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Charlotte’s Sonntagslieblinge (138)

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Photo by Tim Gouw on unsplash.com

So eine Woche mit einem Feiertag in der Mitte ist nach dem Wiedereinstieg in den Schulalltag auch mal nett. Der 1. Mai bot uns eine kleine Verschnaufpause, um dann doch gestärkt in den Rest der Woche zu starten. So liegt ein recht fleißiges Wochenende fast hinter uns, an dem wir viel in Haus und ein wenig im Garten (eigentlich war es ja viel zu kalt und zu naß, um sich draußen aufzuhalten) herumgewurschtelt, ausgemistet, aufgeräumt und neu sortiert haben. Auch meine ToDo-Liste habe ich nach dieser Woche wieder besser im Griff. Im Moment sind die Kinder mit Richard im Schwimmbad, bevor wir heute Nachmittag dann in die vorerst letzte Aufräumrunde starten. Irgendwie ging mir in den letzten Tagen der Satz „Alles neu macht der Mai.“ nicht aus dem Kopf. Es ist ein schönes Gefühl, Haus und Garten für den hoffentlich bald nahenden Frühling und Sommer vorzubereiten. So halte ich, wie jeden Sonntag, einen Moment inne und bin diesmal dankbar für diese drei Sonntagslieblinge:

  1. Langsam aber stetig bekommt Nadeschda die Schule für sich immer besser in den Griff. Der Unterricht scheint sie weniger anzustrengen, zumindest im Moment. Sie blendet weniger den Schulalltag Zuhause aus. Auch das tägliche Üben ist ihr wieder in Fleisch und Blut übergegangen. Gestern Abend hat sie sogar selbst Rechenblätter für sich – und auch für uns alle in der Familie – zum heutigen Üben vorbereitet. Fünfmal kopiert liegen sie hier neben mir auf dem Tisch und warten auf die „Familienübstunde.“
  2. Maxim wird immer selbstständiger, und nun muss ich als Über- und Helikoptermutter anfangen, mich zurückzunehmen. Sein zunehmend genervtes „Ja, ja Mama, ich mach das schon.“ zeigt mir, dass wir allmählich an den Punkt kommen, an dem ich manche Dinge loslassen muss.
  3. Ich komme wieder in eine bessere Selbstfürsorge. Nachdem mir mein Rücken wieder üble Streiche gespielt hat, habe ich die Beschwerden mit viel Laufen und Gymnastik in der vergangenen Woche ganz gut in den Griff bekommen. Ungeachtet dessen habe ich dennoch einen Termin beim Physiotherapeuten gemacht. Ebenso lebt mein „Projekt der 100 Seiten“ wieder auf. Lesen ist einfach eine wunderbare Art, herunterzukommen, sich eine kurze Pause zu gönnen und abzutauchen in eine andere Welt. Gerade habe ich „Eine Straße in Moskau“ von Michail Ossorgin beendet, ein wunderbares Buch, das einen mitnimmt in das Moskau kurz vor und nach der Revolution. Natürlich war es erst recht spannend zu lesen, nachdem ich in Moskau die Originalplätze gesehen hatte.

Habt einen wunderbaren Sonntag, der eigentlich zum gemütlichen Verweilen Zuhause einlädt, und startet gut und gesund in die neue Woche.

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Lydia’s Blogparade: „Was darf man Kindern zutrauen?“

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Photo by Michal Janek on unsplash.com

Die liebe Lydia, deren Blog ich sehr gerne lese, weil sie mir die Welt aus einer ganz anderen Perspektive nahe bringt und damit für mich so vieles Selbstverständliche oft in ein anderes Licht rückt, hat zur Blogparade „Was darf man Kindern zutrauen?“ aufgerufen. Gerne mache ich mit und folge Lydias Aufruf. 

Mit Sicherheit motiviert es mich auch mitzumachen, da ich aufgrund der Lebensgeschichte meiner Kinder eine andere Sichtweise vertrete als viele andere Mütter. Denn meine Kinder haben eine harte und schmerzhafte Lebensgeschichte in ihren ersten Lebensjahren erfahren müssen. Sie lebten eben nicht wohlbehütet und umsorgt auf, sondern waren mehr oder weniger wahrscheinlich von Geburt an auf sich selbst gestellt. So können wir heute nur vermuten. Denn all dies spielte sich ab, bevor wir Maxim und Nadeschda im Alter von fast drei und bald zwei Jahren adoptierten. Mittlerweile sind unsere Kinder „groß“ mit zehn und bald neun Jahren. Aber die Wunden der Frühtraumatisierung hallen bis heute nach. Und somit wachsen sie bei uns eben nicht auf wie „normale“ Kinder, sondern sind durchaus im gemeine Sprachjargon überbehütet. Gerne mache ich mich dabei in Diskussionen um Helikoptermütter unbeliebt. Ich bin eine Helikoptermutter aus Überzeugung. Denn das ist es, was meine Kinder bis heute brauchen. 

Was kann ich meinen Kindern zutrauen? – Theoretisch ganz schön viel. So bitter es klingt, ich könnte heute tot umfallen, und meine Kinder würden irgendwie klar kommen. Denn es ist eine Situation, die sie früh in ihrem Leben gelernt haben. Gerade mein Sohn, der ein ausgeprägtes Autonomieverhalten an den Tag legt, wenn man ihn lässt, würde wahrscheinlich – oberflächlich betrachtet – gut zurecht kommen. Er könnte gut Verantwortung übernehmen, würde sich (zu) viel aufbürden, würde es dennoch schaffen. Aber es täte ihm nicht gut, und es tut ihm auch nicht gut, wenn es denn mal in Ausnahmesituationen gefordert ist. Danach folgen heute noch tagelang die Beziehungsanfragen: „Hält mich die Mama? Hält sie mich aus?“ – Und meine Tochter? Sie war fünf Monate alt, als sie von ihrer russischen Mutter getrennt wurde. Bis heute müssen wir so unglaublich viel nachnähren. Seit bald mehr als einem Jahr schläft sie (wieder) bei Richard und mir in unserem Bett, und es ist fast ein Ritual, dass sie nach dem Vorlesen dort zwischen meine Beine krabbelt und in meinem Schritt verharrt. Als würde sie sich innerlichst wünschen, in meinen Bauch zu kriechen, in dem sie (leider) niemals war. Dieses Kind muss so viel umsorgt werden. Noch heute – und Nadeschda wird bald neun Jahre alt – braucht sie jedes Kleinkindhafte Umsorgen, vom Anziehen über das Schultasche packen und dann an der Hand in die Schule laufen bis zum pünktlichen Abholen – oder ein da sein, weil ich ja im Hort arbeite – und einem begleiteten Arbeiten für die Schule. Nur so schafft sie gut ihren Alltag und ihr Leben. Dennoch weiß ich, dass sie all diese Dinge des alltäglichen Lebens auch alleine bewältigen kann. Natürlich kann sie sich alleine anziehen. Natürlich kann sie sich ihr Frühstück selbst zubereiten. – An guten Tagen erwische ich sie oft am Kühlschrank, wo sie sich selbst ihren Jogurt herausholt, oder sie steht am Toaster und wartet auf ihr Brot, um es sich dann selbst zu schmieren. Dann huscht ihr verschmitztes und spitzbübisches Lächeln über ihr Gesicht, als wolle sie mir sagen: „Mama, ich kann das alles. Aber ich will meistens nicht. Ich brauche es noch, dass Du das alles für mich machst.“

Was kann ich also meinen Kinder zutrauen? Dem einen tut die Autonomie nicht gut, die andere braucht noch so viel Mutterliebe und -fürsorge, dass es mir so oft scheint, es wäre ein Fass ohne Boden. Denn nur mit all dieser Fürsorge haben meine Kinder eine Chance zu heilen: Ihr Trauma zu überwinden, den Schmerz und die Trauer, die Wut des Verlassenseins aus der frühesten Kindheit zu verarbeiten und irgendwann einmal anders damit umzugehen.

Also traue ich meinen Kindern mit Blick auf eine Alltagskompetenz erst einmal wenig zu. Denn ich weiß, dass es am besten ist, wenn sie sich um nichts kümmern müssen und „Mama“ einfach da ist. Nur so fühlen sie sich behütet, sicher und umsorgt. Nur so können sie wachsen und sich entwickeln. Dennoch weiß ich, dass ich genauso die Pflicht und die Aufgabe habe, meine Kinder auf das Leben vorzubereiten und sie dahin zu bringen, dass sie tatsächlich einmal in der Lage sind, ihren Alltag alleine zu bewältigen. Und das ist der schmale Grat auf dem wir uns bewegen. 

Ich erinnere ich mich an eine Situation vor ein paar Jahren mittlerweile. Maxim war zum Geburtstag eingeladen bei einem Freund im Ort – seinem bis heute ersten und seelenverwandten Freund noch aus Kindergartenzeiten. Nadeschda war krank und lag schlafend auf dem Sofa, als es für Maxim Zeit war zu gehen bzw. es Zeit war, dass ich ihn zu seinem Freund bringe. Ich war im ersten Moment etwas ratlos, wollte Nadeschda nicht aufwecken, aber auf der anderen Seite musste Maxim ja zu diesem Geburtstag. Da sagte mein Sohn: „Mama, ich kann doch auch alleine zu Karl laufen.“ Wie Recht er hatte! Es war ja wirklich nur die Straße rauf. So machten wir das dann auch. Und es war gut. Denn es war auch ein Stück weit eine gesunde Eigenverantwortung, die Maxim sich in diesem Moment selbst gewählt hatte.   

So versuchen wir seitdem, in kleinen wohlgewählten Dosen, unsere Kinder an Verantwortung in ihrem Alltag heranzuführen. Pflichten und Aufgaben im Haushalt zu übernehmen, selbstständig an Dinge zu denken und diese auch zu erledigen. – Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass wir auf dem Land leben und meine Kinder nicht die örtliche Schule besuchen. So ist unser Leben ohnehin davon dominiert, dass ich eh meine Kinder überall hinbringen muss. (Öffentliche Verkehrsmittel fallen qua schlechter Infrastruktur aus.) Wir fahren sie zur Schule, wir holen sie dort ab, wir bringen sie zu ihren Freunden, wir fahren zu den Freizeitaktivitäten, die eben alle auch nicht in unserem Ort sind. Diese Form der Unselbstständigkeit haben wir uns sozusagen eingekauft, als wir uns für die Waldorfschule entschieden haben, die mittlerweile unser Lebensmittelpunkt ist. – Nach den Jahren des vollständigen Umsorgtseins ist das nicht immer einfach. Gerade hier im Skiurlaub gab es eine riesen Diskussion, warum denn nun beide Kinder ihre Koffer selbst auspacken sollten und ihre Anziehsachen in den Schrank räumen sollten. Es ist und wird eine Gratwanderung bleiben. 

Aber am Ende muss ich für meine Kinder feststellen: Zutrauen darf man ihnen eine Menge. Doch ich muss jedes Mal wieder abspüren, ob ihnen das jetzt gut tut oder nicht. Manchmal könnte ich mehr loslassen und ihnen mehr zutrauen. Oft brauchen sie aber immer noch einmal das Quäntchen mehr „Mama“ und Fürsorge als andere Kinder.  

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Charlotte’s Sonntagslieblinge (102)

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Danke an Fotolia

Es ist wie immer: Es braucht drei Wochen, bis ein neuer Alltag oder eine Veränderung im Ablauf zur Routine wird. Meine Arbeit in der Nachmittagsbetreuung der Schule hat sich nun mit meinen Kolleginnen eingespielt. Die letzten Altlasten aus den Ferien sind „abgearbeitet“ (Ich war sogar zur Kontrolle meiner Zähne endlich mal beim Zahnarzt, was ich lange vor mir hergeschoben hatte.). Mein Unterricht ist vorbereitet. Die Kinder verfolgen wieder ihr Nachmittagsprogramm, aber eines, was wir noch einmal reduziert haben. Und beide genießen die freie Zeit Zuhause. Möge dieser Frieden nun gerne für den Rest des Jahres anhalten. So bin ich an diesem Sonntag vor allem dankbar für diese drei Sonntagslieblinge:

  1. Maxim war in dieser Woche zum ersten Mal alleine mit einem Freund im Schwimmbad. Schwimmen kann er ja sehr, sehr gut, trainiert er doch gerade emsig für das goldene Schwimmabzeichen. Meine größte Sorge war, dass er wie so manches Mal in den Ferien vorgekommen, einfach kein maß findet und sich über die eigenen Grenzen der Erschöpfung verausgabt. Zum Glück hatten beide Jungs aber am meisten Spaß auf der Rutsche und schwarze Gewitterwolken setzten quasi von außen zum ohnehin ausgemachten Zeitpunkt ihrem Wasserspiel ein natürliches Ende.
  2. Kennt Ihr „Das Magische Mal“ von Ina Krabbe? Nadeschda tat und tut sich manchmal schwer mit dem Rechnen, auch wenn sie mittlerweile ein ganz gutes Zahlenverständnis hat. Ich wehre mich dabei vehement gegen das Vorurteil, dass Mädchen eh nicht so ein Gefühl für Zahlen haben. Ich glaube, es hat eher etwas damit zu tun, wie man diese trockenen und langweiligen Zahlen den Kindern näher bringt. Und die Geschichten von Ina Krabbe tun dies ganz wunderbar! Wir haben jetzt wie gesagt „Das magische Mal“ gelesen und beide Kinder hatten eine riesigen Spaß dabei. Die Geschichte in der Zauberschule rankt sich um die Reihen des kleinen 1 x 1 und die Rätselrechenaufgaben animieren zum Mitrechnen. Auf einmal ist das mit dem Rechnen und auch dem Auswendiglernen der 1 x 1 Reihen gar nicht mehr so schwierig. Und so nebenbei habe ich beim Vorlesen auch gemerkt, dass meine Tochter sich schon ganz gut in den 100er Zahlenraum vorgearbeitet hat.
  3. Am Freitag Abend saß ich auf unserer Terrasse und die Musik der örtlichen Kirmes schallte zu mir herüber. Da ertönte zu später Stunde von Dschinghis Khan „Moskau“ zu mir herüber: „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land….“ Als Jugendliche habe ich das oft gehört. Vielleicht war es damals schon eine selbsterfüllende Prophezeiung…

Habt einen wunderbaren Sonntag und einen wohlbehaltenen Start in die neue Woche.

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Verwöhne ich meine (Adoptiv-)Kinder zu viel?

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Photo by Andrew Neel on unsplash.com

Einige Zeit vor Weihnachten war bei Sherrie Eldridge wieder einmal ein spannender Post zu lesen. In „Why Adoptive and Foster Parents must resist over the top giving“ schildert sie sehr einfühlsam aber auch deutlich, warum es nicht förderlich ist, sondern ganz im Gegenteil, Adoptivkinder zu sehr zu verwöhnen mit einem zu viel von allem: Geschenke, Essen, Süßigkeiten, aber auch Fürsorge und zu viel Freiraum.

Als ich in den Tagen vor Weihnachten die Geschenke für Maxim und Nadeschda verpackte, musste ich an Sherrie’s Beitrag denken. Es war gut, sich noch einmal kritisch zu überprüfen. Nein, in diesem Jahr hatten wir ein gutes Maß bei den Geschenken gehalten. Aber auch das mussten wir erst lernen. Ich erinnere mich an unser erstes Weihnachten, wo natürlich das ganze Zimmer überladen war mit Geschenken. Maxim und vor allem Nadeschda waren schnell restlos überfordert, so dass wir das Auspacken der Geschenke abbrechen und auf die kommenden Tage weiter verteilen mussten. Auch danach in den folgenden Jahren hatten wir zwar den Vorsatz, es mit den Geschenken nicht zu übertreiben, doch dann wurde es am Ende wieder viel zu viel. Irgendwann ging ich dann dazu über, einige Geschenke schon im Vorhinein zurückzuhalten für irgendwann. Erst in diesem Jahr ist es nun gelungen, die Geschenkflut wirklich einzudämmen. Und der Heiligabend gab uns recht. Statt großer Geschenkschlacht, konzentrieren sich Maxim und Nadeschda auf ihre zwei, drei Geschenke. In aller Ruhe bauten wir sie auf und spielten bis abends spät. Wunderbar!

Doch weiter beschäftigt mich der Gedanke an zu viel Fürsorge für meine Kinder. Im ersten Momente dachte ich: Meine beiden Kinder haben so viel entbehren müssen. Und immer noch sind sie emotional betrachtet wiederkehrend in einem seelischen Stadium, dass sie eigentlich nie genug Fürsorge bekommen könnten. Sie saugen alles Umsorgen und alle Zuwendung auf wie ein trockener Schwamm. Es kann eigentlich nie zu viel sein, denn es ist ja oft noch nicht einmal genug. Für mich ist es eine schmale Gratwanderung, denn ich darf Nadeschda und Maxim auch nicht zur Unselbständigkeit erziehen. Manchmal weiß ich, dass sie bestimmte Dinge, bei denen sie genießen, dass ich ihnen helfe, durchaus selbst bewältigen können. So kann sich Nadeschda durchaus alleine an- und ausziehen. Aber sie genießt es, wenn ich dies morgens für sie übernehme. Es ist so ein kleiner Moment der Exklusivzeit, in der sie dann ihren Arm um mich legt und mir ins Ohr flüstert: „Meine Mami ganz alleine.“ Sollte ich ihr das nehmen? Auf der anderen Seite gibt es Aufgaben, die die Kinder durchaus übernehmen können sollten. So ist es Maxim’s Verantwortung, dass er seine Schulsachen alle beieinander hat. Die Sporttasche sollte ich ihm nicht mehr hinterher tragen. Oder doch?

Jetzt mit dem nahenden Neuen Jahr steht ohnehin für uns an, mit den Kindern noch einmal zu überlegen, welche Aufgaben sie für sich , aber auch hier im Haushalt übernehmen können und sollen. Sherrie’s Beitrag wird uns dabei sicherlich noch weiter begleiten.