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Von Herkunft und Heimat

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Inspiriert durch eine Diskussion in meinem Seminar geistern seit ein paar Tagen Gedanken zu „Herkunft und Heimat“ in meinem Kopf herum. Wohlmöglich, da mich die Frage nach der Herkunft meiner Kinder und wie sie irgendwann einmal damit umgehen werden, immer wieder beschäftigt und damit das Thema bei mir auf fruchtbaren Boden fällt. Spannend für mich war die Erkenntnis, dass ich mir selbst diese Frage noch nie wirklich beantwortet habe: „Was und wo ist eigentlich meine Heimat? Ist sie verbunden mit meiner Herkunft?“

Angeblich entwickeln Kinder im Alter zwischen acht und zehn Jahren ein erstes Gefühl für Heimat. Bewusst nehmen sie ihr Zuhause und ihre Umgebung, in der sie leben, nun wahr. Später im Erwachsenenalter mag dieser Ort, an dem sie in diesem Lebensalter waren, sich als Heimat manifestieren. Freundschaften, die in dieser Zeit entstehen, mögen manchmal ein Leben lang halten. So schilderten es auch einige der Diskussionsteilnehmer und bestätigten diese Theorie. Und so ist es auch bei Richard. Er ist an einem Ort groß geworden und hat dort mehr oder weniger sein ganzes Leben verbracht. Wenn es ihn mal in die Ferne zog, so ist er doch nach einer kurzen Zeit immer wieder in seine „Heimat“ zurückgekehrt. Nur eine Kollegin aus meinem Seminar erzählte, dass sie zwar lange geglaubt hat, dass die Stadt, in der sie seit ihrem vierten Lebensjahr lebte, ihre Heimat ist. Doch als sie erst vor kurzem während eines Urlaubs in ihr Geburtsland zurückgekehrt ist, und dort auf einmal mit bestimmten Gerüchen und Geräuschen konfrontiert war, spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben ganz deutlich: „Nein, hier ist mein Ursprung und hier ist mein Zuhause.“ Selbst wenn sie dort nur ihre ersten drei Lebensjahre verbracht hatte.

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Nun, ich bin von Beginn an bis ins Jugendalter mit meinen Eltern in der Regel alle zwei Jahre umgezogen. Feste Freundschaften kannte ich nicht. Jedesmal wieder musste ich von neuem beginnen und spürte wohl auch, dass dies alles nur Episoden in meinem Leben waren. Erst mit etwa vierzehn blieben wir an einem Ort und ich an einer Schule. Doch dann ging ich wenig später ins Ausland. Also auch hier keine festen Bindungen und Freundschaften. Erst jetzt im Erwachsenenalter bin ich so etwas wie sesshaft geworden. Die Adresse unter der wir heute leben ist die, die ich am längsten besitze, bald fünfzehn Jahre. Dennoch würde ich unseren Wohnort nicht als meine Heimat bezeichnen. Und ich gelte hier im Dorf oder in der Kirchengemeinde auch immer noch als „Zugereiste“, selbst wenn ich in meinem sozialen Umfeld vor Ort mit am längsten lebe. Einen Ort also, mit dem ich so etwas wie Heimat im Sinne von Zugehörigkeit verbinde, habe ich nicht. Manchmal habe ich geglaubt, dass vielleicht der Ort, an dem meine amerikanische Gastfamilie lebt, so etwas wie meine Heimat wäre. Immer wenn wir dort sind, ist es so, wie es meine Bekannte aus dem Seminar beschrieben hat. Mit der Landschaft, den Häusern, den breiten Straßen, den Gerüchen, den Geräuschen, dem Essen, der Sprache macht sich so ein ruhiges und zufriedenes Gefühl in mir breit; alles kommt mir so vertraut vor; ich fühle mich dort wohl. Dort habe ich manchmal den Eindruck, mehr ich selbst zu sein als irgendwo sonst auf der Welt. Auch wenn es spannender Weise nie der Ort war, an dem ich in den USA wirklich gelebt und Alltag erfahren habe. Das war in einer anderen Stadt und meine Gastfamilie zog erst vor etlichen Jahren, nachdem ich schon wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, an das Haus am See. Ja, die Bank unten am See ist für mich ein Ort der Zufriedenheit, der inneren Kraft und Ruhe. Doch ist das auch meine Heimat?

Während meine Gedanken zu unserer Diskussion im Seminar zurück schweifen, merke ich, dass „Heimat“ für mich gar kein Ort ist. Dennoch bin ich angekommen. In mir. In meinem Leben. In meiner Rolle und in meiner Aufgabe. Meine Heimat, wenn man so will, sind meine Kinder und meine kleine Familie, die in den vergangenen Jahren gewachsen ist wie eine wunderbare Blume. Ich bin von woanders hergekommen, meine biologische Herkunft hat mit der meiner heutigen kleinen Familie nichts zu tun. Doch nach einem rastlosen und lange suchenden Weg bin ich bei Richard, Maxim und Nadeschda angekommen. Meine Heimat ist mein Leben als Mutter dieser zwei unglaublichen Kindern, die das Schicksal zu mir gebracht hat. Sie sind meine Heimat. Zu ihnen gehöre ich.

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„Anders Mutter werden – das erste Jahr nach einer Auslandsadoption“ – mein Blog als Buch

cover_anders_mutter-werden_blogHatte ich es an der ein oder anderen Stelle schon angedeutet, nun ist es soweit: Mein Buch „Anders Mutter werden – Das erste Jahr nach einer Auslandsadoption“ ist im FamArt Verlag erschienen. Viele von Euch sind mir bereits hier auf meinem Blog mit viel Unterstützung und großer Anteilnahme durch unser erstes Jahr gefolgt. Danke dafür von Herzen an all meine Leser! Das motivierte mich weiterzumachen, nicht nur hier auf diesem Blog, sondern unsere Erlebnisse, Herausforderungen, Höhen und Tiefen des ersten Jahres – detailliert und umfassend – als Buch zu veröffentlichen. Neben den Veränderungen in unserem ersten Jahr als Adoptivfamilie schildert das Buch unser Adoptionsabenteuer in Gänze und wagt einen Ausblick in die Zeit nach dem ersten Jahr bis in der Gegenwart, mit der sich die Beiträge in meinem Blog beschäftigen. Wer also Lust auf noch mehr hat, der klicke hier, mit erster Leseprobe inklusive. Und wer noch mehr über die Motivation zu diesem Buch erfahren möchte, findet hier die Pressemeldung von FamArt.

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Der Versatile Blogger Award – die Zweite

versatile-awardDie liebe Susanne von „Hallo liebe Wolke“ hat mich vor ein paar Wochen erneut für den Versatile Blogger Award nominiert. Hab lieben Dank dafür! Natürlich mache ich gerne wieder mit und nutze diesmal die Chance, meine Nominierungen vom ersten Versatile Blogger Award zu erneuern oder auch noch einmal Blogs zu nominieren, die mir leid und teuer sind, auch wen sie diesen Award dann zum wiederholten Male bekommen.

Doch zunächst meine sieben Fakten über mich, die ich an die nominierende liebe Wolke gerne zurückgebe:

  1. In der Mitte meines Lebens habe ich begonnen, Flöte zu spielen. Bis dahin hatte ich mich geweigert, ein Instrument anzufassen.
  2. Ich rede im Schlaf, angeblich….
  3. Ich spreche vier Sprachen mehr oder weniger fließend.
  4. Ich bin bekennende Helikoptermutter.
  5. Ich mag den Winter. Doch richtig gut geht es mir erst bei 30 Grad Außentemperatur und mehr.
  6. Als Kind habe ich Gartenarbeit gehasst, heute kann ich es kaum erwarten, dass der Frühling Einzug hält und ich mit Maxim und Nadeschda wieder pflanzen kann.
  7. Ich habe eine Schlangenphobie. Es wird eine große Herausforderung sein, wenn meine Kinder im Frühjahr zu einem „Schlangengeburtstag“ eingeladen sind.

Und hier meine Nominierungen, unter denen sich wieder eine bunte Mischung von Blogs findet, die mich schon von Beginn an begleiten oder erst seit neustem, die das Muttersein in den thematischen Vordergrund stellen oder Bücher, letzteres für mich im Moment das Wunderbarste in meinem Leben neben meinen Kindern:

Mission Mom

FamilieBitte

Die verlorenen Schuhe

Familiendinge

home is where the boys are

add2fam

Julmum

Kaiserinnenreich

Das Leben ist kein Ponyhof

Nach Regen kommt Sonnenschein

Tante Tex

Read Books and Fall in Love

Elementares Lesen

Tintenhain

Buchstabenträumerei

Und zum Schluss noch einmal die Regeln in aller Kürze:

  • Danke der Person, die dich nominiert hat
  • Wähle 15 Blogger aus, um sie deinerseits für den Versatile Blogger Award zu nominieren
  • Erzähle 7 Dinge über dich

Ich freue mich, wenn Ihr mitmacht und noch mehr, sieben Fakten von Euch zu lesen. 😉

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Meine drei Wünsche für 2017

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Heute ist Heilige drei Könige. Der letzte Tag der Weihnachtszeit, das Ende der Rauhnächte. Angeblich geht das, was man in ihnen träumt, in Erfüllung in diesem nun angebrochenen neuen Jahr. Man könnte also heute den Beginn des Neuen setzen. Doch bin ich noch nicht so richtig in diesem neuen Jahr angekommen. Auf der einen Seite haben mich Tatendrang und der Ferienalltag in Beschlag genommen. Die Kinder und ich sind jeden Tag arbeitsam unterwegs, erledigen viel, üben wie immer etwas für die Schule und unsere Instrumente, spielen viel und Maxim und Nadeschda sehen nachmittags viele ihrer Freunde. Auf der anderen Seite weiss ich noch nicht, wo mich dieses neue Jahr hinbringen wird. So wie das vergangene soll es nicht mehr werden. Doch zeichnen sich bereits jetzt schon neue Herausforderungen – nicht nur mit Maxim und Nadeschda – ab. Und so kreisen meine Gedanken in den vergangenen Tagen immer noch um das alte Jahr und meine Lehren daraus. Damit das neue Jahr nicht eine Wiederholung des alten wird.

2016 war ein hartes Jahr. Ich habe auf zu vielen Baustellen kämpfen müssen, und dies gefühlt immer alleine. Mein „Arbeitstag“ hatte meist mehr als 16 Stunden und das auch am Wochenende. Oft mit wenig Schlaf, wenn eines der Kinder mich nachts rief oder von vorne herein bei uns im Bett schlief. Manchmal auch beide. Richard arbeitet nach wie vor viel, zu viel, steht selten zu Verfügung. Zumindest darf ich dankbar sein, dass er mir meine Ausbildung ermöglicht und freitags früher nach Hause kommt. (Auch wenn ich dann meine Zeit der Abwesenheit in Hausarbeit am folgenden Tag meist dranhängen darf.) Weitere familiäre Unterstützung haben wir nicht. Rückblickend kann ich zwar stolz sein auf all das, was ich geschafft habe. Aber all das hatte auch seinen Preis. Ich habe 1,5 Häuser umgebaut. Eines davon, während wir drin wohnten. Ich habe rund 170 qm Wohnfläche komplett neu eingerichtet. Ich habe mit meinem ehemaligen Arbeitgeber erfolgreiche Abfindungsverhandlungen geführt und mein Arbeitsverhältnis endgültig beendet. Gleichzeitig habe ich ein Buch zur Veröffentlichungsreife gebracht und eine Ausbildung begonnen. Daneben habe ich meinen depressiven Bruder bei uns aufgenommen und quasi einen Haushalt mit vier Kindern – zwei großen und zwei kleinen – geführt.

All das neben meiner Hauptaufgabe als Mutter meinen beiden bedürftigen Kindern voll bewusst, unterstützend und stärkend zur Seite zu stehen, sie durch ihr Leben zu begleiten, mit ihnen ihre Traumata zu überwinden. Mit ihnen jeden Tag zu „arbeiten“, ihnen mit viel Struktur und wiederholendem Rhythmus Sicherheit zu geben. Sie zu trösten, ihre Wutanfälle auszuhalten, ihre Ängste ernst zunehmen und für sie stark zu sein. Und dabei immer gelassen und ruhig zu bleiben und sie meine eigenen Sorgen und Ängste, meine Erschöpfung nicht spüren zu lassen. Das war nicht immer einfach. Und leider gab es auch Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, als Mutter zu versagen. So bei der Episode mit der Fleischwurst  oder auch bei meinem Zuspätkommen. Erst mit der Zeit ging es besser. Ich fügte mich voll und ganz in die Bedürfnisse meiner Kinder. Wenn wir zusammen waren, blendete ich alles andere aus. Da war ich nur für Maxim und Nadeschda da, blieb bewusst ganz bei ihnen. So wie ich es hier und hier geschrieben habe. Am Ende hat sich das ausgezahlt und ich darf voll Stolz auf eine bewundernswerte Entwicklung meiner Kinder zurückblicken.

Doch anderes blieb auf der Strecke. Ende November kam Daniel nach einem Selbstmordversuch ins Krankenhaus. Ja, ich hatte in den Wochen davor wohl gesehen, dass es ihm in seiner Depression wieder schlechter ging. Aber ich wollte es nicht wahr haben. Manchmal glaubte ich, er müsse doch auch so „funktionieren“ können wie ich. Konnte er aber nicht. Der Strudel zog ihn immer weiter nach unten, bis er selbst zu Kleinigkeiten und Alltäglichkeiten nicht mehr in der Lage war. All das wollte und konnte ich mir nicht bewusst machen. Die Achtsamkeit, die ich meinen Kindern gegenüber zeigte, ließ ich bei meinem Bruder nicht walten. Wenn die Kinder in der Schule waren, pflügte ich einfach weiter durch mein Programm, dass trotzdem nicht weniger wurde. Für Daniel hatte ich keine Zeit. Genauso wenig wie ich mir selbst Momente gönnte, um inne zu halten, langsam zu machen. Sport steht als unerledigtes To Do noch nicht einmal auf meinen ungezählten Listen. Der Stapel ungelesener Bücher wird immer länger. Mal mit einer guten Freundin telefonieren selten möglich. Drei Grippen und Nasennebenhöhlenentzündungen habe ich in diesem Jahr weggedrückt, mit viel zu vielen Medikamenten. Ich weiß ja, wie ich unseren Hausarzt davon überzeugen kann, was ich jetzt dringend brauche. Mein Immunsystem liegt am Boden. Doch einfach einmal nichts tun, was ist das? Stattdessen immer weiter im Hamsterrad, jeden Tag von sechs Uhr morgens bis abends um elf.

Erst nachdem mich ein Gespräch mit Nadeschdas Klassenlehrerin  zunächst völlig aus der Bahn warf, merkte ich, dass ich nicht mehr so weitermachen darf. Ich muss für meine Kinder stark und gesund sein. Das ist das allerwichtigste. Dafür muss ich schauen, dass es mir selbst gut geht, dass ich auch einmal aussteige aus meinem Hamsterrad, innehalte, langsam mache, gar nichts tue. So wie ich für Maxim und Nadeschda schon erkannt hatte, dass wir viel mehr Zeit und Ruhe Zuhause brauchen und wir unseren Terminkalender entschlacken müssen, so sollte ich dies genauso für mich selbst tun. Aber wie trage ich das in meinen ganz persönlichen Alltag? Meine To Do Zettel werden irgendwie nicht kleiner. – Ich bin hin und her gerissen, ob ich mir nicht drei gute Vorsätze für 2017 vornehme: 1. Laufen gehen, 2. mehr als sieben Stunden nachts schlafen und 3. alle zwei Wochen ein gutes Buch lesen (Katja von home is where the boys are hat so wunderbare Buchempfehlungen). Auf der einen Seite könnten sie mich zwingen, tatsächlich mehr Ruhe in meinem Leben walten zu lassen. Auf der anderen Seite habe ich die Sorge, mich nur wieder noch mehr unter Druck zu setzen. Vielleicht nenne ich sie einfach „Meine drei Wünsche für 2017“. Dann haben sie weniger etwas zwanghaftes. Sie dürfen in Erfüllung gehen, müssen es aber nicht….

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Charlottes Sonntagslieblinge (3)

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Ben White, unsplash.com

Neben all den manchmal aufziehenden dunklen Sorgenwolken in meinem Kopf, sind Maxim und Nadeschda zauberhafte Kinder. Unser Leben mit ihnen ist alles andere als schwierig und problembehaftet, sondern meistens wunderbar. Deshalb blicke ich inspiriert von  Mirjam von Perfektwir  auf meine eigenen, ganz persönlichen Lieblinge dieser Woche. Hier sind meine drei Sonntagslieblinge:

  1. Meine Kartoffelsuppe ist die Beste! Behauptet zumindest meine Tochter in der Schule. Dies hat sie auch beim Mittagessen in der Mensa lautstark kundgetan. Auch wenn die Chefin der Schulmensa dann frustriert war.
  2. „Du musst viel üben, damit Du in der Schule vorankommst.“ sagte Maxim zu seiner Therapeutin im Spiel. (Sie spielten Schule. Er war der Lehrer und die Therapeutin der Schüler.) Ich musste innerlich lächeln, denn sein Satz war genau der, den ich zu ihm wahrscheinlich in den vergangenen Monaten jeden Tag mindestens einmal zu ihm gesagt habe. Auf mein „Ganz die Mama.“ sagte mein Sohn zu mir: „ Genau, denn Du weisst alles.“
  3. Heute kein Buch, denn ich bin mitten in den Umzugsvorbereitungen in mein neues „Büro“. Ich liebe es, Räume neu einzurichten und neu zu gestalten. Und wenn ich ein schwedisches Möbelhaus so oft verfluche, es eröffnet auch so viel Platz für neue Kreativität.

Für heute bin ich dankbar und freue mich auf die neue Woche und all das, was da noch so in den kommenden Wochen sich fügt.

Habt auch Ihr einen wunderbaren Start in den Montag!

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Berufstätig als Adoptivmutter – Geht das?

Mein ursprünglicher Plan während des Adoptionsprozesses war es, nach einem Jahr Elternzeit in Teilzeit in meinen alten Beruf zurückzukehren. Unser Kind würde dann wahrscheinlich soweit sein, in den Kindergarten zu gehen. Meine Schwiegermutter lebte im Haus nebenan. Sie freute sich auf ihr Großmutterdasein in vollen Zügen. Somit wog ich mich in Sicherheit, mein Kind auch in der Zeit, in der ich wieder arbeiten würde, in wohlwollenden fürsorglichen Händen zu wissen. Außerdem war ich noch in dem naiven Glauben, dass die „Päckchen“, die unser Kind mitbringen würde, nach einem Jahr bei uns geheilt wären.

Doch dann kam alles anders. Allen voran kehrten wir aus Russland mit zwei Kindern zurück, und nicht nur mit einem. Das war eine wunderbare Fügung des Schicksals, für die ich ewig dankbar bin. Dennoch erhöhte das auch den Aufwand in jeder Form. Allein Nadeschda war noch sehr klein und es würde Jahre dauern, bevor sie in den Kindergarten gehen könnte. Beide Kinder kamen mit unterschiedlichen medizinischen Diagnosen zu uns und brauchten unterschiedliche ärztliche und therapeutische Unterstützung. Das bis heute. Sich darum zu kümmern und meine Kinder durch die medizinische und therapeutische Hilfe zu begleiten, wollte und konnte ich niemandem Dritten überlassen. Grundsätzlich wurde ich mir mit dem meinem Hineinwachsen in meine Mutterrolle immer mehr bewusst, dass meine Kinder auch über die ersten ein bis zwei Jahre hinaus, ein vieles mehr an „Mutter“ brauchten. Ich begann, dies als meine neuen Verantwortung und Aufgabe anzunehmen. Und im gemeinsamen Leben und Erleben meiner Kinder erschien mir zunehmend die klassische Berufswelt und vor allem auch mein alter Job als sinnentleert. Hier Zuhause hatte ich eine sinnstiftende Verantwortung.

Zudem starb im Verlauf des ersten Jahres, nachdem Maxim und Nadeschda zu uns kamen, meine Schwiegermutter. Mögliche Betreuungsmodelle wurden damit brüchig, weitere familiäre Unterstützung war nicht vorhanden. Auch verselbstständigte sich das klassische Rollenmodell, auf das Richard und ich uns für das erste Jahr nach der Adoption geeinigt hatten – er arbeitete Vollzeit weiter, ich blieb zuhause bei den Kindern. Es war irgendwann sehr bequem, dass ich mich voll und ganz um die Kinder kümmerte und er seinem Beruf nachging (Vaterglück). Bis zu dem Punkt, dass eine Arbeitsteilung der Kinder kaum noch in Frage kam. Dass er zum Beispiel morgens die Kinder für die Schule fertig macht, steht nicht zur Diskussion. Sehr zur Verwunderung anderer Mütter. Neulich sprach ich mit einer Freundin und mitten im Gespräch sagte sie: „Ach, deshalb stehst Du immer so früh auf. Ich habe mich schon gewundert. ich dachte immer, wenn Richard die Kinder in die Schule bringt, dann macht er sie auch morgens fertig.“

Allen voran jedoch habe ich zwei Kinder, die so wunderbar ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren auch gewesen ist, deren emotionaler Bedarf nach Sicherheit, Verlässlichkeit, Halt und Fürsorge immer noch ein „Fass ohne Boden“ ist. Meine Präsenz gibt ihnen diesen Halt. Auch wenn inzwischen gemeinsames Spielen, Basteln, Kochen, Ausflüge weniger und abgelöst werden von Spielverabredungen mit anderen Kindern, so ist es wichtig, dass ich dennoch da bin. Ich muss diejenige sein, die für sie auch die Übergänge von einer Aktivität zur anderen mit gestaltet. Ich muss sie zum Turnen bringen, ich muss sie von der Musikschule abholen. Tue ich es einmal nicht, beginnen die Beziehungsanfragen von neuem.

Natürlich gibt es Familienmodelle, wo auch mit bedürftigen Kindern die Adoptivmutter arbeiten kann. In den Familien, die ich kenne, ist es dabei meist so, dass der Vater so arbeitet, dass er einen Teil der Aufgaben zuhause mit übernimmt und dass es eine rührige Großmutter gibt, die die Kinder mit umsorgt, wenn nicht sogar einen Teil der Hausarbeit erledigt. Würde Richard abends um fünf nach Hause kommen und einen Teil der Freizeitaktivitäten der Kinder mit abdecken und hätte ich eine Mutter oder Schwiegermutter, die meine Kinder manchmal zum Ballett und zum Fussball begleitet, die einkauft und die Wäsche macht, dann könnte ich mir eine Berufstätigkeit zumindest organisatorisch vorstellen. Aufgrund unserer Lebensumstände, in denen Richard Karriere macht und wir keine treusorgende Großmutter mehr haben, bleibt meine Berufstätigkeit Theorie.

Heute nach einigen Jahren habe ich gelernt, dass ich nur in dem Umfang einem Beruf nachgehen kann, der in die Freiräume, die mir meine Kinder – durchaus zunehmend – lassen, passt. Und der flexibel genug ist, dass ich ihn den Bedürfnissen meiner Kinder anpassen kann. Sind sie krank, muss ich da sein; brauchen sie in der Schule über die Hausaufgaben hinaus mehr Unterstützung, muss ich ihnen helfen; benötigen sie therapeutische Hilfe, muss ich sie dadurch begleiten; brauchen sie ein „Mehr an Mama“, muss ich es ihnen geben. Egal wie. Und alles andere muss hinten anstehen.

Vor ein paar Jahren hat eine Adoptionsberaterin auf einem Vortrag gesagt: „Mit einem hochproblematischen Adoptivkind, vergessen Sie es zu arbeiten.“ Nun habe ich keine hochproblematischen Adoptivkinder, sondern beide haben einfach besondere Bedürfnisse. Aber dennoch es sind zwei. Habe ich vor ein paar Jahren noch bei diesem Ausspruch gedacht: „Was für ein Unsinn.“, so muss ich heute zugeben: „Irgendwie hat sie (leider) recht.“