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Interviewreihe „Anstrengungsverweigerung“ – eine Adoptivmutter erzählt… (1/3)

„Julia’s Geschichte und ihre ersten Erfahrungen mit der Anstrengungsverweigerung“

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Mit freundlicher Unterstützung von Fotolia

Nach meinem Beitrag „Aber ich sehe gar keine (Anstrengungs-) Verweigerung …“ entstand aufgrund ihres bewegenden und reflektierten Kommentars ein spannender Austausch mit Julia. Die Kinderkrankenschwester und ihr Mann haben vor sieben Jahren ihren Sohn Joshua* (Name geändert) als fünf Minuten alten Säugling adoptiert. Was sich wie eine Bilderbuchadoption liest – Julia und ihr Mann erfuhren noch vor der Geburt von dem Elternpaar, das neue Eltern für ihr ungeborenes Kind suchte, sie lernten die Eltern kennen, waren bei der Geburt dabei und konnten ihren Sohn nur wenige Stunden nach der Geburt zu sich nehmen – mündete dann doch in eine über ein Jahr währende Hängeparty, ob Joshua wirklich bei ihnen bleiben darf. Erst nach zwei Jahren war die Adoption endlich rechtskräftig abgeschlossen. Mittlerweile ist Joshua sieben Jahre alt und im vergangenen Sommer in die Schule gekommen. Auch er zeigt Zeichen und Verhaltensmuster der Anstrengungsverweigerung, die mich tief berührt haben. Besonders wichtig finde ich, dass man in Julia’s Schilderungen sehen kann, dass sich diese Verhaltensmuster schon sehr früh im Kindergartenalter zeigten. Aus dem Austausch mit Julia ist eine kleine Interviewreihe entstanden, die Ihr nun in den kommenden Wochen lesen könnt: 

Liebe Julia, wie würdest Du Deinen Sohn Joshua charakterisieren?

„Tja, wo soll ich anfangen und wo aufhören? Es gibt so viele Dinge, die ich über ihn erzählen könnte: schöne, weniger schöne, lustige, traurige, so bunt wie das Leben, so bunt und facettenreich ist unser Kind!

Was ihn aber möglicherweise am treffendsten beschreibt, das ist, dass er ein sehr feinsinniges, empfindsames Kind ist, das immer seine Antennen voll für die zwischenmenschlichen Beziehungen aufgedreht hat. Er hat ein seismographisches Gespür für Anspannung und Unsicherheiten und reagiert dementsprechend vorsichtig und zurückhaltend im Bezug auf Unbekanntes und Fremdes. Aber genauso offen, fröhlich und gelöst ist er, wenn er sich wohlfühlt und umgeben ist von Menschen, die ihm wohlgesonnen sind. Außerdem ist er ein wirklicher Ästhet und Perfektionist. Er ist schon seit frühester Kindheit sehr sprachgewandt und kann einen in Grund und Boden reden. Er ist ein guter Beobachter, und man sieht ihm oft förmlich an wie es hinter seiner Stirn fieberhaft arbeitet. Man kann mit ihm tiefgründig sprechen und nicht selten kommt er zu fast schon philosophischen Schlussfolgerungen.

Er hat ein sehr unterdurchschnittlich ausgeprägtes Selbstvertrauen, und auch unsere Beziehung, die trotzdem sie sehr innig ist, wird von ihm immer wieder, auch durch scheinbare Kleinigkeiten in Frage gestellt. Er ist sehr verletzlich durch Kritik, die bei ihm immer – oder sagen wir meistens – auf der persönlichen Ebene landet, ohne dass sie persönlich gesagt oder gemeint ist. In ungewohnten Situationen hat er Angst zu scheitern, und die größte Angst besteht darin, dass andere sehen könnten, dass er „scheitert“. Das führt dazu, dass er nicht einfach so neue Dinge ausprobiert, sondern sie eher meidet. Aber er ärgert sich sehr darüber, dass er das nicht kann. Ich glaube, es ist ihm mittlerweile sehr bewusst, dass er durch seine Ängste oft an schönen Erlebnissen gehindert wird.

Alles in allem kann ich aber sagen, dass er unser Leben jeden Tag bereichert und uns lehrt, das Leben neugierig zu betrachten und ausgetretene Pfade auch mal zu verlassen.

Wann hast Du zum ersten Mal von dem Phänomen der Anstrengungsverweigerung erfahren? 

Noch während unserer Bewerbungsphase beim Jugendamt habe ich angefangen, alle erdenklichen Informationen rund um das Thema Adoption zu sammeln und habe jedes irgendwie interessant klingende Buch darüber gelesen. In diesem Zusammenhang bin ich recht schnell bei der Problematik der sog. Anstrengungsverweigerung gelandet.

War Dir im Zuge Eurer Adoption klar, dass es so ein Phänomen gibt und dass Ihr Euch auch damit einmal auseinandersetzen müsst?

Ja, ich habe damit gerechnet, dass wir uns damit würden auseinandersetzen müssen. Denn im Gegensatz zu vielen Menschen in unserem Umfeld, die uns zwar alle unterstützt haben in unserem Vorhaben, sind wir nie davon ausgegangen, dass die Trennung von der leiblichen Mutter bei einem Kind, und sei es noch so früh und ohne sofort ersichtliche Dramatik, einfach so spur- und folgenlos an ihm vorbeigeht.

Dazu zähle ich auch das Erleben des ungeborenen Kindes, das während der Schwangerschaft schon den Stress seiner Mutter im Wortsinn am eigenen Leib erfährt. Man weiß heute, wie sich die Ausschüttung mütterlicher Stresshormone während der Schwangerschaft und die Erhöhung des Stresslevels bei einer Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt auf das kindliche, noch unreife Gehirn auswirkt. Und dass die leibliche Mutter unseres Sohnes in der Schwangerschaft massiven Stress erlebt haben muss, sie hat vor ihrem gesamten Umfeld, außer ihrem Freund gegenüber die ungewollte Schwangerschaft und die Geburt verheimlicht, davon gehe ich aus.

Dazu kam bei uns noch die anfangs beschriebene lange Phase der Ungewissheit  und Unsicherheit bzgl. seines Verbleibs bei uns, und daher bin ich davon überzeugt, dass er das natürlich gespürt hat. Für uns war das damals schon kaum zu ertragen. Wie muss das erst für ihn gewesen sein?! Er konnte das ja gar nicht bewusst einordnen, und ich denke, genau darin liegt auch die Gefahr, dass sich eine Situation als potentiell traumatisch oder wie Frau Wiemann es lieber bezeichnet, als seelische Verletzung verfestigt.

Wann und in welcher Form hat Dein Sohn zum ersten Mal Verhaltensweisen eines Anstrengungsverweigerers gezeigt? 

Aufgefallen ist mir das schon recht früh.  Auch als mir der Begriff an sich noch nicht so geläufig war, habe ich schon gemerkt, dass es manche Situationen gab, auch als er noch sehr klein war, in denen er ein solches Verhalten gezeigt hat.

Schon im Säuglingsalter konnten wir beobachten, dass er scheinbar über gar keine Frustrationstoleranz verfügt. Er hat z. B. nie versucht, sich ein weggerollte Spielzeug wieder zu beschaffen, als er noch nicht krabbeln konnte. Er hat nicht versucht, irgendwie da wieder ran zu kommen. Er lag auf dem Bauch und hat gebrüllt und gebrüllt, als hätte er sich massiv weh getan. Er hätte auch von alleine nicht wieder aufgehört, zu brüllen. Auch nicht, wenn man ihm das Spielzeug wiedergegeben hätte. Er hat sich erst mühsam wieder beruhigt, wenn wir ihn auf den Arm genommen haben und ihn sanft gewiegt haben. Oder er hat z. B. nie eine Phase gehabt, wo er alles alleine machen wollte. In einem Alter, in dem bei anderen Kinder die Einmischung der Eltern zu einem Wutausbruch führt, weil sie es partout selbst machen wollen, was auch immer, war bei uns das Gegenteil der Fall.

Eine große Herausforderung war lange Zeit das selbstständige An- und Ausziehen. Und damit meine ich nicht, dass er das nicht gekonnt hätte. Ich hatte sehr stark den Eindruck, dass er regelrecht Angst davor hatte, uns zu zeigen, dass er bestimmte Dinge schon alleine konnte, weil er dann damit rechnen musste, dass er die Zuwendung, die er für diese Dinge in Form unseres Tuns dann nicht mehr erhalten würde. Er hat sich dann regelmäßig auf dem Boden liegend in Rage geschrien, wenn ich doch von ihm verlangt habe, dass er wenigstens einige Handgriffe dazu tun sollte.  Im Kindergarten wurde das dann recht schnell zu einem Problem. Erläuternd hinzufügen möchte ich, dass er mit ca. 2 1/4 Jahren in die Kita gekommen ist und dann mit 3 Jahren in den der Kita angeschlossenen Kindergarten gewechselt hat. In der Kita war alles noch sehr behütet, aber ab dem Kindergarten wurden von ihm dann bestimmte Dinge erwartet, die er eigenständig erledigen sollte. Darunter fiel u.a. das Aus- und Anziehen. Jetzt stehe ich nicht auf dem Standpunkt, dass ein Kind sich mit 3 Jahren immer und auf jeden Fall selbst an- und ausziehen können muss. Aber er hätte es gekonnt, er hat sich nur total verweigert. Die Erzieherinnen haben Gottseidank sehr einfühlsam reagiert. Besonders seine Bezugserzieherin hat sich in ganz besonderer Art und Weise seiner angenommen. Wir haben in dieser Zeit viele Elterngespräche geführt und es hat sich sozusagen als schicksalhaft gefügt, dass seine Erzieherin sich just auf dem Gebiet Pädagogik für Pflege- und Adoptivkinder weitergebildet hatte. Das nahm uns eine große Last von den Schultern. Es hat natürlich nicht alle Probleme gelöst, aber für unseren Sohn war das eine große Hilfe und er konnte sich in seinem Tempo entwickeln, ohne, dass er in irgendeine „Verhaltensauffällig-Schublade“ gesteckt worden wäre.

Woran hast Du fest gemacht, dass es sich hier um ein anstrengungsvermeidendes Verhalten handelt?

Das habe ich tatsächlich daraus geschlossen, dass sich bestimmte Verhaltensmuster 1 zu 1 mit Schilderungen von Beispielen für anstrengungsvermeidendes Verhalten gedeckt haben. Hätte ich von dem Phänomen nichts gewusst, hätte ich mir das wahrscheinlich nicht erklären können.

Umso wichtiger finde ich die gezielte und rechtzeitige Aufklärung über solche und andere Phänomene schon im Rahmen der Vorbereitung auf die Aufnahme eines fremden Kindes in die eigene Familie. Dafür halte ich es für unerlässlich, dass die Mitarbeiter der Jugendämter in diesem Bereich gut geschult und fortgebildet sind und werden.

Mehr von Julia und ihrem Sohn Joshua erfahrt Ihr in der kommenden Woche!

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#bestofElternblogs im Juli

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Photo by Craig Whitehead on unsplash.com

Die liebe Anja von der Kellerbande  ruft jeden Monat dazu auf,  den meist gelesenen Beitrag des vergangenen Monats zu benennen und zu teilen. Gerne mache ich das auch in diesem Monat wieder. Der Juni war ein relativ ruhiger Monat auf meinem Blog, was aber damit zusammenhängt, dass ich ohnehin die vergangenen Monate nicht viel Zeit hatte, mich mit neuen Beiträgen zu beschäftigen. Das kann jetzt wieder anders werden. Und so freut es mich umso mehr, dass mein Beitrag aus der vergangenen Woche zu „Adoptivkinder heilsam durch den Sommer bringen…“ die meisten Klicks bekommen hat, obwohl er erst so frisch veröffentlicht war. Das gibt mir eine neue Bestätigung, doch weiter mich nicht nur für mich selbst, sondern auch für Euch mit adoptionsrelevanten Themen zu beschäftigen und sie hier zu veröffentlichen.

Habt – wie immer tausend Dank – für’s Lesen, Liken, Teilen und Kommentieren.

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Adoptivkinder heilsam durch den Sommer bringen….

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Photo by Craig Whitehead on unsplash.com

Den unglaublich bereichernden Blog von Mike und Kristin Berry „Confessions of an Adoptive Parent“ hatte ich schon zu Beginn diesen Jahres entdeckt. Der Blog und vor allem auch ihre Bücher, vor allem Kristin’s „Born Broken“, haben mich zutiefst berührt. Als Adoptiveltern von insgesamt acht, ja ACHT, Adoptivkindern schreiben sie und engagieren sie sich ungemein für das Wohlsein von Adoptivkindern aber eben auch von Adoptiveltern. So hat erst einer der jüngsten Beiträge von Mike Berry „5 Tips to Help You Navigate Summer Break With Success“ mir noch einmal die Augen über die Ferien geöffnet, über Ferien mit Adoptivkindern.

Lange hatte ich für uns die Ferien herbeigesehnt. Und ja, ich bin auch sehr froh und dankbar, dass sie da sind. Aber nun bin ich mir auch einmal wieder bewusst, warum hier nicht alles einfach geschmeidig läuft und es bis zu einer wirklichen Entspannung noch ein langer Weg ist. Mike beschreibt die Folgen des Verlustes von Struktur sehr deutlich. Gut, in den USA ist das Ferienmodell noch einmal krasser als hier. Denn dort ist man mit drei Monaten Sommerferien mehr oder weniger konfrontiert, nachdem vorher über neun Monate eine streng durch die Schule vorgegebene Struktur herrschte. Der Schnitt ist groß. Bei uns etwas weniger krass. Denn wir haben unsere Ferien gut über das Jahr verteilt. Dennoch, sechs Wochen Sommerferien heben zunächst einmal auch alle Struktur aus den Angeln. Es sei denn, man schickt seine Kinder gleich in die nächste Ferienbetreuung. Maxim hat dies drei Jahre lang gemacht. In diesem Jahr war er so am Rande seiner Kräfte, dass ich beschloss, ihn in der ersten Ferienwoche zuhause zu lassen. Kein Ferienzirkus von neun Uhr morgens bis fünf Uhr abends. Sondern vorerst gähnende Langeweile Zuhause… Und das ist genau das, was er jetzt braucht. Dennoch, bis ich Mike’s Beitrag vor ein paar Tagen las, war ich mir – nicht mehr – der Tatsache bewusst, dass der Wechsel in den Ferienmodus so anstrengend sein kann. Nicht nur unbedingt für die Kinder und dann doch vor allem für sie, aber eben auch für uns Adoptiveltern. Wenn ich auf die vergangenen zwei Tage zurückblicke, dann ist es so. Die Launen brechen durch, die Kinder streiten sich, noch mehr als ohnehin in den vergangenen Wochen, Nadeschda ist am Rande ihrer Nerven. Allein, dass ich mit Maxim in den Garten gehe und sie unsere Ankündigung nicht hört, löst bei ihr einen minutenlangen Weinkrampf aus. Verlustangst! Wieder da und mehr präsent als je zu vor oder lange nicht mehr. Maxim ist auf Krawall gebürstet. Mehr als ohnehin schon in den letzten Wochen, damit dann sein Verhalten vollständig kippt, wenn wir abends ins Bett gehen und er sich beim Vorlesen an mich kuschelt wie lange schon nicht mehr.

Struktur und Routine

Meine Kinder sind ihrer bisherigen Struktur enthoben und die neue hat noch nicht gegriffen. Denn wie Mike schreibt, entgegen vieler Familien haben wir auch in den Ferien eine Struktur und einen Rhythmus, eine feste Routine. Bis wir wieder in die Schweizer Berge fahren – und auch dort haben wir dann eine Routine – , arbeite ich weiter halbe Tage zuhause. Die Kinderfrau kommt und unternimmt mit den Kindern etwas oder bastelt und spielt mit ihnen zuhause. Jeden Tag zur selben Uhrzeit, damit sich eine tägliche Routine einstellt. An unseren Nachmittagen haben wir unsere feste Struktur. Üben, für die Schule arbeiten und dann unternehmen wir drei etwas schönes. Heute waren wir zum ersten Mal Himbeeren Pflücken. Danach wie immer zur gleichen Zeit Abendbrot und unser Schlafensritual. Doch auch das muss sich erst wieder einspielen. Denn wie Nadeschda heute zurecht bemerkte: Dienstags war ich in den vergangenen zwei Jahren abends nicht da, um meinen Kinder ins Bett zu bringen. Jetzt bin ich es. Meine Tochter bemerkte sehr treffend heute, dass doch bitte die Routine eingehalten werden muss und es eigentlich nicht sein kann, dass ich sie ins Bett bringe. Das macht einmal mehr deutlich, wie wichtig Routine und Rhythmus für diese traumatisierten Kinder sind. Selbst, dass ich sie nun als ihre Mutter wieder ins Bett bringen kann, zählt weniger, als die schwer gelernte Routine „Mama ist dienstags nicht da.“

Kleine Dosen

Nein, keine Blechdosen. Sondern, eher in unserem Sprachjargon „weniger ist mehr“. Nicht bis zum Letzen das Spielen ausreizen, nicht bis zum Letzten einen Besuch strapazieren, nicht bis zur absoluten Erschöpfung einen Besuch in einem Freizeitpark ausdehnen. Nein, weniger ist wirklich mehr. Und genauso betrifft das das Tagesprogramm eines Adoptivkindes. Wir hatten den Fall mit den Zirkusvorstellungen und dem Laiervorspiel vor den Ferien. Und jetzt ist es, wenn der Papa sagt: „Ach wir könnten doch noch….“, dann lasse ich das mal so stehen und am Ende bin ich froh, wenn die Kinder nur friedlich im Garten gespielt haben und wir keine große Fahrradtour mehr gemacht haben, sondern einfach einmal Zuhause waren. Und die Langeweile, die müssen beide Kinder aushalten lernen. Spätestens, wenn wir in zehn Tagen in der Schweiz sind, liegen die Kinder und ich auf dem Bett oder im Garten in der Sonne, lesen und sind einfach glücklich. Auch ohne großes Entertainment…

Kein oder wenig Zucker

Gut, das spielt muss ich sagen, bei uns eh kaum eine Rolle. Weder im Schulalltag, noch in den Ferien. Denn schon lange weiß ich, dass vor allem bei Maxim der Hang zu Süßem groß ist, seine Laune aber bei zu viel Zucker auch schnell kippt. Hohen Dosen an Zucker deregulieren sein Verhalten und seine Launen maßgeblich. Manchmal ist es, als sei er nicht mehr Herr seiner Sinne. Nadeschda ist da ein wenig anders. Süßigkeiten reizen sie kaum, es sei denn es ist dunkel Schweizer Schokolade. Aber alles andere lässt sie liegen.

Verbindung statt Verbesserung

Für diesen Impuls war ich besonders dankbar. Anstatt meine Kinder zu fragen, was los ist, und warum sie sich so schwierig verhalten, sollte ich sie lieber fragen, wie ich ihnen helfen kann, was sie in diesem Moment brauchen, in dem es ihnen gerade schlecht geht, weil sie einmal wieder von ihrem alten Trauma übermannt wurden und nur noch im Überlebensmodus agieren. Das gilt eigentlich immer im alltäglichen Zusammenleben, doch vielleicht noch mehr in den Ferien, wo eine gewisse Haltlosigkeit und Veränderung des bestehenden Alltags den Überlebensmodus nur noch befeuert.

Interaktionen den Vorrang geben

Aktive Aktivitäten – im Gegensatz zu passiven Aktivitäten wie Filme schauen, Videospiele spielen, etc. – sorgen dafür, dass sich traumatisierte Kinder besser fokussieren und regulieren können. Passiver Medienkonsum ist eher Gift. Nicht zuletzt weil wir ohnehin erkannt haben, dass über einen hohen Medienkonsum die Gedächtnisleitung unserer Kinder negativ beeinträchtigt ist, ist bei uns der elektronische Medienkonsum stark reguliert. Maximal zweimal in der Woche und das auch nur, wenn am nächsten Tag keinen Schule ist, dürfen sie 30 bis 45 Minuten einen Film sehen. Das Konzept „Fernsehen“ haben sie bis heute nicht richtig begriffen. Für unsere Kinder funktioniert das nur, wenn man eine kleine silberne Scheibe in einen DVD-Spieler einschiebt. Auch in den Ferien oder gerade da. Viel wertoller ist es da, zusammen im Garten zu arbeiten, Beeren pflücken zu gehen, zu basteln, schwimmen zu gehen, zusammen zu kochen, oder lange vorzulesen. Am liebsten auch gegenseitig. Maxim und ich lesen zum Beispiel im Moment ein Buch über Moskau vor, mit einem Bildband daneben, in dem wir uns dann die Baudenkmäler und Statuen ansehen, über die wir vorher gelesen haben.

In diesem Sinne, kommt alle wohlbehalten durch den Sommer!

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Hasst mich mein Adoptivkind? Warum es ihm so schwer fällt, Liebe zu zeigen…

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Mit freundlicher Unterstützung von Pixabay

Vor einiger Zeit hat Sherrie Eldridge den erneut bewegenden Post „Why does my adopted child hate me?“ veröffentlicht. Er knüpft ein wenig an meine gelegentlichen Zweifel als Adoptivmutter an und hat mich in den vergangenen Wochen immer wieder beschäftigt, auch wenn er mich jetzt noch einmal zu einer bewussten Erkenntnis gebracht hat.

Wenn ich Maxim von der Schule abholte, oder ich nach einem Tag Arbeit nach Hause kam, so wünschte ich mir doch immer wieder insgeheim, dass mein Sohn mir freudestrahlend in die Arme lief und mich umarmte. – Lange, lange hat er das nicht getan und meine Hoffnungen blieben unerfüllt. Inzwischen zeichnet sich da allerdings eine Entwicklung ab. – Stattdessen wurde ich mit Gleichgültigkeit oder manchmal auch Ablehnung empfangen. Wenn Zuhause seine Wut hochkochte, wurde ich zuweilen auf das Übelste beschimpft, getreten, geschlagen. Oder es fiel auch der Satz: „Du bist nicht meine Mama!“ Ich weiß nach all den Jahren, dass ich die Projektionsfläche für die Wut und die Trauer über seine frühkindlichen Verletzungen, die unermesslich gewesen sein müssen, bin. Meistens kann ich mit dieser Wut umgehen. Ich nehme Maxim’s Angriffe nicht mehr persönlich, auch wenn es mir lange schwer fiel. Ich habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass er nicht mich direkt meint.

Dennoch gibt es noch heute Momente, in denen ich seine Ablehnung und Abneigung nur schwer ertragen kann. Das sind die Augenblicke, in denen ich mich frage: „Bin ich gut genug?“ Bin ich gut genug als Adoptivmutter für meine Kinder? Würden sie vielleicht eine andere Mutter weniger ablehnen? Auch dann kommen die Zweifel, ob all das, was ich für meine Kinder tue und empfinde, ausreicht. So ausreicht, dass sie mich lieben lernen können.

Auf der anderen Seite weiß ich, dass die fehlende Fähigkeit, Zuneigung zu zeigen und eher die Wut, Aggression und Trauer herauszulassen, aus dem tiefen Gefühl des Verlassenwordenseins resultiert. So wie Sherrie es schreibt. Und das genau deshalb, weil ich als Adoptivmutter eben jetzt da bin und immer für meine Kinder sorge, sie liebe und so annehme wie sie sind, genau deswegen bin ich die Zielscheibe ihrer Wut und ihrer Ablehnung. „Wenn Ihr Adoptivkind Sie schlägt, dann ist es richtig bei Ihnen angekommen.“ sagte einmal unsere Jugendamtsbetreuerin zu uns. Wie Recht sie hatte. Denn im Grunde, so absurd das vielleicht erscheinen mag, ist dies das Zeichen, dass das Adoptivkind sich sicher genug fühlt, seine tiefen Gefühle zu zeigen und herauszulassen.

Mit Blick auf Maxim weiß ich aber auch, dass sein Verhalten immer noch auch ein Ausfluss seiner Bindungsstörung ist. Wenn ich der Literatur folge, so könnte er als „unsicher vermeidend gebunden“ gelten. Diese Kinder reagieren in einer Trennungssituation kaum und spielen einfach bei Betreten des Raums durch die Bezugsperson weiter. Auch bei der Wiedervereinigung vermeiden sie den Kontakt mit der Bezugsperson. In der Literatur heißt es dazu, dass diese Kinder ein Bindungsverhalten minimieren, da dieses in der Vergangenheit nicht den gewünschten Erfolg brachte. Denn bei Furcht, Kummer, Erschöpfung oder Unsicherheit war die Bindungsperson nicht verfügbar. Maxim hat dies mit Sicherheit so erfahren in seiner Ursprungsfamilie und vor allem auch im Kinderheim.

Erst jetzt nach Jahren als Familie, nach Jahren des immer auf Gedeih und Verderb verlässlich Daseins, nach Jahren der Fürsorge, nach Jahren in einer sicheren, geborgenen und stabilen Umgebung und auch nach Jahren mit therapeutischer Unterstützung spüre ich, dass Maxim langsam heilt. Ich fühle, dass er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann, dass ich immer für ihn da bin, dass er bei mir sicher ist. Nach all der Zeit beginnt er sich an mich zu binden ohne Wenn und Aber. Heute kommt er mir auf dem Schulhof freudig entgegen gerannt, heute zeigt und sagt er, wenn er mich braucht. Heute überschüttet er mich zuweilen mit großen Zuneigungsbekundungen. Heute schiebe ich meine Zweifel bei Seite, denn immer mehr lerne auch ich: Ja, ich bin gut genug als Maxim’s Adoptivmutter und alles ist gut so wie es ist.

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Herkunft (3) – Wie erklären wir die Adoption unseren Kindern?

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Mit freundlicher Unterstützung von Pixabay

Noch nähern wir uns der Herkunftsfrage sanft und in kleinen Dosen. Noch stellt Maxim nicht die Frage nach dem „Warum?“ Noch zeigt sich seine Wut und Trauer in anderen Kontexten und unbewusst in der Form, dass er auf alles wütend ist, was er jetzt hat und nicht auf das, was er nicht hatte. Doch irgendwann wird er die Frage stellen. Und ich bin noch nicht sicher, ob ich eine passende Antwort parat habe.

Sherrie Eldridge hat vor ein paar Tagen dazu einen spannenden Beitrag veröffentlicht: „How to explain Adoption to your Adopted Child“. Ihr kunstvoller Ansatz, dem Kind zu erklären, dass es in Gottes Herz und aus seiner Liebe entstanden ist, gefällt mir. Zumal er alle Schuldzuweisungen und Wertungen eliminiert. Er kann dem Kind vielleicht das Gefühl nehmen, nicht gewollt gewesen zu sein und weggegeben worden zu sein. Auf der anderen Seite ist für mich diese Vorstellung doch sehr abstrakt. Kann ein Neunjähriger das nachvollziehen und nachempfinden? Dennoch, Maxim beschäftigt sich, nachdem sie die Schöpfungsgeschichte gerade in der Schule behandelt haben, sehr intensiv mit Gott und geht nun auch am Wochenende zu einem Kinderbibeltag. Vielleicht mag die Idee, dass er in Gottes Herz und aus Gottes Liebe entstanden ist, dann es aber in seinem Leben einige schwierige Hürden und Hindernisse gab, bevor er zu uns kam, gerade jetzt genau die „richtige“ Erklärung sein….

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#muttertagswusch – Mein Wunsch für mehr Respekt und Anerkennung der Leistung von Adoptivfamilien

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Danke an Pixabay

Der Muttertag naht. Auch wenn meine Kinder wie so viele andere fleißig gebastelt haben, und sie mir ihre Geschenke am Sonntag feierlich übergeben werden, wird es für uns ein gewöhnlicher Familiensonntag werden. So wenig wie wir den Vatertag zelebrieren, feiern wir den Muttertag. Denn „Muttertag“ ist bei uns jeden Tag, wenn ich in die strahlenden Gesichter meiner Kinder blicke und ich dankbar bin, die Mutter von Maxim und Nadeschda sein zu dürfen. Dennoch bewegt auch mich die Aktion #muttertagswunsch von mutterseelesonnig und ich nehme dies zum Anlass, auch meinen Wunsch für all die Adoptivfamilien zu adressieren.

Die Adoption von Nadeschda und Maxim liegt mittlerweile etliche Jahre zurück. Noch immer kämpfen wir dafür, dass die Kosten der Adoption als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Kosten für eine medizinische Kinderwunschbehandlung werden seit Jahren steuerlich anerkannt. Die Kosten für eine Adoption nicht. Erst kürzlich kam der Bescheid, dass unser Einspruch abgelehnt wurde. Er sei zulässig, aber nicht begründet. In der Begründung heißt es: „Die organisch bedingte Sterilität eines Ehepartners ist als Krankheit anzusehen. Aufgrund dessen ist die heterologe Insemination als medizinische Maßnahme zur Beseitigung der unmittelbaren Krankheitsfolge der Kinderlosigkeit eines Paares anzusehen und führt zur Abzugsfähigkeit als Krankheitskosten. Die Aufwendungen eines Paares hingegen, die bei einer Adoption eines Kindes aufgrund einer organisch bedingten Sterilität eines Partners entstehen, stellen keine Krankheitskosten dar. (…) Als Außergewöhnliche Belastungen kommen nur Aufwendungen in Betracht denen sich die Steuerpflichtigen nicht entziehen können. Kosten für eine Adoption hingegen sind Kosten der individuell gestaltbaren Lebensführung, auch wenn die ungewollte Kinderlosigkeit von den Betroffenen als schwere Belastung empfunden wird, die ursächlich für den Adoptionsentschluss ist.“ An anderen Stellen wird deutlich, dass die Kosten für Adoption zumutbar seien, und daher keine Zwangsläufigkeit gegeben ist. Eine spannende Argumentation, der ich aber nicht folgen kann. Fühle nur ich mich hier diskriminiert und benachteiligt? Es hat so ein wenig den Beigeschmack eines „Luxusproblems“. Aus freiem Willen haben wir uns entschlossen, unsere Kinder zu adoptieren. Ja, das stimmt! Und ich würde es immer wieder tun! Und ja, natürlich hatten wir einen Kinderwunsch, der auf biologischem Wege unerfüllt blieb. Doch haben wir uns gegen den medizinischen Weg entschieden. Ganz bewusst. Es fühlte sich nicht richtig an. Dennoch finde ich die Bewertung und Einordnung der Finanzbehörden vermessen. Der medizinische Weg, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen, ist zwangsläufig, aber alternative Wege nicht? Das verstehe ich nicht.  Um den eigenen tiefen Wunsch nach Kindern zu erfüllen, aus welchen Gründen auch immer die Kinderlosigkeit vorliegt, sollten alle Wege, die heute zur Verfügung stehen, gleich angesehen und anerkannt werden. Das ist im Falle der Adoption nicht gegeben.

Genauso wie Adoptivfamilien bei der Mütterrente seit der Neuregelung 2014 benachteiligt werden: Nimmt eine Familie ein Kind an, das drei Jahre alt ist oder älter, schlägt sich das negativ in der Anrechnung der Erziehungszeiten nieder. Die Adoptivmutter, die also eine Weile zuhause bleibt, um sich der Fürsorge ihres Kindes zu widmen, bekommt später weniger Rente. Auch hier wurde mit viel Taktgefühl der Hinweis auf Diskriminierung kommentiert: Rentenexperten merkten an, dass es um eine pauschale Anerkennung gehe, es aber in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommen kann. Mal abgesehen von dem bürokratischen Aufwand, den es Bedarf, sich überhaupt Erziehungsheimen anerkennen zu lassen als Adoptivmutter. Bis heute ist meine Rentenzeiten nicht geklärt. Es scheint schwierig zu sein, Zeiten nachzurechnen, wenn Geburtsdatum des Kindes und Beginn der Elternzeit fast drei Jahre auseinanderliegen. – Auch in der Versicherungswirtschaft kommt es oft zu Ungleichbehandlungen. Werden doch häufig für Adoptivkinder, ob ihrer ungesicherten medizinischen Diagnosen pauschal Risikozuschläge bei den Beiträgen erhoben. So auch bei unseren Kindern.

Der fehlende sensible Umgang an vielen öffentlichen Stellen mag ein Problem der Fallzahlen sein. In Deutschland sind die Zahlen von Adoption aus dem In- und Ausland einfach zu niedrig (und auch noch rückläufig in den letzten Jahren), dass sie einen nennenswerten Einfluss auf den politischen Willen haben könnten. Allerdings kommen wir doch, wenn wir die Adoptionszahlen der letzten zehn Jahre zusammenzählen, auf eine beachtenswerte Gruppe in der Bevölkerung von etwa der Größe einer Kleinstadt. Aber auch das ist noch zu wenig, um beachtet zu werden.

Doch darum geht es mir hier nicht. Zum Muttertag wüsche ich mir, dass der Mut und der Einsatz der Adoptivfamilien von der Administration mehr respektiert und anerkannt wird. Dass an der ein oder anderen Stelle die besondere Situation von Adoptivfamilien nicht beachtet wird und es keine Sonderregelungen oder den Freiraum für individuelle Ermessensentscheidungen gibt, mag ich ja noch hinnehmen können. Doch dass die Lebenssituation von Adoptivfamilien an vielen Stellen einfach so abgetan wird, kann ich nur schwer ertragen. Den Adoptivfamilien ging es selten bei dem Entschluss zur Adoption um die bloße egoistische Erfüllung des Kinderwunsches. Sie haben alle eine große Verantwortung übernommen, der sie sich von Anfang an bewusst waren. Sie stellen sich jeden Tag von neuem harten und herausfordernden Aufgaben. Gerade die Mütter, die bald erkennen, dass sie ihren Job nicht mehr wahrnehmen können, weil ihre Kinder eine kontinuierliche Anwesenheit zumindest einen Elternteils brauchen. Viele Adoptivkinder benötigen nicht nur die ständige liebevolle Fürsorge von mindestens einem Elternteil, sie brauchen eine intensive Förderung und Begleitung mit den unterschiedlichsten Therapien, häufigen Arztbesuchen, Terminen bei Spezialisten und manchmal medizinischen Eingriffen. In der Schule bedarf es einer engen Hausaufgabenbetreuung und intensivem Engagement, Gespräche mit Lehrern, Werben für die besondere Situation des Kindes, Wissen, was in der Schule gerade passiert. Und eigentlich beginnt das schon im Kindergarten. Sport und das Spielen eines Musikinstrumentes sind wichtig, neben der kontinuierlichen Förderung von Fähigkeiten in der täglichen Alltagsroutine. Adoptivmutter zu sein, ist ein Vollzeit-Job, neben dem permanenten Bewusstsein der Verantwortung und der emotionalen Belastung, die durchaus hin und wieder gegeben ist. Es gibt unzählige Adoptivmütter, die auch nach Jahren, selbst wenn die Kinder längst schon dem Babyalter entwachsen sind, selten eine Nacht durchschlafen, da die Kinder von Alpträumen verfolgt werden, oder sie auch nachts die enge Nähe der Mutter brauchen. Jede Stunde, die eine Adoptivmutter vielleicht einmal etwas für sich alleine tut, um Kraft zu sammeln, und die Kinder dann vielleicht fremdbetreut sind, muss sie oft doppelt oder dreifach „bezahlen“ mit noch mehr eingeforderter Aufmerksamkeit ihrer Kinder. Dann stehen Wut oder Verlassensängste an der Tagesordnung, die Beziehung zwischen Mutter und Kind wird unmittelbar in Frage gestellt. Solange bis das Adoptivkind sich wieder sicher ist, dass seine Mutter bei ihm bleibt und es immer halten und aushalten wird. Jedes Kind hat Trotzanfälle und Wutausbrüche, aber vielleicht nicht immer über eine Stunde oder länger. Jedes Kind hängt an seiner Mutter, aber nicht über Wochen, wenn es schon sechs Jahre alt ist. Pausen gibt es nicht, Zeit und Raum zum Durchatmen bleibt kaum, Kranksein ist nicht erlaubt.

Ich wünsche mir, dass mit diesen Familien, die den Schritt der Adoption und Annahme eines bedürftigen Kindes mutig und unerschrocken gegangen sind und die jeden Tag darum ringen, ihre ihnen anvertrauten Kinder gut und gesund ins Leben zu begleiten,   respektvoll umgegangen wird. Formulierungen, wie sie die Finanzbehörde wählte, sind da in meinen Augen eher respektlos. Doch wenn in Deutschland schon grundsätzlich die Leistung von Eltern und Familien weder finanziell noch gesellschaftliche anerkannt wird, warum sollte man dann den Einsatz und das Engagement von tausenden von Adoptivfamilien sehen und würdigen?