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#bestofElternblogs im Januar

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Photo by Annie Spratt on unsplash.com

Anja von der Kellerbande ruft regelmäßig zum 1. des Monats zu den besten Beiträgen der Elternblogs auf. Und wie immer mache ich gerne mit. Besonders jetzt zum neuen Jahr, das hoffentlich für Euch so wunderbar gestartet ist wie bei uns.

Mein meist gelesener Beitrag im Dezember war „Von Vorurteilen – Wenn ein gut gemeintes Lob doch eine Ohrfeige ist“, in dem ich davon erzähle, wenn ein vermeintlich gut gemeintes Lob doch zu einer Ohrfeige wird, wenn subtil mitschwingt, dass man meinen Kinder wegen ihrer Herkunft ein gutes Benehmen nicht zutraut.

Spannend war auch, Anja’s Aufruf zu folgen und zu sehen, welche mein erfolgreichster bzw. am meisten aufgerufener Beitrag im vergangenen Jahr war. Es hat mich auf der einen Seite ein wenig überrascht, aber dann auch wieder nicht, denn wahrscheinlich ist unter Adoptivfamilien, das einfach eines der bewegendsten Themen. Am meisten aufgerufen wurde „Vom Umgang mit der „Anstrengungsverweigerung““, ein erster Beitrag in einer Reihe von einigen im vergangenen Jahr, in dem ich mich mit der „Anstrengungsverweigerung“ bei meinen Kindern auseinandersetze und erzähle, wie wir damit langsam einen Umgang gefunden haben. Immer noch gibt es viele Höhen und Tiefen, und es ist ein Thema, in dem es zwei Schritte vor und mindestens einen immer wieder zurückgeht. Auch in diesem neuen Jahr werde ich das Thema weiter bearbeiten, denn es ist inzwischen zu einer guten alten Freundin geworden…

Wie immer, danke ich Euch allen für’s Lesen, Liken und Kommentieren. Habt einen gelungenen Start in das Neue Jahr!

P.S. Mehr zum Thema „Anstrengungsverweigerung“ findest Du unter anderem in diesen Beiträgen:

Von der Anstrengungsverweigerung (2)- Oder wie mein Sohn sich „schlecht verkaufte“

Vom Umgang mit der Anstrengungsverweigerung (3) – Zu den Ursachen

Vom Umgang mit der Anstrengungsverweigerung (4) – Zum Gebrauch von elektronische Medien

 

 

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Von Vorurteilen – Wenn ein gut gemeintes Lob doch eine Ohrfeige ist

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Photo by Annie Spratt on unsplash.com

Die Welt ist klein, auch wenn man in einem Ballungsgebiet wie wir leben. Denn neulich erzählte mir unsere Kinderfrau, die in der nächst größeren Stadt lebt, dass sie in ihrem Sportstudio eine Nachbarin von uns getroffen habe. Dies sprach sie wohl an: „Sie sind doch jetzt bei der Familie, die die zwei Kinder aus Russland adoptiert hat? (…) Ach, die sind ja so wohlerzogen.“

Das mag ja schön sein, dass an unserem Wohnort die Leute den Eindruck haben, dass meine Kinder wohlerzogen sind. Und so war es wohl auch als ein Kompliment gemeint. Doch kam es bei mir wie eine Ohrfeige an. Denn für mich schwang mit: „Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass russische Adoptivkinder sich so gut benehmen können.“ Da waren sie wieder die Vorurteile. Lange hatten sie uns nicht beschäftigt. In den vergangenen Jahren hatten wir ohnehin recht wenig Kontakt an unserem Wohnort, seitdem Maxim und Nadeschda in einen anderen Kindergarten und Schule gegangen waren. Doch offensichtlich ist der Stempel der „Russenkinder“ geblieben.

Als mein Ärger verrauchte, dachte ich an einen Ausspruch von Bettina Bonus auf einem ihrer Vorträge, der ungefähr sinngemäß so lautete: „Achten Sie auf das Äußerliche Ihrer Kinder. Denn so ecken sie weniger an und fallen weniger auf. Ziehen Sie ihrem Sohn ruhig die Kordhose, das weiße Hemd und den Pullunder an. Dann hat man gleich ein positives Bild von ihm.“ Wie recht sie behalten sollte! Ja, nach all den Jahren ist es auch mir in Fleisch und Blut übergegangen, bei meinen Kindern immer auf ein möglichst gepflegtes Aussehen zu achten. Zu meinem großen Glück ziehen sie auch immer noch das an, was ich ihnen hinlege. Und genauso sind sie in der Öffentlichkeit sehr höfliche und freundliche Kinder. Das habe ich ihnen zwar nicht anerzogen, doch folgen sie hier wahrscheinlich einfach dem Beispiel von uns Eltern. Dennoch gebe ich zu, dass es natürlich beruhigend ist, dass Maxim und Nadeschda eben nicht unangenehm in der Öffentlichkeit auffallen, sondern eben ganz im Gegenteil. Der Ausspruch der Dame im Sportstudio bestätigt das. Wie würde man da draußen wohl über meine Kinder sprechen, wenn sie sich nicht so „wohlerzogen“ verhielten?

Eigentlich mag ich es mir gar nicht ausmalen. Denn dann kehrt nur meine eigene innere Wut zurück. Warum dürfen Maxim und Nadeschda nicht einfach da draußen ganz normale Kinder sein? Ist ja schön, dass sie als wohlerzogen gelten. Die „Ohrfeige“ tat dennoch weh. Doch schlucke ich lieber meinen Ärger runter, freue mich über meine wunderbaren Kinder und fahre in die Stadt, um Maxim einen neue Kordhose zu kaufen.

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29. Dezember – Lehrstück im Muttersein

Glück ist immer ein Kontrasterlebnis. Nach diesem wunderbaren Weihnachtsfest verbrachten wir ein paar beschauliche Weihnachtsfeiertage als junge Klein-Familie. Maxim und Nadeschda fuhren ihren Traktor und Dreirad viel Spazieren, wir packten nach und nach noch ein paar Geschenke aus, die aber nicht nötig gewesen wären, wir sahen alte Freunde wieder, wie jedes Jahr zu Weihnachten, aßen viel und gut und verbrachten einfach drei Tage ohne Uhr im Hinterkopf. Das war sehr erholsam und hatte zum ersten Mal seit langem etwas von ungeplanter und unstrukturierter Zeit in unserem Familienalltag. Es machte für mich die Bedeutung von „zwischen den Jahren“ neu erfahrbar.

Gestern zeigte sich die Kehrseite der Medaille. Denn Besuche meiner biologische Herkunftsfamilie haben wenig mit unserer idyllischen Weihnachtsharmonie gemein. Fast ein halbes Jahr nach der Ankunft unserer Kinder, hatte sich mein Vater nun aufgemacht, uns zu besuchen und seine Enkel kennenzulernen. So hatte ich geglaubt. Doch er hatte einen ganz anderen „Auftrag“.

Nachdem wir meinen Vater am frühen Nachmittag vom Flughafen abgeholt hatten, verliefen die folgenden Stunden genauso, wie man es erwartet, wenn jemand kommt, der im Grunde eine ganz andere Agenda im Kopf hat. Beide Kinder beobachteten ihren Großvater zunächst neugierig. Nach einer Weile Zuhause versuchte Maxim sogar, mit ihm nonverbal zu kommunizieren und mit ihm zu spielen. Doch mein Vater ließ sich darauf gar nicht ein. Steif saß er auf seinem Stuhl und blieb der unbeteiligte Beobachter. Nadeschda unternahm erst gar keinen Versuch, mit meinem Vater in Kontakt zu treten und beschäftigte sich lieber mit sich selbst. Schlaues Mädchen! Vielleicht spürte sie schon, dass er kein Interesse an ihr hatte. Als Daniel und Richard abends zum Essen dazukamen, war der Opa gänzlich abgemeldet. Dennoch schienen beide Kinder irritiert zu sein. Mit ihren sensiblen Antennen schienen Maxim und Nadeschda zu merken, dass irgendetwas in der Luft lag. Wahrscheinlich spürten sie, dass die Stimmung bei ihrer Mutter, ihrem Onkel und auch ihrem Vater angespannt und geladen war. Die Anwesenheit vom fremden Opa, der nicht so wirklich etwas mit ihnen anfangen konnte und wollte, gefiel Maxim und Nadeschda nicht. Vielleicht fühlten sie auch seine unterschwellige Ablehnung und waren beunruhigt, was als nächstes passierte. Für sie war er ein Eindringling, der hier nicht her gehörte. Doch sie waren zu nett, es meinen Vater spüren zu lassen. Und er zu sehr in seiner Welt verhaftet, um überhaupt zu spüren, dass er meinen Kindern nicht geheuer war. Geladen mit dieser inneren Unruhe war es für Richard schwer, beide Kinder zum Schlafen zu bringen. Maxim gab erst um zehn Uhr Ruhe und liess sich vom Schlaf übermannen.

Kaum, dass Richard mit Maxim und Nadeschda oben war, atmetet mein Vater sichtlich auf. Nun konnten wir ja zu seinem Teil der Agenda übergeben. Er wollte sein Erbe regeln. Alle anderen Themen, die seit Monaten im Raum standen, fanden auf seiner Tagesordnung keinen Platz. In professioneller Verhandlungsführung zeigte er meinem Bruder und mir eine Vermögensaufstellung, die er dann gleich wieder einsteckte, und einen Vorschlag für einen Pflichtteilsverzichtvertrag. Natürlich kam er damit schnell durch, denn letztendlich war es ja seine Sache, wie mein Vater sein Erbe verteilte. Zwar überrascht aber auch erleichtert, dass die Diskussion um sein Erbe schnell beendet war, kam mein Vater zu seinem zweiten Punkt auf seiner Tagesordnung, dem Auftrag seiner Frau, meiner Stiefmutter: „Sieh zu, dass wir zur Taufe eingeladen werden.“ Mit der gesamten Familie. Was für eine Farce! Ich war verwirrt. Es gab noch nicht einmal ein konkretes Datum für die Taufe. Und warum war es so wichtig, zu einer Taufe eingeladen zu werden, deren Täuflinge nicht dem Enkelbild entsprachen, was in meiner Herkunftsfamilie vorherrschte? Warum diesen ganzen Aufwand betreiben für zwei Kinder, die sie ohnehin nicht interessierten? Ich bin froh, dass ich in diesem Moment klar genug war, diesen Auftrag als Steilvorlage zu nehmen, unsere unterschwelligen Konflikte auf den Tisch zu legen. Mein Vater hätte sie natürlich nicht von sich aus thematisiert. Mit Blick auf seine Vorurteile gegenüber seinen Enkeln blieb er zwar in seinen Antworten nebulös. „Ich habe es in zwanzig Jahren Ehe bei Deiner Mutter nicht geschafft, gegen den Einfluss ihrer Familie anzukämpfen und das auszugleichen. Insofern weiß ich nicht, wie stark die genetische Vorbelastung bei Deinen Kinder ist.“ Aha, eine soziale Prägung findet sich also in der genetischen Disposition. Interessant. In meinem Hinterkopf hörte ich die quäkende Stimme meiner Stiefmutter: „ Und dann auch noch aus Russland! Das sind doch alles Kinder von Alkohol- und Drogenabhängigen Kleinkriminellen. Und das liegt doch in den Genen, das kriegt man aus solchen Kindern nicht mehr raus.“ Nun war ich gewiss, genauso waren die Diskussionen im Hause meines Vaters abgelaufen. Ich nahm in dem Gespräch inzwischen richtig Fahrt auf und legte die Bedingungen zu einer Einladung zur Taufe von Maxim und Nadeschda gleich nach: Ehrliches Interesse an den Kindern und damit ein Kennenlernen der Kinder vor der Taufe von allen Familienmitgliedern. Denn zur Taufe würden wir nur Familienangehörige und Freunde einladen, die die Kinder bis dahin kennengelernt hätten. Auch wenn mein Vater diesen Wünschen zunächst zustimmte, wusste ich, dass er sich nicht daran halten würde.

Während ich dies schreibe, macht sich in mir eine merkwürdige Gefühlsmischung breit. Ich bin ein wenig stolz, dass ich mich für meine Kinder stark gemacht und zum ersten Mal in meinem Leben gegenüber meinem Vater Bedingungen gestellt und Spielregeln formuliert habe. „Wenn Du teilhaben willst an meiner Familie, dann zu meinen Konditionen.“ Fast scheint es, als hätte ich mich mit meinem Mutterwerden ein großes Stück von meiner eigenen Herkunftsfamilie losgelöst. Allein der Weg, den Richard und ich gegangenen waren, um Eltern werden zu dürfen, hatte ein anderes Bewusstsein für unsere Rolle als Vater und Mutter und ein anderes Empfinden für unsere Kinder geschaffen. In tiefer Dankbarkeit nahmen wir Maxims und Nadeschdas Präsenz in unserem Leben als ein großes Geschenk an. Sie waren in unser Leben gekommen, weil Richard und ich eine Aufgabe erfüllen wollten. Wir wollten nicht bloß eine formale Familie auf dem Papier sein, die sich über lachende Familienfotos und rauschende Familienfeiern auf der einen Seite und lästige Familienpflichten und Kriegen hinter verschlossenen Türen auf der anderen Seite definierte. Wir hatten uns für Maxim und Nadeschda entschieden, weil wir ihnen gute Eltern sein und ein sicheres Zuhause geben wollten, nicht um eine gesellschaftliche Konvention zu erfüllen. Vielleicht haderte ich auch deshalb so mit meinem Verständnis von Familie, da ich dem negativen Beispiel meiner Herkunftsfamilie nicht folgen wollte und mir stattdessen immer mehr bewusst wurde, dass ich in Ermangelung eines positiven Vorbildes mein eigenes Familienbild erschaffen musste. Ein Stück weit fühlte ich mich befreit.