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Teilzeitarbeiten als Adoptivmutter?

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Photo by Andrew Neel on unsplash.com

Viele Mütter versuchen Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Meist weil sie es auch müssen, rein aus finanziellen Gründen. Ich bewundere diese Mütter, die neben der Familie und dem geliebten Haushalt auch noch berufstätig sind, und das mit deutlich mehr Stunden als ich es bin. Ich lebe in der privilegierten Situation, dass ich nicht arbeiten muss, sondern „nur“ um nicht ganz aus der Berufswelt zu verschwinden, ein paar Stunden in der Woche freiberuflich arbeite. – Insofern werd eich hier auch über ein „Luxusproblem“ reden. – Die Ausbildung mache ich, um vielleicht irgendwann dann doch wieder in einem Angestelltenverhältnis einen geregelten Arbeitstag nachgehen zu können. Irgendwann, wenn die Kinder vielleicht noch ein wenig größer sind. Doch wird das überhaupt funktionieren?

Mit den Zweifeln der vergangenen Woche geht für mich die Frage einher, ob ich mir nicht mit dem ganzen Pensum wieder einmal zu viel zumute. Meine Bilanz zur Familienarbeit  war für mich ja schon ernüchternd. Genauso wie meine Beschreibung von „48 Stunden im Leben einer Adoptivmutter“ . Wo bleibt da der Raum, mehr zu arbeiten, als ich es heute tue? Schon jetzt komme ich an meine Grenzen. Hatte ich nicht vor ein paar Wochen verkündet, dass es so wohltuend ist, dass mein To Do Zettel abgearbeitet ist? Nun, inzwischen ist er wieder so lang, dass es mir fast den Hals zuschnürt. Mit dem Ferienende beginnt nun auch wieder meine Ausbildung, zwei Abende in der Woche und ein Wochenendseminar pro Monat. Bis zum Ende des Jahres muss ich noch eine Seminararbeit schreiben, ein Praktikum mit Praktikumsbericht abliefern und an meiner Portfolioarbeit weiterschreiben. Ich muss schon zweimal durchatmen und mir immer sagen „Schritt für Schritt“, um nicht in Panik auszubrechen. Seitdem ich die Ausbildung begonnen habe, leiden eindeutig meine sozialen Kontakte. Es gibt Freundinnen, die ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen, habe. Selbst zum Telefonieren oder Schreiben komme ich so gut wie gar nicht mehr, da ich ja abends unter der Woche entweder in der Akademie oder auf einem Elternabend in der Schule bin. Nur gelegentlich habe ich die noch die Muße, ein Buch zu lesen, was keine pädagogische oder Adoptionsfachliteratur ist. Und gerade auch letztere kam in den vergangenen Wochen zu kurz. Doch ich merke, dass ich wieder ran muss. Denn das Thema „Herkunft und Wurzeln“ drängt.

Dennoch stelle ich mir immer wieder die Frage: „Wenn es in anderen Familien funktioniert, dann müsste ich das doch auch hinbekommen.“ Ja, ABER: Ich habe einen Mann, der sehr viel arbeitet und insofern Haushalt, Kinder und Familie nahezu allein meine Aufgabe sind. Wir haben keine Großeltern in der Nähe, die helfen. Manchmal blicke ich neidvoll auf eine Freundin, deren Mutter den Haushalt quasi schmeisst mit Einkaufen, Kochen, Wäsche waschen, einspringt, wenn eines der Kinder krank ist, mal vormittags einen Arzttermin wahrnimmt und vieles mehr. Hätten wir so eine wunderbare Großmutter, dann würde ich es mir auch leichter vorstellen, nahezu 70% zu arbeiten. Haben wir aber nicht. Und schließlich haben wir zwei Adoptivkinder. Viele meiner Freundinnen, die ein Kind adoptiert haben, arbeiten in Teilzeit. Irgendwie geht das gut. Natürlich gibt es da auch einen Mann, der mithilft und Großeltern in der Nähe. Dass zwei Kinder dann doch etwas anderes sind und eine andere Herausforderung darstellen, wurde mir erst jetzt in den Ferien klar, als mir eine dieser befreundeten Adoptivmütter auf den Kopf zusagte: „Hätte das geklappt mit dem zweiten Kind, hätte ich sofort aufhört zu arbeiten.“

Das saß! Sollte ich mich also von dem Gedanken verabschieden, jemals mehr zu arbeiten, als ich es heute tue? Würde es mir nicht besser gehen, wenn ich mich ganz auf meine Kinder und meine Aufgabe als Mutter konzentriere? Bettina Bonus hat mal in einem Vortrag zur „Anstrengungsverweigerung“ deutlich gesagt: „Vergessen Sie es berufstätig zu sein. Ihre ganze Zeit und Kraft werden Sie für Ihr Kind brauchen, um es durch die Schule zu begleiten, mit ihm täglich zu trainieren und das tägliche Trainieren vorzubereiten. Und die dann noch verbleibende Zeit brauchen Sie, um sich selbst zu erholen.“ Je weiter meine Kinder in der Schule voranschreiten, um so mehr spüre ich, dass sie auch hier einmal wieder Recht hatte. Selbst wenn bei Maxim und Nadeschda die Anstrengungsverweigerung nicht tief ausgeprägt ist, und wir mit unserem täglichen Üben frühzeitig angefangen haben und es inzwischen so zur Gewohnheit geworden ist, dass uns tägliche Kämpfe nahezu erspart bleiben, so kostet auch das viel Zeit und Kraft. Und noch ist unser Lernpensum klein.

Sollte ich mir überlegen, ob ich nicht doch an der ein oder anderen Stelle kürzer trete? Ob ich nicht, in der Zeit, die mir alleine bleibt, wirklich nur das tue, wofür mein Herz schlägt? Sollte ich mich von der Idee verabschieden, eine dieser Heldenmütter zu sein, die Beruf, Familie und Haushalt alleine wuppen, ohne mit der Wimper zu zucken? Vieles davon ist ja auch nur mehr Schein als Sein. Und gerade hier in der anonymen Bloggerwelt liest man vielmehr, wie kräftezehrend eine solche Mehrfachbelastung ist. Das allein schon mit einem Kind.

Schließlich bleibt am Ende die Tatsache, dass Maxim und Nadeschda aufgrund ihrer Geschichte immer ein MEHR an Begleitung und Förderung brauchen werden. Ich bin diese Verantwortung eingegangen und ich will sie auch wahrnehmen. Alles andere muss dahinter zurücktreten. Vor allem der Wunsch nach einer Berufstätigkeit.

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Berufstätig als Adoptivmutter – Geht das?

Mein ursprünglicher Plan während des Adoptionsprozesses war es, nach einem Jahr Elternzeit in Teilzeit in meinen alten Beruf zurückzukehren. Unser Kind würde dann wahrscheinlich soweit sein, in den Kindergarten zu gehen. Meine Schwiegermutter lebte im Haus nebenan. Sie freute sich auf ihr Großmutterdasein in vollen Zügen. Somit wog ich mich in Sicherheit, mein Kind auch in der Zeit, in der ich wieder arbeiten würde, in wohlwollenden fürsorglichen Händen zu wissen. Außerdem war ich noch in dem naiven Glauben, dass die „Päckchen“, die unser Kind mitbringen würde, nach einem Jahr bei uns geheilt wären.

Doch dann kam alles anders. Allen voran kehrten wir aus Russland mit zwei Kindern zurück, und nicht nur mit einem. Das war eine wunderbare Fügung des Schicksals, für die ich ewig dankbar bin. Dennoch erhöhte das auch den Aufwand in jeder Form. Allein Nadeschda war noch sehr klein und es würde Jahre dauern, bevor sie in den Kindergarten gehen könnte. Beide Kinder kamen mit unterschiedlichen medizinischen Diagnosen zu uns und brauchten unterschiedliche ärztliche und therapeutische Unterstützung. Das bis heute. Sich darum zu kümmern und meine Kinder durch die medizinische und therapeutische Hilfe zu begleiten, wollte und konnte ich niemandem Dritten überlassen. Grundsätzlich wurde ich mir mit dem meinem Hineinwachsen in meine Mutterrolle immer mehr bewusst, dass meine Kinder auch über die ersten ein bis zwei Jahre hinaus, ein vieles mehr an „Mutter“ brauchten. Ich begann, dies als meine neuen Verantwortung und Aufgabe anzunehmen. Und im gemeinsamen Leben und Erleben meiner Kinder erschien mir zunehmend die klassische Berufswelt und vor allem auch mein alter Job als sinnentleert. Hier Zuhause hatte ich eine sinnstiftende Verantwortung.

Zudem starb im Verlauf des ersten Jahres, nachdem Maxim und Nadeschda zu uns kamen, meine Schwiegermutter. Mögliche Betreuungsmodelle wurden damit brüchig, weitere familiäre Unterstützung war nicht vorhanden. Auch verselbstständigte sich das klassische Rollenmodell, auf das Richard und ich uns für das erste Jahr nach der Adoption geeinigt hatten – er arbeitete Vollzeit weiter, ich blieb zuhause bei den Kindern. Es war irgendwann sehr bequem, dass ich mich voll und ganz um die Kinder kümmerte und er seinem Beruf nachging (Vaterglück). Bis zu dem Punkt, dass eine Arbeitsteilung der Kinder kaum noch in Frage kam. Dass er zum Beispiel morgens die Kinder für die Schule fertig macht, steht nicht zur Diskussion. Sehr zur Verwunderung anderer Mütter. Neulich sprach ich mit einer Freundin und mitten im Gespräch sagte sie: „Ach, deshalb stehst Du immer so früh auf. Ich habe mich schon gewundert. ich dachte immer, wenn Richard die Kinder in die Schule bringt, dann macht er sie auch morgens fertig.“

Allen voran jedoch habe ich zwei Kinder, die so wunderbar ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren auch gewesen ist, deren emotionaler Bedarf nach Sicherheit, Verlässlichkeit, Halt und Fürsorge immer noch ein „Fass ohne Boden“ ist. Meine Präsenz gibt ihnen diesen Halt. Auch wenn inzwischen gemeinsames Spielen, Basteln, Kochen, Ausflüge weniger und abgelöst werden von Spielverabredungen mit anderen Kindern, so ist es wichtig, dass ich dennoch da bin. Ich muss diejenige sein, die für sie auch die Übergänge von einer Aktivität zur anderen mit gestaltet. Ich muss sie zum Turnen bringen, ich muss sie von der Musikschule abholen. Tue ich es einmal nicht, beginnen die Beziehungsanfragen von neuem.

Natürlich gibt es Familienmodelle, wo auch mit bedürftigen Kindern die Adoptivmutter arbeiten kann. In den Familien, die ich kenne, ist es dabei meist so, dass der Vater so arbeitet, dass er einen Teil der Aufgaben zuhause mit übernimmt und dass es eine rührige Großmutter gibt, die die Kinder mit umsorgt, wenn nicht sogar einen Teil der Hausarbeit erledigt. Würde Richard abends um fünf nach Hause kommen und einen Teil der Freizeitaktivitäten der Kinder mit abdecken und hätte ich eine Mutter oder Schwiegermutter, die meine Kinder manchmal zum Ballett und zum Fussball begleitet, die einkauft und die Wäsche macht, dann könnte ich mir eine Berufstätigkeit zumindest organisatorisch vorstellen. Aufgrund unserer Lebensumstände, in denen Richard Karriere macht und wir keine treusorgende Großmutter mehr haben, bleibt meine Berufstätigkeit Theorie.

Heute nach einigen Jahren habe ich gelernt, dass ich nur in dem Umfang einem Beruf nachgehen kann, der in die Freiräume, die mir meine Kinder – durchaus zunehmend – lassen, passt. Und der flexibel genug ist, dass ich ihn den Bedürfnissen meiner Kinder anpassen kann. Sind sie krank, muss ich da sein; brauchen sie in der Schule über die Hausaufgaben hinaus mehr Unterstützung, muss ich ihnen helfen; benötigen sie therapeutische Hilfe, muss ich sie dadurch begleiten; brauchen sie ein „Mehr an Mama“, muss ich es ihnen geben. Egal wie. Und alles andere muss hinten anstehen.

Vor ein paar Jahren hat eine Adoptionsberaterin auf einem Vortrag gesagt: „Mit einem hochproblematischen Adoptivkind, vergessen Sie es zu arbeiten.“ Nun habe ich keine hochproblematischen Adoptivkinder, sondern beide haben einfach besondere Bedürfnisse. Aber dennoch es sind zwei. Habe ich vor ein paar Jahren noch bei diesem Ausspruch gedacht: „Was für ein Unsinn.“, so muss ich heute zugeben: „Irgendwie hat sie (leider) recht.“