sind. Und ich einen sehr, wirklich SEHR engen Kontakt zur Schule halte.

Mike Berry von Confessionsofanadoptiveparent hat wieder einen wunderbaren Post veröffentlicht, wie man als Adoptiveltern gut mit der Schule zusammenarbeiten kann, um so bestmöglich für sein Adoptivkind einzustehen. Ich war beruhigt, den Post zu lesen, denn er hat mich in allem bestätigt, was ich tue. Gerade in den vergangenen Wochen kam das zum Tragen. Und es zahlte sich aus, dass ich einfach nun jeden Tag an der Schule bin und insofern auch ein intensives Networking betreiben kann. Ich bin mir dabei auch der Tatsache bewusst, dass dies eine absolute Ausnahmesituation ist, denn ich lebe nun in der Zwitterrolle auf der einen Seite Mutter an der Schule meiner Kinder zu sein – und dann auch noch nicht ohne Einfluss, denn noch sitze ich im Aufsichtsrat – und auf der anderen Seite Kollegin zu sein. Da kann ich schnell ganz viel zwischen Tür und Angel oder auf dem Pausenhof besprechen, oder einfach auch Beziehungspflege für ein gutes Miteinander betreiben.

Nadeschda war aus unterschiedlichen Gründen – Nein, nicht aus verschiedenen, sondern der eine Grund ist uns klar: Sie ist frühtraumatisiert und deshalb rauscht vieles vom Unterricht an ihr vorbei. – von ihrer Klassenlehrerin für den Förderunterricht vorgeschlagen.  Das erwischte uns etwas kalt vor den Ferien, aber wir fuhren die Hinhaltetaktik mit ganz viel Beziehungsarbeit bei der Klassenlehrerin. Das funktionierte auch wunderbar, denn sie ließ sich darauf ein, erst noch einmal bis nach den Ferien abzuwarten. Nun habe ich, durch Zufall, mit der Förderlehrerin sprechen können, die mir sagte, dass meine häusliche Förderung doch viel besser und wirkungsvoller sei. Ein paar Tage später traf ich – weil ich ja nun immer jeden Tag an der Schule bin, die Heileurythmistin, die schon Großartiges bei Nadeschda bewirkt hatte, und machte mit ihr aus, dass sie ein paar Einheiten für Nadeschda im Herbst wieder vorsehen würde. Das alles schrieb ich auch der Klassenlehrerin. Richard befürchtete schon, dass sie nun „bocken“ würde. Und da nahm ich doch heute die Chance war, als sie so entspannt auf dem Schulhof saß, und betrieb einfach etwas Beziehungspflege: Lobte ihr Theaterstück mit den Kindern, ihr großartiges Malen mit den Kindern, etc. Und überhaupt, dass sie das alles ganz wunderbar macht.  Im Verlauf des Gesprächs ging sie von sich aus auf meine Mails ein, sagte, dass sie dankbar dafür wäre, und sie würde das dann mit der Heileurythmie organisieren, und es wäre ja so schön, dass ich ohnehin schon mit der Förderlehrerin in Kontakt bin.

Nein, sie ist nicht bockig und es wird auch nicht zu Nadeschdas Nachteil sein, dass wir uns um die Dinge kümmern, die eigentlich die Aufgabe der Klassenlehrerin wären. Im Gegenteil, diese Lehrerin ist einfach froh, dass sie uns hat, und dass wir uns so engagieren, wie wir das tun.

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#bestofElternblogs im Januar

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Photo by Annie Spratt on unsplash.com

Anja von der Kellerbande ruft regelmäßig zum 1. des Monats zu den besten Beiträgen der Elternblogs auf. Und wie immer mache ich gerne mit. Besonders jetzt zum neuen Jahr, das hoffentlich für Euch so wunderbar gestartet ist wie bei uns.

Mein meist gelesener Beitrag im Dezember war „Von Vorurteilen – Wenn ein gut gemeintes Lob doch eine Ohrfeige ist“, in dem ich davon erzähle, wenn ein vermeintlich gut gemeintes Lob doch zu einer Ohrfeige wird, wenn subtil mitschwingt, dass man meinen Kinder wegen ihrer Herkunft ein gutes Benehmen nicht zutraut.

Spannend war auch, Anja’s Aufruf zu folgen und zu sehen, welche mein erfolgreichster bzw. am meisten aufgerufener Beitrag im vergangenen Jahr war. Es hat mich auf der einen Seite ein wenig überrascht, aber dann auch wieder nicht, denn wahrscheinlich ist unter Adoptivfamilien, das einfach eines der bewegendsten Themen. Am meisten aufgerufen wurde „Vom Umgang mit der „Anstrengungsverweigerung““, ein erster Beitrag in einer Reihe von einigen im vergangenen Jahr, in dem ich mich mit der „Anstrengungsverweigerung“ bei meinen Kindern auseinandersetze und erzähle, wie wir damit langsam einen Umgang gefunden haben. Immer noch gibt es viele Höhen und Tiefen, und es ist ein Thema, in dem es zwei Schritte vor und mindestens einen immer wieder zurückgeht. Auch in diesem neuen Jahr werde ich das Thema weiter bearbeiten, denn es ist inzwischen zu einer guten alten Freundin geworden…

Wie immer, danke ich Euch allen für’s Lesen, Liken und Kommentieren. Habt einen gelungenen Start in das Neue Jahr!

P.S. Mehr zum Thema „Anstrengungsverweigerung“ findest Du unter anderem in diesen Beiträgen:

Von der Anstrengungsverweigerung (2)- Oder wie mein Sohn sich „schlecht verkaufte“

Vom Umgang mit der Anstrengungsverweigerung (3) – Zu den Ursachen

Vom Umgang mit der Anstrengungsverweigerung (4) – Zum Gebrauch von elektronische Medien

 

 

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Von Vorurteilen – Wenn ein gut gemeintes Lob doch eine Ohrfeige ist

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Photo by Annie Spratt on unsplash.com

Die Welt ist klein, auch wenn man in einem Ballungsgebiet wie wir leben. Denn neulich erzählte mir unsere Kinderfrau, die in der nächst größeren Stadt lebt, dass sie in ihrem Sportstudio eine Nachbarin von uns getroffen habe. Dies sprach sie wohl an: „Sie sind doch jetzt bei der Familie, die die zwei Kinder aus Russland adoptiert hat? (…) Ach, die sind ja so wohlerzogen.“

Das mag ja schön sein, dass an unserem Wohnort die Leute den Eindruck haben, dass meine Kinder wohlerzogen sind. Und so war es wohl auch als ein Kompliment gemeint. Doch kam es bei mir wie eine Ohrfeige an. Denn für mich schwang mit: „Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass russische Adoptivkinder sich so gut benehmen können.“ Da waren sie wieder die Vorurteile. Lange hatten sie uns nicht beschäftigt. In den vergangenen Jahren hatten wir ohnehin recht wenig Kontakt an unserem Wohnort, seitdem Maxim und Nadeschda in einen anderen Kindergarten und Schule gegangen waren. Doch offensichtlich ist der Stempel der „Russenkinder“ geblieben.

Als mein Ärger verrauchte, dachte ich an einen Ausspruch von Bettina Bonus auf einem ihrer Vorträge, der ungefähr sinngemäß so lautete: „Achten Sie auf das Äußerliche Ihrer Kinder. Denn so ecken sie weniger an und fallen weniger auf. Ziehen Sie ihrem Sohn ruhig die Kordhose, das weiße Hemd und den Pullunder an. Dann hat man gleich ein positives Bild von ihm.“ Wie recht sie behalten sollte! Ja, nach all den Jahren ist es auch mir in Fleisch und Blut übergegangen, bei meinen Kindern immer auf ein möglichst gepflegtes Aussehen zu achten. Zu meinem großen Glück ziehen sie auch immer noch das an, was ich ihnen hinlege. Und genauso sind sie in der Öffentlichkeit sehr höfliche und freundliche Kinder. Das habe ich ihnen zwar nicht anerzogen, doch folgen sie hier wahrscheinlich einfach dem Beispiel von uns Eltern. Dennoch gebe ich zu, dass es natürlich beruhigend ist, dass Maxim und Nadeschda eben nicht unangenehm in der Öffentlichkeit auffallen, sondern eben ganz im Gegenteil. Der Ausspruch der Dame im Sportstudio bestätigt das. Wie würde man da draußen wohl über meine Kinder sprechen, wenn sie sich nicht so „wohlerzogen“ verhielten?

Eigentlich mag ich es mir gar nicht ausmalen. Denn dann kehrt nur meine eigene innere Wut zurück. Warum dürfen Maxim und Nadeschda nicht einfach da draußen ganz normale Kinder sein? Ist ja schön, dass sie als wohlerzogen gelten. Die „Ohrfeige“ tat dennoch weh. Doch schlucke ich lieber meinen Ärger runter, freue mich über meine wunderbaren Kinder und fahre in die Stadt, um Maxim einen neue Kordhose zu kaufen.