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„Sie sind ja wahnsinnig, dass Sie gleich in die 8. Klasse gehen.“ sagte eine der Lehrerinnen an der Schule meiner Kinder zu mir, als sie erfuhr, dass ich mein Praktikum in der 8. Klasse machen würde. Ja, vielleicht. Doch war es wohl die karmische Lernerfahrung, die mein Leben nun für mich bereit hielt. Immer wieder war ich mit dem „Damoklesschwert“ der Pubertät konfrontiert. Meine eigenen Kinder im Rubikon, und nicht müden werdenden befreundeten Eltern „Ja, wartet erst einmal, bis sie in die Pubertät kommen.“ oder „Alles, was wir jetzt durchmachen, erleben wir in der Pubertät nicht mehr.“ Genährt durch Fernsehserien, wie das „Pubertier“, in dem ein völlig hysterisches Mädchen seine Eltern mit ihrer schlechten Laune tyrannisiert und die Familie in Zaum hält. Und befeuert durch die langläufige Meinung, in der Pubertät ist der Jugendliche eigentlich „wegen Umbau“ geschlossen.
Und so begab ich mich in die „Höhle des Löwen“. Vier Wochen lang begleitete ich den Unterricht einer 8. Klasse und lebte unter „Pubertieren“. Mit spannenden Beobachtungen:
Im Unterricht
Von Anfang an war der innere Umbau der Kinder und seine Auswirkungen deutlich zu spüren. Der Unterrichtsverlauf ist an einigen Tagen durchaus mehr als lebendig. Die Aufmerksamkeitsspanne ist gerade an Montagen und Freitagen verhältnismäßig gering. Viele Kinder sind unkonzentriert und unaufmerksam. Regeln werden oft in Frage gestellt und ihre Wirksamkeit stets hinterfragt. Nicht alle Kinder hören dem Klassenlehrer aufmerksam zu. „Am Freitag haben wir unsere Generalprobe für unsere Präsentationen. Ich habe für das Mittagessen Pizza bestellt. Die essen wir dann gemeinsam im Klassenraum und gehen dann zur Probe in den Festsaal.“ erläutert der Klassenlehrer zum Beispiel. Eine Schülerin fragt nach: „Ja, und wie ist das jetzt mit der Pizza?“
Die Jungen
Unter den Jungen ist auffällig, wie unterschiedlich sie in ihrer körperlichen Entwicklung sind. Fallen einzelne Jungen noch durch eine ausgeprägte kindliche Erscheinung auf, so hat bei anderen bereits der Bartwuchs eingesetzt und der Stimmbruch ist nahezu abgeschlossen. „Der M. ist doch sicherlich schon über 1,80 Meter groß.“ sagt ein Schüler morgens, und fährt fort: „Ich bin gerade mal 1,63m.“ So sind die Größenunterschiede bei den Jungen teilweise frappierend. Die äußerlichen Unterschiede setzen sich in Körpersprache und Verhalten, vor allem mit Blick auf die Unterrichtsbeteiligung fort. Arbeiten einige der Jungen engagiert mit, so sind andere unkonzentriert und unaufmerksam, entweder weil sie sich im Unterricht langweilen und unterfordert sind, oder weil sie genau im Gegenteil mit den Unterrichtsinhalten überfordert sind. Die innere Unruhe, die viele der Jungen umtreibt, äußert sich oft in Form von Störungen, Unsinn und einem schnellen Abgelenkt-Sein. Bei einem Teil der Jungen fällt auf, dass sie oft müde und erschöpft sind. Manche äußern dies auch deutlich: „Ey, mach mal langsam, ich bin doch gerade erst aufgestanden. Ich brauche doch mindestens bis um zehn, bis ich wach bin.“ Oder: „Ich bin so müde, ich habe gestern Nachmittag gar nichts mehr gemacht.“ Vor allem nach dem Wochenende ist dies offensichtlich. Nimmt man die Nebengespräche der Jungen vom Freitag, die sich oft um das Verabreden zu Computerspielen drehen, so mag vielleicht hier auch ein Grund für die Müdigkeit liegen. Manche ziehen sich vollständig aus dem Unterrichtsgeschehen zurück. An ihren Gesichtern sieht man deutlich, dass sie gerade mit ihren Gedanken überall sind, nur nicht im Klassenraum. Je weiter der Vormittag voranschreitet, desto wacher werden allerdings einige von ihnen. In den späteren Unterrichtsstunden zeigen sie dann ein häufig deutlich lebendigeres Verhalten. Sie stellen vieles, was der Klassenlehrer sagt, in Frage; sie testen die Standfestigkeit von Grenzen und probieren die Gültigkeit von Regeln aus.
Die Mädchen
Die Mädchen in der Klasse zeigen in den Unterrichtsstunden später am Tage zum Teil ebenso dieses herausfordernde Verhalten. Morgens im Hauptunterricht sind sie allerdings im Vergleich zu den Jungen schon deutlicher wacher. Manche von ihnen arbeiten konzentriert mit – es mag allerdings an der inhaltlichen Materie liegen, dass sie sich jedoch in der mündlichen Beteiligung zurückhalten und den Jungen der Klasse das Aktionsfeld überlassen -, andere sind abgelenkt und schwätzen mit der Nachbarin. Im Gegensatz zu den Jungen, scheinen die Mädchen in der Klasse weitestgehend auf einem Entwicklungsstand zu sein. Unterschiede in der körperlichen Erscheinung gibt es kaum. Im Gegenteil: Auf den ersten Blick hatte ich den Eindruck, dass sie alle gleich aussehen: kaum Unterschiede im Körperwuchs, schlanker, wohlproportionierter Körperbau, der Gesichtsausdruck steht am Übergang, den kindlichen Ausdruck zu dem verlieren, lange Haare, meist deutlich über Schulterlänge, in der Mitte gescheitelt. Manche lackieren die Nägel, kaum ein Mädchen schminkt sich. Die Mehrheit der Mädchen kleidet sich zudem gleich: grauer Kapuzenpullover, schwarze Leggings oder enge Jeans, Turnschuhe in weiß oder schwarz. Die Schulranzen oder Rucksäcke haben die meisten Mädchen abgelegt und durch große Handtaschen ersetzt.
Abschließende Gedanken
Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie die Phase der Pubertät langläufig beschrieben wird, ist es kaum verwunderlich, dass diese Zeit zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr im Grunde genommen „die größte Krise“ im Leben eines heranreifenden Kindes darstellt, verbunden mit der größten Erschütterung des Selbstbewusstseins und der größten innerlichen Unsicherheit. Der Körper des Kindes baut sich vollständig um, die Gliedmaßen wachsen stark, die Geschlechtsorgane kommen zur vollständigen Reife und die sekundären Geschlechtsmerkmale werden nun vollständig ausgeprägt. Auch das Gehirn strukturiert sich in dieser Zeit vollständig um. Auf der emotionalen Ebene kommt es zu einer starken Veränderung der Empfindungen. Wieder ist das Kind in einer schutzlosen Situation wie nach seiner eigentlichen Geburt, wo es die schützende Hülle des Mutterleibes abgelegt hat. Denn wie beim Säugling braucht diese emotionale Ebene Schutz und Fürsorge, bis die neugeborene Persönlichkeit sich aufrichten und laufen lernen, neu sprechen und denken kann. Zudem fehlt dem Kind in dieser Phase die Orientierung, die es in sich selbst nicht finden kann. Zumal es ebenso begonnen hat, seine Umgebung zu hinterfragen. Diese Orientierungslosigkeit und seine mangelnde Urteilsfähigkeit quält ihn. Er braucht Schutz und Fürsorge, doch hinterfragt er genau die Menschen und Autoritäten, die ihm diese Orientierung und Unterstützung geben könnten.
Ich selbst kann mich an meine eigene Pubertät nicht mehr erinnern. Das was war, ist erfolgreich mit der Umstrukturierung meiner eigenen Synapsen abhanden gekommen und unwiederbringlich verschwunden. Meine Jugend war ohnehin eine einzige Krise. Da sind wahrscheinlich die Auswirkungen der Pubertät nicht so ins Gewicht gefallen. Wenn ich mir aber bewusst mache, was alles in einem Kind auf dem Weg zur einem Jugendlichen im Umbruch ist, so waren die Erfahrungen in der 8. Klasse noch gemäßigt und milde. Und irgendwie blieb der Eindruck zurück, dass hier die Pubertät noch in milden Bahnen verläuft. Vielleicht ist es aber auch einfach, das am Ende sich einfach der Satz bewahrheitet „Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden.“ Nicht mehr und nicht weniger. Und alle Horrorszenarien sind gezeichnet von eben diesen Eltern. Ich hoffe und wünsche mir nur für mich als Mutter, dass ich mich an diesen Ausspruch und meine Erfahrungen in den vergangenen Monaten erinnere, wenn die Zeit der Pubertät bei meinen eigenen Kinder gekommen ist.