Kolumne: Adoptivfamilien – die kleine zweite Klasse? Von Fallzahlen und dem fehlenden politischen Willen

Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern wie Frankreich und Italien oder Nordamerika ist Deutschland Entwicklungsland in Sachen Adoptionen. In Bezug auf Auslandsadoptionen immer noch eher „Unterentwicklungsland“. Die Zahlen sind eindeutig, und schnell im Internet recherchiert. Warum ist das so? Ist das Credo rückläufiger Geburtenraten und der damit verbundenen Förderung der Familie nicht laut genug? Wohl kaum. Der intensivere Blick schärft die Situation und lässt einige Schlüsse zu. Aus eigener Erfahrung und dem Austausch mit anderen Familien wissen wir, wie oft der administrative Umgang mit den Folgen der Auslandsadoption – also dem „Wir sind jetzt eine Familie mit Kindern“ – Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und Argwohn hinterlässt. Kein Wunder, denn bei rund 300 Auslandsadoptionen im Jahre 2015 fehlen schlichtweg die Fallzahlen. Zudem – so sehen es Insider und langjährige Kenner der „Szene“ – fehlt der politische Wille.

Das beginnt zum Beispiel bei der Förderung der Adoptionskosten. Um eines klar zu stellen: Eine Auslandsadoption ist nicht der Kauf eines Kindes. Die oft erheblichen Kosten entstehen durch unzählige Beglaubigungen, Notar-Termine, Apostillen, Unterlagen generell beschaffen, und vor allem durch die Reisen und Aufenthalte im Adoptionsland sowie die behördlichen Verfahrenskosten im Herkunftsland. – Die Gebühr für einen Reisepass ist ja auch nicht der Kaufpreis für die Staatsbürgerschaft. Die ist umsonst. Es sind die Kosten für das Verfahren. – Zurück zu der Förderung der Verfahrenskosten. In anderen Ländern werden mit der Inobhutnahme des Kindes die Adoptionskosten den frisch gebackenen Eltern zurückerstattet, ganz oder teilweise, oder die Kosten können steuerlich geltend gemacht werden. In Deutschland können hingegen die Kosten für eine reproduktionsmedizinische Behandlung als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden, die Kosten und Aufwendungen für eine Adoption aber nicht. Erst im Sommer 2015 wurde nach jahrelanger Entscheidungsphase eine entsprechende Klage auf eine steuerliche Geltendmachung von Adoptionskosten abgeschmettert. Der Entschluss zu einer Adoption würde ja nicht aus einer Zwangslage heraus entstehen und im Übrigen seien ja die Aufwendungen für eine Adoption mit dem Kindergeld abgegolten. Eine politische Förderung ist also nicht in Sicht. Dabei geht es nicht um das Geld, sondern um die Anerkennung und Wahrnehmung der Adoptivfamilien. Was uns wieder zu den Fallzahlen bringt, die sind zu gering. So schließt sich der Kreis.

Doch nicht nur bei der Förderung von Adoptionskosten, die vor allem bei einer Auslandsadoption ins Kontor schlagen, spürt man mangelnde Erfahrung und Anerkennung aufgrund niedriger Fallzahlen. Es gibt genügend Beispiele, in denen Adoptivfamilien benachteiligt werden. Das gilt für alle Adoptivfamilien, egal ob nach einer Inlands- oder Auslandsadoption. So etwa bei der Rente. 2014 gab es eine Neuregelung der Mütterrente. Da hier die sogenannten Kindererziehungszeiten, die für die Rente zählen, Stichtagsbezogen auf die Geburt des Kindes angerechnet werden, hat das zur Folge, dass Adoptivmüttern, die ein Kind mit drei Jahren oder älter in die Familie aufnehmen, keine Erziehungszeiten angerechnet werden. Sie erhalten folglich später weniger Rente. Rentenexperten kommentieren das mit dem Hinweis, dass es um eine pauschale Anerkennung gehe, es aber in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommen kann. Also, Einzelfälle oder zu geringe Fallzahlen.

Auch die Versicherungswirtschaft misst bei Adoptivkindern mit zweierlei Maß. Nicht selten sind erhebliche Risikozuschläge bei der Versicherung des Kindes zu erwarten, da Risiken versicherungswirtschaftlich nicht einschätzbar sind. Denn unter Umständen fehlen die kompletten ärztlichen Begleitakten von Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft bis hin zu aussagekräftigen Geburtsberichten usw. Auch hier könnte es bei den Versicherern eine andere Sensibilität geben. Doch wieder sind die Sachbearbeiter restlos überfordert, da die Fallzahlen fehlen.

Richtig, der absolut überwiegende Anteil unserer Bevölkerung steht einer Adoption positiv gegenüber. Aber solange nur die Kosten für eine reproduktionsmedizinische Behandlung steuerlich geltend gemacht werden können, scheint die Politik an Adoptionen kein Interesse zu haben. Oder es fehlt die Lobby. Denn es sind zu wenig Fallzahlen.