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#bestofElternblogs April 2019

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Die liebe Anja von der Kellerbande hat einmal wieder zu ihrer beliebten Blogparade #bestofElternblogs April 2019 aufgerufen. Da mache ich doch gerne endlich einmal wieder mit. Vielleicht auch mit dem Wunsch, in diesem nun neu beginnenden Monat ein paar Beiträge mehr wieder zu veröffentlichen. – Die Zahl der begonnenen, aber bisher unvollendeten Beiträge wächst stetig auf meinem Rechner…

Wieder einmal erleuchtend und interessant war der Blick in die Zahlen. Denn diesmal war es mein Beitrag aus der vergangenen Woche zu „Du bist nicht meine echte Mutter!“, der mit relativ großem Abstand zu den anderen Beiträgen diesmal die meisten Klicks verzeichnete. Hier schildere ich von der Begebenheit, an der mein Sohn mir zum ersten Mal wütend an den Kopf warf: „Du bist nicht meine echte Mutter!“ und wie wir beide einen guten Weg aus diesem Wutanfall fanden. Aber lest selbst hier

Habt lieben Dank für’s Lesen, Liken und Kommentieren!

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„Du bist nicht meine echte Mutter!“

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Photo by The HK Photo-Company on unsplash.com

Da war er dann da der Tag, vor dem sich so viele Adoptivmütter vielleicht fürchten. Vor Jahren wurden sie vielleicht im Zuge des Adoptionsprozesses darauf vorbereitet. Doch dann liefen die Jahre nach der Ankunft des Kindes so dahin, man wuchs zu einer Familie zusammen. Ja, die Adoption war natürlich immer wieder ein Thema, auch die Tatsache, dass das Kind zwei Mütter hat, manche würden von einer Herzmama und einer Bauchmama sprechen – ich persönlich finde diese Begrifflichkeit immer noch unglücklich, habe aber bis zum heutigen Tag keine andere oder bessere Begrifflichkeit gefunden. Wir umgehen sie, in dem wir von der Mama in Russland sprechen, die unseren Kindern das Leben geschenkt hat, sie manchmal bei ihrem Vornamen nennen, und von mir, als der deutschen Mama, der Mama, die nun für Maxim und Nadeschda sorgt und sie durch das Leben begleitet. Doch alles geht so seinen Gang, Herkunft und Wurzeln sind wichtig, mal mehr mal weniger. Vielmehr überlagern immer wieder andere Themen unseren Alltag. Und dann ist er da, der Tag, an dem mein Sohn wutschnaubend vor mir steht und mir mit tiefster Inbrunst ins Gesicht brüllt: „Du hast mir gar nichts zu sagen. Du bist NICHT MEINE ECHTE MUTTER!!!!!“

Ich schlucke erst einmal und halte die Worte zurück, die ich darauf vielleicht genauso impulsiv wie mein Sohn hätte antworten wollen. Ich gucke ihn ein paar Momente an und verlasse das Zimmer. Innerlich gehe ich die Treppe herunter, von der so viele Traumtherapeuten sprechen, zähle nicht bis zehn, sondern bis zwanzig und dann auch noch einmal rückwärts. Ich konzentriere mich nur auf meinen Atem. Und dann kommt mir plötzlich in den Sinn, dass ich nun die Chance habe, mich endlich einmal wirklich so zu verhalten, wie es diese unzähligen Ratgeber einem immer sagen, man es aber ganz ehrlich im Eifer des Gefechts dann doch nicht immer hinbekommt. Ich gehe zurück zu meinem Sohn, bleibe ganz ruhig, bringe ihm sein Wasser und seinen Snack, um den es vor dem Streit und seinem Wutausbruch ging und erwähne seinen wütenden Ausruf mit keiner Silbe. Verdutzt schaut er mich an, denn es ist wahrscheinlich wirklich das erste Mal, dass ich auf seinen Wutausbruch gar nicht eingehe. Ich spiele das Spiel nicht mit, ich tanze den Tanz nicht mit. Denn er würde uns beide nur verlieren lassen. 

Erst am Abend in einem ruhigen Moment greife ich das Thema der echten Mutter wieder auf. Ruhig erkläre ich Maxim, dass er eben zwei Mütter hat, das ist etwas besonderes in dem Sinne, dass er damit anders ist als die meisten Kinder in seiner Klasse. Aber ich könnte sehr gut verstehen, dass ihn das wie so vieles andere auch manchmal unendlich wütend und traurig macht. Seine russische Mutter habe ihm das Leben geschenkt – wofür wir ihr sehr dankbar sind – und ist insofern seine echte Mutter, ich bin die Mutter, die ihn ins Leben begleitet und immer für ihn da ist So bin ich auch seine echte Mutter. Es gäbe eben kein echt und unecht oder kein richtig und falsch. Wir beide wären seine Mütter, aber mit unterschiedlichen Aufgaben. Wie so oft hörte mein Sohn mir nur stumm zu, doch ich merkte, dass es in ihm anfing zu arbeiten….

Ganz ehrlich, das ist kein schönes Gefühl, wenn das eigene Kind sich vor einem aufbaut und aus tiefster Überzeugung mit unendlich viel Wut in der Stimme brüllt „Du bist nicht meine echte Mutter.“ Wenn „ECHT“ gebären und ins Leben bringen heißt, worauf sich das Mutterverständnis meist reduziert, dann wäre es tatsächlich so, dass ich nicht Maxim’s echte Mutter bin, auch wenn ich mir bis heute so sehr wünschte, es gewesen zu sein, um ihm all dieses Leid, dass ihn bis heute in mancherlei Hinsicht noch prägt, erspart haben zu können. Doch das Schicksal wollte es anders. Und es schmerzt, mit all den anderen Mutterqualitäten, mit denen ich meinen Sohn versuche ins Leben zu begleiten, ihm nur so schwer und so langsam diesen Schmerz, Wut und Trauer zu nehmen. Es kommt mir ein wenig vor, als könnte all das, all diese Liebe und Fürsorge nicht oder manchmal nur kaum dieses eine aufwiegen. Das nagt in mir. Immer noch und immer wieder.

Aber auf der anderen Seite war ich sehr stolz auf mich, mit meinem Sohn eine neue Erfahrung für mich gemacht zu haben, eben nicht auf seinen Beziehungskampf einzusteigen, nicht mit ihm zu tanzen, sondern ganz ruhig zu bleiben und an einer ganz anderen Stelle und zu einem ganz anderen Zeitpunkt das Thema mit ihm zu klären. Sein überraschtes Gesicht sprach Bände: „Da reagiert doch die Mama nicht so, wie ich es von ihr gewohnt bin…“ Es scheint, als wären wir erneut ein Stück weiter gerückt in der Entwicklung unserer Beziehung. 

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Anstrengungsverweigerung – Eine alte Freundin kehrt mit ungewohnter Wucht zurück

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In den vergangenen Monaten lief es eigentlich recht gut in der Schule für beide Kinder. Ja, Nadeschda tat sich an einigen Stellen noch schwer. Aber mit unserer regelmäßigen Übroutine kam sie allmählich in einen guten Fluss. Nur hier und da flammt die Wut gelegentlich einmal wieder auf, die aber eine andere Motivation hat. Auch Maxim macht sich gut in der Schule. So gut, dass seine Klassenlehrerin erst vor ein paar Wochen mir in einem Gespräch mehr oder weniger vermittelte, ich könnte und sollte mich doch jetzt endlich mal ein wenig entspannen…Ich wusste da schon, warum ich es nicht tat – mich entspannen – sondern an unserer täglichen Übroutine nach wie vor weiter festhielt. Denn sie kam schneller zurück als erwartet, meine alte Freundin, die Anstrengungsverweigerung, die meinen Sohn und mich zu neuen Grenzerfahrungen eingeladen hat. Mehrmals die Woche…

Froh gestimmt kommen wir aus der Schule mittags nach Hause. Wie gewohnt folgen wir unserer täglichen Routine. Maxim und Nadeschda ruhen sich ein wenig aus, bevor es an die Hausaufgaben und das Üben geht. Freudig zeigt mir Maxim, was er aufhat. Er soll unter anderem ein Rätsel aufschreiben. So nimmt er sich gleich eines meiner Rätselbücher und schmökert. Doch als wir uns dann hinsetzen, um seine Hausaufgaben zu machen, beginnt die Stimmung zu kippen. Beim Kopfrechnen ist Maxim noch voll dabei. Beim Rätsel Aufschreiben regt sich erster Widerstand. „Nein, die Zeile lasse ich weg, die ist falsch, die gehört nicht dazu. Das Rätsel geht auch viel kürzer.“ Oder: „Ja, ich weiß ja gar nicht, wo ich das Rätsel aufschreiben soll. Da hat sie gar nichts zu gesagt.“ Für mich wäre es logisch, dass er sein Rätsel genauso in sein Heft schreibt, wie die anderen auch. „Nee, das dürfen wir nicht.“ Ich: „Hat sie Euch ein extra Blatt gegeben?“ (Denn, wenn Texte nicht ins Heft geschrieben werden sollen, gibt es in der Regel in der Schule ein Extra-Blatt.) „Nee hat sie auch nicht. Dann schreibe ich es eben nicht auf.“ Maxim versucht noch ein paar Mal zu diskutieren. Ich hole ihm ein Blatt und er schreibt das Rätsel ab. Dann soll er noch ein Bild malen zu einem Text vom Schlittenfahren. Missmutig greift er zu seinem Heft, öffnet es an der entsprechenden Stelle und beginnt zu malen. Einen Hügel mit Schnee, einen Schlitten. Ich sehe, dass er unsicher ist. „Vielleicht nimmst Du erst einmal einen Bleistift, um Dir die Sachen vorzuzeichnen. Dann kannst Du auch leichter etwas ändern. „Nö.“ entgegnete mein Sohn und malt weiter mit den Buntstiften. „Ich kann keinen Schlitten malen.“ Wutschnaubend greift er zu seinem Radiergummi und versucht den Schlitten wegzuradieren. Das gelingt nur mäßig, denn die Buntstifte sind nicht so leicht wegzuradieren. Maxim übt immer heftigeren Druck auf die Seite aus, bis diese erst verkrumpelt und dann reisst. Als ich ihm sage, dass wir das Loch nun reparieren müssen, folgen weitere „Nös“, immer lauter werdend. Um seine Aussage noch zu untermauern, beginnt er noch in dem Loch im Papier herumzustochern. Jegliche Hilfsangebote von mir lehnt Maxim ab. Die Zeit vergeht. Irgendwann kritzelt er nun noch in seinem Heft herum. Und dann verliere ich doch die Geduld und werde etwas lauter. Im Rückblick scheint es mir fast so, als hätte Maxim nur darauf gewartet. Denn nun fängt er selbst an herumzubrüllen, zu weinen und zu schreien. Er wird sich die nun folgenden eineinhalb Stunden nicht beruhigen. Meine Versuche, ihm zu helfen oder ihn aus dem Teufelskreis herauszuholen, in dem wir erst einmal Trompete spielen, lehnt er vehement ab. In seiner Verzweiflung komme ich nicht mehr an ihn heran. Er will diese Schlitten nicht malen. Koste es was es wolle. Wieder einmal ist es für ihn ein Kampf ums Überleben.

Erst nach zwei Stunden lenkt er ein, nachdem ich die ganze Zeit bei ihm gesessen habe und hin und wieder immer wieder beharrlich wiederholt habe, dass er am Ende des Tages diese zwei Schlitten alleine in sein Heft gemalt haben wird. Erst dann willigt er ein, den Arbeitstisch für eine Moment zu verlassen, und zunächst Trompete speilen zu üben. Darüber beruhigt er sich. Und erst danach nimmt er mein Hilfsangebot an, den Schlitten, den ich ihm auf einem Blatt vorgemalt habe, noch einmal erst auf dem Blatt und dann in seinem Heft abzumalen. Zehn Minuten später hat er sein Schneebild mit zwei rodelnden Kindern alleine fertig gemalt.

Immer wieder wiederholten sich solche Szenerien vor den Ferien. In den Ferien hatte sich nun Maxim’s Gemütszustand etwas entspannt, auch wenn wir nach wie vor an unserem täglichen Üben festgehalten haben. Doch das ist noch keine Garantie, dass jetzt der Start nach den Ferien glimpflich verläuft. Eine Grund zur Entspannung gibt es nicht und schon gar nicht, die Schule laufen zu lassen.

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48 Stunden im Leben einer Adoptivmutter (reloaded) – Wenn Papa verreist ist… (Teil 1)

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Richard ist in den letzten Wochen viel auf Reisen, sehr viel auf Reisen. Geschäftlich. Und das auch hin und wieder am Wochenende. Das bringt sein Job leider so mit sich. Auch wenn er nicht auf Reisen ist, arbeitet Richard viel. Meist bringt er die Kinder morgens noch in die Schule und freitags ist er so früh zuhause, dass ich abends in die Akademie gehen kann. Ansonsten sehen Maxim und Nadeschda ihren Vater unter der Woche nicht. Denn er kommt abends immer so spät nach Hause, dass beide schon schlafen. Dennoch irritiert es Maxim und Nadeschda, dass Papa so viel unterwegs ist, und die Tage, an denen Richard gar nicht da ist, werden immer wieder zu einer neuen Herausforderung. Da sich dies in den vergangenen Wochen gehäuft hat, ist mir dies einen neuen 48 Stunden Beitrag wert.

Dienstag

22:00h: Müde und erschöpft und auch wenig frustriert – die Lerninhalte heute Abend in der Akademie waren jetzt nicht so erhellend wie erwartet – komme ich nach Hause. Die Kinderfrau hatte, wie jeden Dienstag, Nadeschda nachmittags von der Musikschule abgeholt und dann beide Kinder ins Bett gebracht. Der Abend war friedlich. Am Morgen hatte Richard noch, bevor zum Flughafen fuhr und von dort für drei Tage auf Dienstreise flog, Maxim und Nadeschda in die Schule gebracht. So war es ein vermeintlich normaler Dienstag, denn der einzige Unterschied war, dass eben nicht Richard die Kinderfrau ablöste, während ich noch in der Akademie war, sondern ich selbst ein paar Stunden später. Doch die Kinder hatten abgespeichert, dass Papa nicht da ist. So vergehen keine drei Minuten, die ich in der Haustür stehe, und beide rufen mich aus ihren Betten. Ich verabschiede die Kinderfrau und kümmere mich um Maxim und Nadeschda. Meine Tochter hat Durst und kuschelt sich mit einem zufriedenen Seufzer wieder in ihre Kissen, als sie registriert, dass ich da bin. Maxim braucht etwas länger, um wieder einzuschlafen. Er fragt, wo der Papa ist, was er gerade macht, wann er wiederkommt, wie sie morgen in die Schule kommen. Ich halte fast eine halbe Stunde seine Hand, bevor auch er wieder einschläft.

Mittwoch

04:00h Nadeschda ist wach, erst in meinem Bett kann sie wieder einschlafen.

06:00h Mein Wecker klingelt. Richtig geschlafen habe ich seit vier Uhr nicht mehr. Müde kämpfe ich mich aus dem Bett, trinke meinen Kaffee, packe die Brotdosen, dusche und wecke meine Kinder. Beide kommen nur mühsam aus den Betten. Auch ihnen fehlt Schlaf.

07:50h Trotz zähem Start sind wir pünktlich an der Schule. Während Nadeschda beim Papa sich selbst auszieht und ihre Hausschuhe anzieht, muss ich das heute für sie übernehmen.

09:00h Wieder Zuhause. Der Haushalt ist inzwischen gemacht, meine drei Hausangestellten – man nennt sie auch Spülmaschine, Waschmaschine und Trockner – arbeiten, und ich sitze in meinem Büro, um zwei Auftragstexte zu schreiben und meinen Unterrichtsteil in meinem Praktikum vorzubereiten. Eigentlich wollte ich das schon längt erledigt habe und mich meinem neuen Buchprojekt widmen. Doch die Überarbeitung des Exposés muss wohl noch warten.

13:00h Ich mache mich auf den Weg zur Schule. In der Mensa kommt Nadeschda freudestrahlend auf mich zugelaufen. „Meine Mami, Mami!“ Als die Aufsichtführende Betreuerin sie jedoch ermahnt, dass sie noch Tischdienst hat, bricht Nadeschda weinend in meinen Armen zusammen. „Mama, ich kann das nicht.“ jammert sie. Als ich mit ihr den abzuwischenden Tischen gehe, klammert sie sich an mein Bein. Den Tisch wische ich ab, mit meiner an mir hängenden Tochter.

13:30h Maxim kommt aus seiner Leier-AG. Er isst noch in der Mensa, schaufelt aber stumm das Essen in sich rein. Auf meine Frage, wie es heute in der AG war, aus der er in der Regel freudestrahlend und überschäumend berichtet, ernte ich nur ein: „Sag ich Dir nicht.“ Ich stelle das Reden ein. Manchmal geht es mir ja auch so, dass ich nicht direkt nach getaner Arbeit redselig bin. Als wir zwanzig Minuten später im Auto sitzen, fängt Nadeschda, kaum dass wir den Schulparkplatz verlassen haben, an, ihren Bruder zu ärgern. Der wehrt sich und haut irgendwann etwas fester zu. Nadeschda boxt zurück und beginnt gleichzeitig zu weinen. Maxim hält sich schmerzverzerrt die Brust und auch bei ihm sehe ich die Tränen fließen. Als sich beide ich herzzerreißendes Weinen hineinsteigern, halte ich am Straßenrand an, um richtig nach beiden sehen zu können. Nach gegenseitigen Anschuldigungen, wer zuerst angefangen hat, und meinem Ermahnen, dass es eigentlich egal ist und dass ich schlicht und ergreifend nicht möchte, dass sie sich so im Auto streiten, höre ich nur noch ein schmerzhaftes „Papa!“ und „Papi!“ von beiden Kindern. Ich nehme jeden von ihnen in den Arm und tröste sie still, bis die Tränen einigermaßen getrocknet sind.

15:00h Seit gut einer Stunde sind wir Zuhause. Maxim und Nadeschda haben sich ein wenig ausgeruht und nun sitzen wir über den Hausaufgaben. Eigentlich ist unter normalen Umständen der Mittwoch immer der beste Tag in der Woche, in der es höchst selten „Theater“ gibt. Die Kinder sind mitten in ihrem Wochenrhythmus, sie sind fit und ausgeschlafen, sie sind in den Aufgaben und Themen aus der Schule drin. Doch heute ist alles anders…

(Fortsetzung folgt.)

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Das „Wutmonster“ ist wieder da…

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Danke an Pixabay

Mein alt bekannter Freund, das „Wutmonster“ ist wieder da. Ja, ich hatte schon einmal geschrieben, dass ich es nicht so nennen soll. Doch inzwischen ist es mir ein alt bekannter – und manchmal liebgewonnener Freund. Und somit ist der Begriff fast liebevoll gemeint, auch wenn mich seine Auswirkungen doch zu weilen erschrecken, in ihrer Intensität und in ihren Ausbrüchen. Vor allem wenn es diesmal meine Tochter ist, die so von Zorn erfüllt ist. Nachdem wir im Winter Maxim’s Wut nach einiger Zeit ganz gut „in den Griff bekommen“ haben, er mittlerweile beinahe ausgeglichen ist, treiben nun Nadeschda immer häufigere Besuch des „Wutmonsters“ um. Ja, zum einen ist es der ständige Alarm im Kopf, über den ich ja in der vergangenen schrieb. Nun könnte es mit den begonnenen Ferien etwas ruhiger werden, doch weit gefehlt.

Gestern Abend hatten wir wieder so einen Ausbruch von neuer Qualität. Den ganzen Tag schon war Nadeschda motzig und grantig. Nichts passte ihr, nichts sollte ihr Spass machen. Nun waren wir auch noch zu allem Überfluss beim Zahnarzt, wo sie geröntgt und Abdrücke für eine mögliche Zahnstange gemacht wurden. Maxim amüsierte sich derweil in seinem Zirkuscamp. Erst am späten Nachmittag, als Maxim vom Zirkus zurück war und wir in unsere alt bekannten Rituale zurückkehrten – die Kinder spielten erst ein wenig, dann übten wir wie jeden Tag, um dann gemeinsam das Abendessen vorzubereiten – beruhigte sie sich ein wenig und ihre Laune schien sich zu bessern. Doch es war eher die Ruhe vor dem Sturm, der sich mit voller Wucht vor dem Zubettgehen entlud. Erst wollte sie sich nicht ausziehen, geschweige denn ihren Schlafanzug anziehen. Stattdessen flogen lieber zahllose Gegenstände in ihrem Zimmer umher. Sie räumte mit einem Streich ihren Schreibtisch ab, alles fiel auf den Boden, zornig griff sie zur Schere und wollte ihre neue selbst gestrickte Tasche zerschneiden. Da griff ich ein, versuchte Nadeschda zu halten und zu beruhigen, doch stattdessen wurde sie nur noch wütender. Nadeschda schlug um sich, trat nach mir und wenn ich sie hielt, versuchte sie in meinen Arm zu beißen, damit ich los ließ. Mein Mädchen kämpfte um ihr Überleben.

Nichts wollte gelingen, um sie aus diesem Teufelskreislaufs herauszuholen. Auch im Bad beim Zähneputzen setze sich das „Drama“ weiter fort. Erst beim Vorlesen kam Nadeschda etwas zur Ruhe, um dann am Ende, als ich beide Kinder zur Nacht legte, erneut aufzudrehen. Kissen flogen durch die Gegend, wieder trat sie um sich. Überraschenderweise ließ sie sich dann aber von mir am Rücken eincremen und massieren. Erst da beruhigte sich Nadeschda langsam. Hatte sie Richard vorher erzählt, dass sie Angst beim Zahnarzt gehabt hatte und sie deswegen so wütend sei, so schüttete sie mir jetzt das Herz aus, dass sie nicht weiter in die Schule gehen wolle. Sie wolle nicht in die erste Klasse gehen. Ihre Freundinnen seien blöd und die neue Lehrerin sowieso. Ich hörte ihr aufmerksam zu, beruhigte sie, erklärte ihr aber auch, warum es so wichtig sei, dass sie in die Schule geht. Denn nur so könnte sie Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Und das bräuchte sie ja, wenn sie später einmal Tierärztin werden wolle, um sich dann um Maxims Tiere auf seinem Bauernhof zu kümmern. Ein wenig lenkte sie dann ein und kam zur Ruhe. Doch hielt sie meine Hand ganz fest, bis sie eingeschlafen war.

Während ich so über den Schlaf meiner Tochter wachte, wurde mir klar, wie groß doch wieder die Phase der Veränderung für meine kleine Nadeschda ist. Maxim ist fein raus, er genießt die Ferien, ist im Zirkus mit seinen zwei Kumpels wie im letzten Jahr, er freut sich auf unsere Urlaube und weiß, dass er am Ende der Ferien in seine bekannte Klasse zu seinen bekannten Lehrern zurückkehrt. Doch für Nadeschda ist wieder alles anders. Sie ist mit den Ferien aus ihren gewohnten Rhythmus geworfen worden, ihr fehlt die starre Struktur, die wir sonst in unserem Alltag haben. Ihr fehlt ihr Bruder zum Spielen. Zudem muss sie für ein paar Stunden am Tag mit unserer Kinderfrau vorlieb nehmen, wenn ich arbeite. (Ein Ferienprogramm wollte sie nicht machen.) Vor allem aber ahnt sie, das Großes mit der Einschulung in die 1. Klasse auf sie zukommt. Der Abschied von ihrer alten Klassenlehrerin fiel ihr schwer. Sie weiß noch nicht, was sie von der neuen Lehrerin halten soll. Sie spürt, dass neue Anforderungen und Herausforderungen auf sie zukommen, die ihr schon jetzt Angst bereiten. Sie ist sicher, dass alles nach den Ferien anders sein wird, weiß aber noch nicht wie. Und das ist ihr unheimlich, erschreckend unheimlich. Ihre Wut ist damit Ausdruck ihrer eigenen Ohnmacht über ihre Situation. Und in der Ohnmacht schrillt ihr innerer Rauchmelder auf höchster Alarmstufe.

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Blogparade: 25 total gute Gründe für einen Trotzanfall

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Mit freundlicher Unterstützung von Fotolia

Die liebe Susanne von halloliebewolke hat zur Blogparade „25 gute Gründe für einen Trotzanfall“ aufgerufen. Auch wenn Maxim und Nadeschda aus dem klassischen Trotzalter herausgewachsen sind, bzw. dieses aufgrund ihrer besonderen Geschichte anders erlebt haben, mache ich gerne bei dieser Blogparade mit. Denn einerseits passt die Blogparade ein wenig auch zu meiner Reihe zur „Anstrengungsverweigerung“, die ich nun in diesen Wochen wieder fortsetzen will. Andererseits ist es so, wie viele von Euch auch schon geschrieben haben: Manchmal sind die Gründe für einen Wutanfall bei einer Betrachtung aus der Distanz wirklich zu komisch und lustig. Und so schwer es auch ist, Geduld und Verständnis bei einem gerade tobenden Kind aufzubringen, Humor hilft dabei doch ungemein, diese Situation zu ertragen. So sind dies also unsere 25 guten Gründen für einen Wutanfall:

  1. Ein Druckknopf geht am Schlafanzug nicht zu.
  2. Das Ärmelbündchen der Jacke muss ÜBER den Handschuh gezogen werden.
  3. Der Reissverschluss am Schuh klemmt.
  4. Mama macht keine Schleife, auch wenn Maxim schon selbst die Schleife am Schuh binden kann.
  5. Mein Kind vergisst, dass der liebe Gott es mit zwei gesunden Händen ausgestattet hat, und sitzt mit am Fuss hängender Hose verzweifelt auf dem Badhocker und versucht mit dem anderen Fuss die Hose auszuziehen.
  6. Das T-Shirt wird beim Zähneputzen mit Zahnpasta bekleckert. Und die Mama sagt auch noch, das ist nicht schlimm.
  7. Der Pullover wird beim Händewaschen nass.
  8. Das Strickzeug darf nicht mit in die Schule genommen werden.
  9. Der neue Glubschihund wird aus dem Schulranzen konfisziert.
  10. Der Tätowierstift darf nicht mit in die Schule genommen werden.
  11. Der Lippenstift wird aus der Jackentasche konfisziert.
  12. In der Trinkflasche ist stilles statt Sprudelwasser.
  13. Die Brille ist nach dem Putzen an einer klitzekleinen Ecke immer noch dreckig.
  14. Die Mama ruft: „Komm bitte mit Bleistift, Radiergummi und Anspitzer runter zum Üben.“ Bleistift und Radiergummi sind dabei, aber der Anspitzer fehlt. Jetzt muss Maxim noch einmal 17 Stufen nach oben laufen.
  15. Das E hat einen Strich zu viel beim Schreiben bekommen. „Oh man, jetzt muss ich nochmal alles neu machen.“
  16. Beim Lesen ist ein sehr langes Wort im Text oder Maxim überliest konsequent einen Buchstaben im Wort und damit ergibt der Satz keinen Sinn.
  17. Beim Rechnen verwechselt mein Sohn fünfZEHN und fünfZIG.
  18. Statt großen Fruchtzwergen gab es nur kleine im Supermarkt. Und morgens um sieben hat das Geschäft noch geschlossen, um große Fruchtzwerge zu kaufen.
  19. Nadeschda möchte zum Frühstück Obst und Jogurt. Mama stellt ihr beides hin und macht den Jogurtbecher schon auf. „Mama, ich wollte zuerst die Pflaumen essen und dann erst das Jogurt aufmachen! Oh man, jetzt esse ich gar nichts!“
  20. Die Kirschtomaten beim Essen sind klein geschnitten, obwohl Nadeschda sie am Stück haben wollte.
  21. „Diese Jacke hat keine Innentasche. Die ziehe ich nie mehr an. Nie mehr! Verstanden!“
  22. Der Schulranzen schließt nicht richtig, weil der Turnbeutel im Verschluss hängt.
  23. Die Lieblingshandschuhe sind noch nass auf der Heizung. Die alternativen Handschuhe werden abgelehnt: „Oh man, dann muss ich ohne Handschuhe gehen, die anderen ziehe ich nicht an. Kannst Du nicht früher waschen, Mama?“
  24. Auf der Heimfahrt von der Schule sind TickTack UND Kaugummi aufgebraucht und kein Nachschub da.
  25. Im Radio läuft das Lieblingslied und es wird von einem wichtigen Verkehrshinweis unterbrochen.
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Einige dieser Gründe haben zu schweren Tobsuchtsanfällen geführt, bei anderen verrauchte die Wut zum Glück sehr schnell. Die meisten Beispiele stammen aus der jüngsten Zeit unseres Alltags. Doch während ich dies hier schreibe, muss ich all die Tobsuchtsanfälle und Wutausbrüche zurückdenken, die vor allem Maxim in unserem ersten Jahr unserer Familienzusammenseins hatte. Heute weiß ich meistens, was die Ursache für den plötzlichen Zornesausbruch ist, – ob ich sie nachvollziehen kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber wie viele Wutausbrüche hatte Maxim, bei denen ich nicht wusste, woher sie kamen. Wie dankbar bin ich, dass das vorbei ist! Meine beiden Kinder artikulieren heute meistens sehr deutlich, was ihnen nun gerade nicht passt. Ob ich das dann ändern kann, sei eine andere Geschichte.