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Was brauchen Familien wirklich? – Blogparade

Wecker auf Schreibtisch, Bücher im Hintergrund, Breitbild

Mit freundlicher Unterstützung von Fotolia

Fast hatte ich es geahnt, dass es keine gute Idee ist, mit einem Beitrag zu Sunnybees Blogparade so lange zu warten. Der Arbeitsalltag vor den Ferien an der Schule mit einer neuen Theaterproduktion hat mich etwas überrollt. Aber nun gut. So ist es nun einmal. 

Auf der anderen Seite hatte ich nun genug Zeit nachzudenken, mich ein wenig zu sortieren. Denn nach Sunnybees Beitrag sind mir so viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Als erstes kam mir da mehr Zeit, die ich mir für Familien für ihre Kinder wünsche. Egal wo ich bin, höre ich immer wieder: „Ich wünsche mir mehr Zeit. Mehr Zeit für mich, für meine Kinder.“ Zweitens fällt man als Frau und Mutter natürlich immer wieder in die „Falle“ der Gleichberechtigung. Auch mich bewegt das immer einmal wieder. Denn auch wir leben Zuhause nicht die „Gleichberechtigung“. Wir folgen eher dem Credo, wer am meisten verdient, bestimmt, und die anderen haben zu folgen. Aber seitdem ich mir noch einmal klar gemacht habe, dass mein Mann auch nur so erfolgreich arbeiten kann, weil ich ihm mit allem den Rücken freihalte, und ich im Grunde die „Hauptverdienerin“ in unserer Familie bin, habe ich damit zumindest für mich und mein Leben für eine Weile Frieden geschlossen. Und drittens ist dann da die ganze so wichtige Diskussion um Fürsorgearbeit und deren Anerkennung, in der Claire von mamastreikt so wunderbare Dienste tut. Hier ist ein Umdenken in unserer Gesellschaft so zwingend notwendig. Nicht nur damit die Generation unserer Eltern gut versorgt ist, sondern vor allem auch damit unserer Kinder ein Zuhause haben, in dem sie sich gesund entwicklen können. 

Das ist mein eigentliches Anliegen. Wie Ihr wisst beschäftige ich mich zwangsläufig immer wieder damit, wie es gelingen kann, Kinder, und vor allem meine Kinder gesund und heilend aufwachsen zu lassen. Dabei geht es auch um die gesunde Balance zwischen Beruf und Muttersein. Entgegen aller Überlegungen werde ich nun zum Sommer noch einmal meine Stelle an der Schule erweitern und eine eigene Klasse übernehmen. Ich bin bemüht, dass wir das gut hinbekommen. Und ich hoffe sehr, dass es funktioniert. Gerade in den vergangenen Woche schaue ich daher immer wieder darauf, was uns gut tut und was nicht. 

Aber das ist nicht das Eigentliche, was ich mir heute für Familien wünsche . Erschütternd und zum Denken erneut angeregt hat mich ein Buch, dass ich im Rahmen meines eigenen Forschungsprojektes angefangen habe zu lesen, in dem der Autor an vielen Stellen sehr eindrücklich schildert, dass es im Grunde immer mehr traumatisierte Kinder, oder konkreter beziehungstraumatisierte Kinder in unserer Gesellschaft gibt, weil die Rahmenbedingungen einfach nicht mehr gegeben sind, in denen Kinder auch mit zwei Eltern gesund aufwachsen können. Zu sehr in den Zwängen unserer Leistungsgesellschaft gefangen und oft auch aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus stehen Eltern ihren Kindern nicht mehr so zur Verfügung wie sie es vielleicht brauchen. Und die Welt, in der unsere Kinder aufwachsen, ist längst auch schon keine heile mehr. Die Anforderungen an die Kinder sind schon viel zu früh viel zu groß für sie. Kind sein ist nicht mehr erlaubt, vielmehr werden sie oft in jeglicher Hinsicht schon zu führ zu kleinen Erwachsenen. 

Bei vielen Kindern mag das gut gehen, bei immer mehr aber nicht mehr. Dann fallen sie auf. Meist zuerst in der Schule. Plötzlich werden Kinder zu Problemen, die den Unterricht sprengen, die Klassenkameraden bedrohen, die die Lehrkräfte beschimpfen, die ausbrechen wollen aus dem stark reglementierten und einengenden Alltag. Hilfe bekommen sie, wenn überhaupt zu spät. Denn selbst wenn Eltern sehen, dass ihre Kinder Hilfe brauchen, die über ein sorgendes und fürsorgliches Zuhause hinausgehen, dann ist diese Hilfe in so vielen Fällen so schwer zu bekommen. Nicht nur, dass das Angebot von guten Therapeuten klein ist, einen Platz zu bekommen ist noch einmal schwieriger, von finanzieller Unterstützung hierfür ganz zu schweigen. Durch ewige Mühlen der Bürokratie mit unzähligen Hürden muss eine Familie durch, um die Unterstützung zu bekommen, die ihr Kind vielleicht braucht. Oft dauert dies Prozess Monate. Ob es dann die Hilfe ist, die wirklich zum Kind passt und es heilen lässt, ist fraglich. Zu oft – wenn die Situation in der Schule nicht mehr tragbar ist – wird der Weg über eine „Notfalldiagnostik“ gegangen. Die Kinder werden in eine Klinik eingewiesen, in denen sie zwar – manchmal über Monate – eine akute therapeutische Hilfe bekommen. Doch wirklich beginnen zu heilen und zu wachsen können sie nicht. Oft folgt eine Odyssee von Klinikaufenthalten, an deren Ende oft eine gebrochene Kinderseele steht. 

Wenn denn schon unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist, und das Leben von Leistung und Druck dominiert ist, in dem unserer Kinder selten einen guten Platz haben, dann würde ich mir zumindest wünschen, dass der Zugang zu Hilfe für diese Kinder einfacher ist. Dass es auch Familien, die nicht über die finanziellen Freiräume verfügen, einfach und unkompliziert therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen können, vielleicht sogar für sich selbst auch. (Denn oft sind Beziehungstraumatisierungen verursacht durch ein generationsmäßiges Übertragen von Traumata aus der Kindheit der Eltern.) Ich wünsche mir weniger Hemmschwellen, Hilfe und Unterstützung zu bekommen, nicht nur weniger bürokratische Hemmschwellen, sondern vor allem auch gesellschaftliche und emotionale. Es ist nicht schlimm, wenn ein Kind in der Schule verhaltensauffällig wird. Es ist nur seine Form des Schreis nach Hilfe, nach Beachtung und Wahrnehmung. Schlimm ist, wenn dieses Kind vielleicht gehört wird, ihm aber die Hilfe, die es braucht, verwehrt wird. Das darf nicht sein. Und ich wünsche mir, dass sich genau das ändert. 

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Interviewreihe „Anstrengungsverweigerung“ – eine Adoptivmutter erzählt… (3/3)

Unterstützung für Eltern im Umgang mit anstrengungsverweigernden Kindern

Silhouette of a young mother lovingly kissing her little child o

Mit freundlicher Unterstützung von Fotolia

Im dritten Teil meines Gesprächs mit Julia, schildert sie sehr anschaulich, was ihr und ihrem Sohn in Phasen der Anstrengungsverweigerung hilft und welche externe Unterstützung sie in unterschiedlicher Form hat. Wertvoll sind auch ihre Literaturtips. 

Wie verhältst Du Dich in Situationen, wenn die Überlebensstrategie bei Deinem Sohn zu Tage tritt?

Erst einmal versuche ich, abzuwarten und herauszufinden, was jetzt gerade genau sein Problem ist. Dazu versuche ich, Blickkontakt zu ihm zu halten, aber erst einmal nichts zu sagen. Dies hilft mir dabei, mich selbst kurz zurückzunehmen und innerlich durchzuatmen. Ich muss innerlich auf Distanz zu seinem Verhalten gehen, aber nicht zu ihm selbst. Wichtig ist, Ruhe zu bewahren. Ihm zu zeigen, dass es ok ist, dass ich da bin und bleibe, komme, was wolle. Das ist ein Drahtseilakt und gelingt mal mehr, mal weniger.

Manchmal schaffen wir es, dass eine Situation gar nicht erst eskaliert. Mit Eskalieren meine ich Schreien, verzweifeltes Weinen, Zerstörungswut, also wirklich massive Emotionen, die er zu Hause auch nach Außen trägt. In der Öffentlichkeit passiert so etwas nicht. Da hat er sich sehr stark unter Kontrolle, und diese Kontrolle verlangt ihm natürlich sehr viel Kraft ab. Das führt dann eher dazu, dass er nicht mehr in der Lage ist, auf Aufforderungen zu reagieren, Antwort zu geben, wenn er etwas gefragt wird oder Entscheidungen zu treffen. Er ist dann wie erstarrt und schaut mich nur noch hilfesuchend an. Ich muss dann quasi für ihn zum Sprachrohr werden und für ihn sprechen. Manche legen ihm das als Schüchternheit aus, aber ich weiß, dass das nicht der einzige Grund ist, sondern tiefer liegt.

Wenn sich die Spirale bis zum Ende dreht, bleibt uns nicht viel anderes, als bei ihm zu bleiben, Körperkontakt anzubieten, aber ihm nicht aufzuzwingen und ihn in den Arm zu nehmen und wie ein Baby zu wiegen. Oft schläft er dann völlig erschöpft ein. Ich glaube, er klinkt sich dann einfach aus, weil er es nicht länger aushalten kann.

Manchmal gelingt es mir auch nicht, ruhig zu bleiben. Meistens dann, wenn ich selbst gestresst bin, weil ich noch etwas anderes erledigen muss, oder weil ich noch zur Arbeit muss oder ganz banal, weil ich nicht ausgeschlafen genug bin. Das sind alles Störfaktoren, die sein anstrengungsverweigerndes Verhalten sozusagen noch mehr triggern.

Gibt es etwas, was ihm besonders gut hilft, sich wieder zu beruhigen?

Wie gesagt, je ruhiger wir bleiben, desto eher kann auch er sich wieder beruhigen. Was ihm auch hilft, ist, wenn ich versuche, mit meinen Worten nach Gründen für sein Verhalten zu suchen und er einfach nur nicken oder den Kopf schütteln muss. Je eher wir dazu kommen, darüber zu reden, desto weniger verliert er sich in diesem Strudel der Verzweiflung.

Momentan sind es ja häufig die Hausaufgaben, die ihn sehr stark fordern. Dazu muss man wissen, dass er, wenn an 3 Tagen/Woche erst um 15:30 nach der Betreuung nach Hause kommt, er einfach schon sehr viel Input hatte und wir natürlich nicht gleich weitermachen können. Also bekommt er dann erstmal eine Ruhepause von ca. einer halben Stunde. Dann rufe ich ihn zu den Hausaufgaben und wir stellen uns einen Wecker für eine halbe Stunde. Da er gottseidank nicht jeden Tag neue Hausaufgaben bekommt, sondern in der Regel am Anfang der Woche eine Wochenaufgabe, können wir uns die Zeit so einteilen, dass er nicht länger als 30 Minuten arbeiten muss. Wird er in dieser Zeit fertig, wird an den anderen Tagen weiter geübt, auch ca. eine halbe Stunde, aber ich merke ganz deutlich, wenn erst einmal der Druck raus ist, dass er seine Aufgaben, die er abgeben muss, erledigt hat, dann schaffen wir unser Übepensum sehr gut. Alles, was er in der halben Stunde nicht schafft, machen wir an den folgenden Tagen.

Du Dich sehr intensiv mit dem Thema der Anstrengungsverweigerung auseinandergesetzt hast. Wie und womit hast Du das getan?  

Wie ich schon einmal gesagt hatte, habe ich noch während unserer Bewerbungsphase beim Jugendamt angefangen, alle erdenklichen Informationen rund um das Thema Adoption zu sammeln und habe jedes irgendwie interessant klingende Buch darüber gelesen.

Auch als unser Sohn schon bei uns war, haben wir über unser Jugendamt regelmäßig an Tages- und Wochenendseminaren teilgenommen, u.a. bei Irmela Wiemann, die mich bis heute sehr inspiriert und von der wir sehr viel lernen konnten. Und nicht zuletzt bin ich dann vor ungefähr zwei oder drei Jahren auch im Zuge eines Seminares auf das Buch von Bettina Bonus zur Anstrengungsverweigerung aufmerksam geworden.

Habt Ihr externe therapeutische Hilfe und Unterstützung? Wenn ja, welche?

Im Hinblick auf die Schule haben wir uns ca. 1 – 1 1/2 Jahre vor der Einschulung um therapeutische Unterstützung bemüht. Durch die Mithilfe seiner Erzieherin im Kindergarten haben wir auch sehr schnell, was außergewöhnlich ist, da die Wartezeiten erfahrungsgemäß sonst sehr lang sind, einen Therapieplatz bei einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin bekommen. Auch sie ist besonders geschult in der Hilfe für Pflege- und Adoptivkinder. Das ist umso erfreulicher, als dass es solche Angebote eher nicht wie Sand am Meer gibt. Mit ihrer Hilfe hat er spürbare Fortschritte im Hinblick auf sein sozial-emotionales Verhalten gemacht, auch im Hinblick auf sein Selbstvertrauen und seine Zutrauen in seine Kompetenzen.

Ich kann nur jedem in ähnlicher Situation raten, sich Hilfe von außen zu holen. Es ist eine große Erleichterung und Hilfe, wenn man nicht alles alleine mit sich und seinem Kind ausmachen muss. Wir erleben deutliche Fortschritte. Gut war, denke ich, dass wir schon recht frühzeitig mit einer Therapie begonnen haben, lange bevor es an die Einschulung ging. Wir werden die Therapie zunächst bis zum Halbjahr weiterführen und dann mit der Therapeutin zusammen entscheiden, ob es sinnvoll ist, erst einmal eine Pause einzulegen oder nicht.

Gibt es Literatur, die Du empfehlen kannst?

Wie gesagt, gelesen habe ich sehr viel, aber einige Bücher sind für mich absolut empfehlenswert nicht nur, aber gerade auch im Hinblick auf Traumatisierung und Leistungsverweigerung, wobei die Reihenfolge nichts mit einer Wertung zu tun hat:

„Survival-Tipps für Adoptiveltern“ von Christel Rech-Simon und Fritz B. Simon: Dieses Buch ist mir ein richtiger kleiner Schatz und Begleiter für schwierige Lebenslagen geworden. Die beiden Autoren sind nicht nur selbst Adoptiveltern, sondern auch erfahrene Psychotherapeuten. Der Titel des Buches mag im ersten Moment etwas plakativ erscheinen, wenn man jedoch die ersten Seiten gelesen hat, merkt man schnell, wie sehr das Leben mit Adoptivkindern manchmal tatsächlich einem Überlebenskampf gleichen kann. Besonders gefällt mir an dem Buch, dass man es durchaus in einem Stück lesen kann, aber auch immer wieder mal reinlesen kann, um sich wieder neu mit den Tipps, die keineswegs Patentrezepte sein wollen, auseinanderzusetzen. Die Autoren verbinden ihre wissenschaftlichen Aussagen auch immer wieder mit Szenen aus dem Alltag mit ihren Kindern oder Fallbeispielen aus ihrer Praxis. Wichtig finde ich auch immer wieder den Hinweis, dass man etwas tun kann, egal wie ausweglos oder krisenhaft die Situation auch scheinen mag.

„Mit den Augen eines Kindes sehen lernen“ von Bettina Bonus, hierbei besonders hervorzuheben, Band 1 und 2: Band 1 behandelt grundlegend die Entstehung einer Frühtraumatisierung bei Adoptiv- oder Pflegekindern, und Band 2 geht sehr explizit auf das Phänomen der Anstrengungsverweigerung ein. Sehr anschaulich beschreibt sie diese als eine der bedeutendsten Folgen einer Frühtraumatisierung. Auch dieses Buch würde ich jedem Interessierten ans Herz legen, allerdings muss man deutlich sagen, dass sich dieses Buch wie auch die „Survivaltipps“ oben besonders auf hochproblematisches Verhalten bei Pflege- und Adoptivkindern beziehen. Auch Bettina Bonus verbindet ihre fachlichen mit ihren persönlichen Erfahrungen als Ärztin und Pflegemutter.

„Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben“ von Irmela Wiemann: ein Klassiker der Adoptionsliteratur würde ich sagen und sollte von jedem gelesen werden, der mit Adoptiv- oder Pflegekindern zu tun hat, sei es als Eltern oder professionell.

„Ratgeber Adoptivkinder: Erfahrungen, Hilfen, Perspektiven“ von Irmela Wiemann: Dieses Buch sei ebenfalls erwähnt. Die Autorin hat es sich in ihrer jahrzehntelangen Arbeit mit Adoptiv- und Pflegekindern zur Aufgabe gemacht, allen am Adoptionsprozess Beteiligten Hilfestellungen an die Hand zu geben, damit möglichst gelingende Beziehungen entstehen können und das Kind trotz widriger Umstände eine gesunde Identität und die Fähigkeit zum selbstständigen bürgerlichen Leben entwickeln kann.

Was wünschst Du Joshua für die Zukunft?

Wie ich schon gesagt habe, Joshua hat ein waches Auge und ein offenes Herz für die zwischenmenschlichen Beziehungen um ihn herum. Eine Gabe die Mangelware in unserer Gesellschaft ist. Von solchen Menschen profitiert unsere Gesellschaft. Das ist meine Überzeugung.  Und so wünsche ich ihm vor allem, dass er sich diese Fähigkeit erhält. Dass er lernt, sie in positive Energie umzuwandeln und mit diesen Eigenschaften, seine Zukunft, sein Leben zu lieben und zu gestalten.

Für seine nahe Zukunft wünsche ich ihm und allen Kindern in ähnlichen Situationen oder Konstellationen, dass sie Menschen ums sich herum haben, die ihre Bedürfnisse achten, ihre Ängste ernst nehmen und ihnen in Guten wie in schlechten Zeiten zur Seite stehen. Denn das haben sie verdient!

Liebe Julia, hab an dieser Stelle noch einmal vielen lieben Dank für Deine wertvollen Impulse in den vergangenen Wochen!

Die anderen Beiträge von Julia könnt ihr hier und hier lesen. 

Und Julia’s Literaturtips findet Ihr auch in meiner Literaturliste

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Charlottes Sonntagslieblinge (14)

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Es gibt so unendlich vieles, für das ich dankbar sein kann in meinem Leben mit Maxim und Nadeschda. Auch wenn wir gerade wieder – trotz aller Besinnlichkeit im Advent – eine Zeit haben, die mit Herausforderungen und den Konsequenzen von Veränderungen, so klein sie auch sind, gekennzeichnet ist. Umso mehr will ich mir all die positiven Kleinigkeiten in unserem Alltag ins Gedächtnis rufen, die diesen so unglaublich bereichern. Deshalb blicke ich inspiriert von  Mirjam von Perfektwir auf meine eigenen, ganz persönlichen Lieblinge dieser Woche. Hier sind sie wieder, meine drei Sonntagslieblinge:

  1. Nachdem ich mich zehn Tage mit einer Grippe und deren Folgen herumgequält habe, geht es mir langsam besser. Es ist ein tolles Gefühl, wenn der Kopf wieder frei ist und der innere Druck nachlässt. Allerdings ist der Berg an Unerledigtem wieder gewachsen. Doch ich spüre wieder die Kraft, ihn abzuarbeiten.
  2. Ich habe alle Weihnachtsgeschenke mit dem Christkind verhandelt. Und das mehr als eine Woche vor dem Heiligen Abend.
  3. Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Ich brauchte einen neuen Therapeuten für Nadeschda. Erst hieß es überall, dass wir mit Wartelisten bis Ende April rechnen müssen. Am Freitag kam der glücksbringende Anruf: Ein Patient sei abgesprungen. Wir können schon Ende Januar kommen.

Ich freue mich auf die nächste Woche, wenn Nadeschda und Maxim Ferien bekommen und wir uns in aller Ruhe den Weihnachtsvorbereitungen widmen können. Letzte Geschenke basteln, Weihnachtspost verschicken, Kochen, Backen, Geschichten vorlesen, Baum schmücken und auf das Christkind warten…

Habt einen wunderbaren 4. Advent und eine glückliche Vorweihnachtswoche!

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Der stumme Schrei nach Hilfe

Wenn Adoptiveltern nicht sehen, dass ihr Kind Hilfe braucht

Nachdem ich mich vor zwei Wochen über die fehlende Unterstützung von Adoptivfamilien ausgelassen habe, möchte ich heute auch die Kehrseite der Medaille adressieren:

Wer ein Kind adoptiert und dies gar aus dem Ausland, ist sich meistens der Tatsache bewusst, dass diese Kinder körperliche Beeinträchtigungen haben können. Schielen, Kiefergaumenspalte, sprachliche Entwicklungsverzögerungen, Leistenbruch, Hörschäden. Das bringt ihre Lebensgeschichte bis zur Adoption mit, und je nach Herkunftsland sind diese körperlichen „Defizite“ auch die Chance, warum diese Kinder nicht im Land selbst sondern international zur Adoption freigegeben werden. Auf all diese körperlichen Beeinträchtigungen werden zukünftige Adoptiveltern vorbereitet. Ich kenne keine Adoptivfamilie, die nicht die kritische Frage „Halten Sie körperlichen Beeinträchtigungen bei ihrem Adoptivkind für zumutbar?“ beantworten musste. Und sie alle haben sie mit „ja“ beantwortet. Schließlich haben wir in Deutschland ein modernes Gesundheitssystem, das körperliche „Mängel“ beheben kann. Oft haben Adoptivfamilien Glück. Die meisten Adoptivkinder vor allem aus dem Ausland sind physisch kerngesund. Adoptivkinder mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind eher in der Minderheit. Wird ein Adoptivkind mit körperlichen Beeinträchtigungen in die Familie aufgenommen, kümmern sich alle Eltern um das Heilen und Gesundwerden.

Ein Leistenbruch oder eine Gaumenspalte lassen sich operieren und damit reparieren. Das meist mit dem richtigen Arzt auch schnell und nachhaltig. Doch tragen Adoptivkinder, die früh von ihren leiblichen Eltern verlassen wurden und die lange Zeit ihrer ersten Lebensjahren in Heimen aufgewachsen sind, noch ganz andere Verletzungen von dieser Lebensgeschichte. Durch die Trennung von der leiblichen Mutter ist ihr Urvertrauen zerstört worden, das Leben im Heim mit wechselndem und nicht immer fürsorglichem Pflegepersonal hat häufig Bindungsstörungen in vielfältiger Form verursacht. Die Seelen dieser Kinder sind meist tief verletzt. Dies ist meiner Meinung nach bei der Mehrzahl dieser Kinder so. Diese Wunden aber sind selten sichtbar. Und im Vorfeld einer Adoption wird auf diese psychischen Beeinträchtigungen kaum oder nur verhalten offensiv hingewiesen. Erst wenn die Kinder ein paar Wochen, Monate in ihren Adoptivfamilien leben, kommen diese psychischen Wunden zum Vorschein. Zunächst sind die Kinder noch in einer Anpassungsphase, in der sie alles tun, um ja ihren Adoptiveltern zu gefallen, damit sie nicht ein erneutes Mal abgegeben werden. Doch spätestens nach einem halben Jahr lassen sie die Hüllen fallen. „Selten hält es ein Kind länger als ein halbes Jahr durch, seine seelischen Wunden und sein Trauma zu verbergen.“ sagte einmal unsere Betreuerin vom Jugendamt zu mir. Dann zeigt sich das Trauma des Weggeben-worden-Seins in seiner ganzen Massivität: Wutanfälle, aggressives Verhalten, Zerstörungsdrang gegen sich selbst oder gegen andere, Distanzlosigkeit oder totale Ablehnung von körperlicher Zuneigung der Adoptiveltern, sich in den Schlaf schaukeln, Hyperaktivität, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, Essstörungen, um nur einige zu nennen.

Die meisten Adoptivfamilien setzen sich mit diesen Herausforderungen auseinander, lesen Ratgeber, lassen sich von Erziehungsspezialisten beraten, stellen ihren Lebenswandel um, suchen sich, wenn sie es alleine nicht mehr schaffen, die professionelle Hilfe von Therapeuten und Ärzten. Damit beginnt ein langsamer Heilungsprozess, an dessen Ende das Adoptivkind seine seelischen Wunden verarbeitet, eine stabile Bindung zu seinen Adoptiveltern aufbauen kann, ein gesundes Selbstgefühl entwickelt und sich sicher und geborgen fühlt. Das ist meist harte Arbeit, für das Kind und seine Adoptivfamilie, und immer ein jahrelanger Prozess mit vielen Rückschlägen, der unzählige Opfer verlangt. Doch am Ende wird die Gewissheit siegen, ein Kind in ein gesundes und beständiges Leben hineingeführt zu haben.

Zu meinem Bedauern gibt es aber auch immer wieder Adoptivfamilien, die die seelischen Wunden ihrer Kinder nicht sehen oder auch nicht sehen wollen. Ich bin mit einzelnen Fällen konfrontiert worden, in denen die Auswirkungen der psychischen Verletzungen einfach nicht wahrgenommen werden, klein geredet werden. „Er schuckelt sich eben immer noch in den Schlaf.“ sagt da eine Adoptivmutter. Das noch mehrere Jahre nach der Adoption. Aber ansonsten ist alles wunderbar und das Leben des Jungen geht unverändert weiter. Schule, dreimal die Woche Fussballtraining, Klavierunterricht, Schwimmen, jeden Abend zwei Stunden Hausaufgaben, danach zwei Stunden spielen auf dem IPad, bis der Schlaf ihn irgendwann übermannt. Die Eltern arbeiten beide Vollzeit mit vielen Abwesenheiten, das Au Pair-Mädchen übernimmt die Kinderbetreuung. In einem anderen Fall zeigt die Adoptivtochter ein unkontrolliertes aggressives Verhalten, wenn sie mit anderen Kinder zusammen spielen soll. Auch sie lebt mittlerweile seit mehreren Jahren in ihrer Adoptivfamilie. Wie aus dem Nichts schubst, tritt, beisst sie, schlägt um sich. Freunde hat sie keine. „Ja, ich weiss, manchmal ist sie im Moment schwierig. Ich weiss auch nicht, woher das kommt. Aber im Kindergarten läuft doch alles gut.“ Und auch hier wird weitergemacht, wie bisher. Die stummen Schreie der Kinder nach Hilfe werden nicht gehört. Sie werden zugedeckt unter dem Mantel der überdurchschnittlichen Entwicklung der Kinder – er kann schon Fahrradfahren, sie hat schon ihren Freischwimmer, sie ist in der Schule sehr ehrgeizig, er spielt fantastisch Klavier.

Mir tut es um diese Kinder so unendlich leid. Es könnte ihnen mit einem anderen ruhigeren Alltag und professioneller Hilfe so viel besser gehen. Aber therapeutische Hilfe mag ja oft auch als Zeichen von Schwäche gesehen werden. Vor allem aber ist es unbequem. Ich muss ja dann auch als Familie mein Leben vielleicht ändern. Auch ich habe mich lange der Illusion hingegeben, mit meinen beiden Adoptivkindern ein „normales“ Leben zu führen. Doch auch bei uns traten seelischen Wunden deutlicher auf, als wir das erahnen konnten. Auch ich habe erst versucht, diese Schwierigkeiten alleine zu lösen, bin aber schnell an meine Grenzen gestoßen. Ich habe mir professionelle Hilfe geholt, für die ich heute sehr dankbar bin. Denn auch ich als Adoptivmutter bin mit den Therapien meiner Kinder gewachsen. Die Heilung  meiner Kinder erleben zu dürfen, ist mehr als ein Geschenk. Um so mehr bin ich fassungslos, wenn ich von diesen problematischen „Fällen“ höre oder sie erlebe, in denen die Adoptiveltern einfach ihre Augen verschließen. Das ist naiv. Denn in einem späteren Alter, meist in der Pubertät passiert genau das mit diesen Kindern, was die Fachliteratur immer als „Horrorszenarien“ schildert: Sie lügen, stehlen, schlagen und prügeln sich, zerstören vor Wut die Einrichtung im Haus der Eltern, etc. Es sind diese Kinder, die die Literatur als „hochproblematisch“ bezeichnet. Doch soweit muss es meiner Meinung nach nicht kommen. Eltern können ihren Kindern helfen, frühzeitig. Doch dafür müssten sie Abschied nehmen von der Illusion, dass Adoptivfamilien ganz „normale“ Familien sind.