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Nadeschda hatte nach den Ferien eine kleine Theatervorführung an der Schule. Als wir auf den Beginn der Vorstellung warteten, wurde ich von mehreren Müttern an unsere Schule mit den Worten begrüßt: „Na, Du Retterin unserer Schule.“ Ich wunderte mich ein wenig. Im Grunde habe ich nichts Weltbewegendes getan. Oder doch?
Im Hort der Schule unserer Kinder ist aufgrund einer längeren Krankheit eine Kraft ausgefallen. Nicht eine, die „nur“ die Kinder beim Spielen betreut, sondern eine Fachkraft, die auch die Hausaufgaben begleitet. Es ist also nicht irgendwer ausgefallen, sondern eine Betreuerin, die eine essentielle Aufgabe neben der Schule wahrnimmt, nämlich mit den Kindern das bei den Hausaufgaben nachzuarbeiten, was Zuhause aus welchen Gründen auch immer – meist mangelnde Zeit – nicht gewährleistet werden kann. Denn beide Eltern sind berufstätig, weil sie das wollen und vor allem auch müssen. Dies ist auch mit ein Grund für so viele Schüler an unserer Schule, da hier einfach eine konstante Betreuung bis 16:00h angeboten wird. Selbst bei „Hitzefrei“, wie gerade in den vergangenen Wochen. Und die Eltern wollen eben auch, dass die Hausaufgaben ordentlich gemacht sind und mit all dem „Schaff“, den Schule eigentlich so mitbringt, nichts zu tun haben.
In den Ferien kam der Hilferuf der Schule, ob ich nicht einspringen könnte. Nun, die komplette Zeit war für mich nicht zu realisieren – ich habe ja noch eine Fürsorgeaufgabe Zuhause – , aber ich habe dann binnen zwei Tagen eine Lösung für die Schule gefunden. Nun teile ich mir den Job mit einer Kollegin aus meiner Ausbildung, der ich den Job angeboten habe. Schon mit der Suche nach einer neuen Betreuungskraft für die Mittelstufe hatte die Schule extreme Schwierigkeiten, und so waren sie natürlich dankbar, dass ich so schnell reagiert habe.
Seitdem treibt mich aber der Gedanke um, warum das eigentlich Alles so schwierig ist. Mit „das Alles“ meine ich: Warum ist es so schwierig, wo doch in unserem Land Betreuung der Kinder vermeidlich so hoch gehalten wird, adäquate Betreuungskräfte zu finden? – Egal in welchem Feld der Betreuung. Denn auch als ich im Frühjahr eine Betreuerin für meine Mutter – also jemanden, der dreimal die Woche mit ihr die Dinge des Alltags erledigt, mit ihr spazieren geht, etc. – gesucht habe, gestaltete sich die Suche ähnlich schwierig. – Nicht das alle minder qualifiziert sind. Nein. Es gibt einfach niemanden!
Mit Blick auf die Schule treibt mich das natürlich gerade mehr um und so will ich auch bei dieser Baustelle bleiben. In den Medien geht wieder die Diskussion um die Erfüllung des Betreuungsangebots und der Kindergartenplätze für alle Kinder ab drei Jahren um. War ja ein Gesetz. Und selbst in den einschlägigen Medien des Hauses der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab es einen Artikel („Wartelistenplatz Nr. 374“ vom 3. 08.2018) , wie sich in den vergangenen Jahren die Arbeitsverhältnisse vor dem Hintergrund der veränderten Betreuungssituation geändert haben, dank des vermeidlich ausgebauten Betreuungsangebots. Waren es 2006 noch 48 Prozent aller Paare, in denen der Mann der Alleinverdiener in der Familie war und 26 Prozent aller Paare, in denen der Mann Vollzeit und die Frau in Teilzeit arbeitete, so verschob sich dies bis 2016 zu 39 Prozent und er erst genannten Gruppe und 34 Prozent in der zweitgenannten Gruppe. Das mag ja alles gut und schön sein, und seit dem 1. August 2018 sind nun in einigen Bundesländern auch die ersten sechs Stunden am Tag der Betreuung in einem Kindergarten kostenlos. Alles wunderbar. Aber was passiert, wenn dann mal die zauberhafte Kindergartenzeit vorbei ist? Dann beginnt der Run auf die wenigen und heiß begehrten Hortplätze. Und wenn Kindergartenplätze gerade in den Großstädten noch nicht ausreichend geschaffen worden sind, wie sieht das dann erst in den Horten aus? Mal ganz abgesehen davon, dass man dort selbst bei einem Ausbau keine Kräfte findet. Und schon gar nicht zu den Gehältern, die dort bezahlt werden. Auch an unserer Schule könnte man über den Ausbau des Hortes nachdenken. Aber wer soll dann den Job machen?
Die Politik sagt, dass immer mehr Frauen wieder in die Erwerbstätigkeit gehen sollen. Das mag ja auch eine gute Idee sein. Aber wenn die Voraussetzungen dafür nicht geschaffen sind, wie soll das dann funktionieren? Und Voraussetzungen heißt für mich eben nicht nur ordentliche und schöne Kindergartenplätze zu schaffen, wo sich die Kleinen auch wirklich wohl fühlen. – Erst in den vergangenen Tagen habe ich im Radio wieder eine Diskussion gehört, wie man es kleinen Kindern leichter machen kann, sich von der Mutter im Kindergarten zu trennen. Mag ja alles sein. Aber wenn das Kind in dem Kindergarten nun völlig überfordert ist, weil es sich auf einmal mit 18 oder meist mehr Kindern in einem „offenen Konzept“ zurechtfinden soll, dann ist das nicht die Lösung, um Mütter in den Arbeitsmarkt zurückzuschicken. – Ungeachtet dessen, dass es dann mit Eintritt in die Schule vorbei ist mit der Herrlichkeit. Denn dann ist es vorbei mit zwei Wochen kompletter Schließzeit im Jahr, wenn es denn vorher gut lief. Dann stehen je nach Bundesland 14 Wochen Schulferien an, die nur begrenzt durch den Hort abgedeckt werden, wenn es denn einen gibt und wenn man da einen Platz bekommt. Wie soll es dann funktionieren, dass beide Eltern arbeiten und ihr Kind in der Zeit gut betreut ist?
Was es wirklich braucht, sind gute Betreuungskonzepte, wenn die Kinder dann einmal in der Schule sind. Nicht nur gute Betreuungsideen, dass die Kinder sich wohlfühlen, sondern auch gute Konzepte, dass man die Pädagogen findet, die diese Aufgaben mit Schulkindern bewältigen können und wollen. Denn auch hier in der Schule ist es neben dem fachlichen Wissen, um den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, ganz viel Beziehungspflege, die nötig ist. Das erlebe ich nun jeden Tag. – Natürlich geht mir das Herz auf, wenn ein 3. Klässler vor mir steht und sagt: „Wir haben heute Hausaufgaben auf. Und die will ich unbedingt bei Dir machen.“. Und wenn sie dann da alle sitzen ganz brav und ruhig und mit ihren Texten kämpfen, die sie in Schreibschrift übertragen müssen. Oder ich sehe, dass ein Mädchen, dass ich eben noch aus dem Kindergarten kenne, weil sie mit Nadeschda in einer Gruppe war, fast weint; ich mich zu ihr setze und sie beruhige und sie immer wieder sagt: „Ich schaffe das nicht, und ich muss doch eigentlich raus zu meinem kleinen Bruder. Der ist gerade ein die Vorklasse gekommen und der tut sich so schwer draußen.“ und ich sie in den Arm nehme und sage: „Du schaffst das. Ich helfe Dir. Du kannst das jetzt mit meiner Hilfe ganz schnell schreiben und dann gehst Du zu Deinem Bruder. Und solange Du hier bist, ist er draußen gut aufgehoben.“ Und das Mädchen einfach mit einem schweren Seufzer der Erleichterung das schreibt, was ich vorgemalt habe.
Die Arbeit mit Kindern ist so wunderbar, wenn auch anstrengend und herausfordernd. Und sie ist so unermesslich wichtig. Nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern, damit sie ruhigen Gewissens ihre berufstätigen Pflichten erfüllen können. Doch oft frage ich mich, warum diese Arbeit so wenig anerkannt und wertgeschätzt wird. Wenn ich allerdings so darüber nachdenke, ist das kaum verwunderlich: Denn wenn die Fürsorgearbeit Zuhause schon nicht wahrgenommen und wertgeschätzt wird, warum sollte man die Betreuungsarbeit außerhalb des Zuhauses, an die ja nur dieselbe heimische Fürsorgearbeit ausgelagert wird, wertschätzen und vielleicht auch entsprechend honorieren?