Mein ursprünglicher Plan während des Adoptionsprozesses war es, nach einem Jahr Elternzeit in Teilzeit in meinen alten Beruf zurückzukehren. Unser Kind würde dann wahrscheinlich soweit sein, in den Kindergarten zu gehen. Meine Schwiegermutter lebte im Haus nebenan. Sie freute sich auf ihr Großmutterdasein in vollen Zügen. Somit wog ich mich in Sicherheit, mein Kind auch in der Zeit, in der ich wieder arbeiten würde, in wohlwollenden fürsorglichen Händen zu wissen. Außerdem war ich noch in dem naiven Glauben, dass die „Päckchen“, die unser Kind mitbringen würde, nach einem Jahr bei uns geheilt wären.
Doch dann kam alles anders. Allen voran kehrten wir aus Russland mit zwei Kindern zurück, und nicht nur mit einem. Das war eine wunderbare Fügung des Schicksals, für die ich ewig dankbar bin. Dennoch erhöhte das auch den Aufwand in jeder Form. Allein Nadeschda war noch sehr klein und es würde Jahre dauern, bevor sie in den Kindergarten gehen könnte. Beide Kinder kamen mit unterschiedlichen medizinischen Diagnosen zu uns und brauchten unterschiedliche ärztliche und therapeutische Unterstützung. Das bis heute. Sich darum zu kümmern und meine Kinder durch die medizinische und therapeutische Hilfe zu begleiten, wollte und konnte ich niemandem Dritten überlassen. Grundsätzlich wurde ich mir mit dem meinem Hineinwachsen in meine Mutterrolle immer mehr bewusst, dass meine Kinder auch über die ersten ein bis zwei Jahre hinaus, ein vieles mehr an „Mutter“ brauchten. Ich begann, dies als meine neuen Verantwortung und Aufgabe anzunehmen. Und im gemeinsamen Leben und Erleben meiner Kinder erschien mir zunehmend die klassische Berufswelt und vor allem auch mein alter Job als sinnentleert. Hier Zuhause hatte ich eine sinnstiftende Verantwortung.
Zudem starb im Verlauf des ersten Jahres, nachdem Maxim und Nadeschda zu uns kamen, meine Schwiegermutter. Mögliche Betreuungsmodelle wurden damit brüchig, weitere familiäre Unterstützung war nicht vorhanden. Auch verselbstständigte sich das klassische Rollenmodell, auf das Richard und ich uns für das erste Jahr nach der Adoption geeinigt hatten – er arbeitete Vollzeit weiter, ich blieb zuhause bei den Kindern. Es war irgendwann sehr bequem, dass ich mich voll und ganz um die Kinder kümmerte und er seinem Beruf nachging (Vaterglück). Bis zu dem Punkt, dass eine Arbeitsteilung der Kinder kaum noch in Frage kam. Dass er zum Beispiel morgens die Kinder für die Schule fertig macht, steht nicht zur Diskussion. Sehr zur Verwunderung anderer Mütter. Neulich sprach ich mit einer Freundin und mitten im Gespräch sagte sie: „Ach, deshalb stehst Du immer so früh auf. Ich habe mich schon gewundert. ich dachte immer, wenn Richard die Kinder in die Schule bringt, dann macht er sie auch morgens fertig.“
Allen voran jedoch habe ich zwei Kinder, die so wunderbar ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren auch gewesen ist, deren emotionaler Bedarf nach Sicherheit, Verlässlichkeit, Halt und Fürsorge immer noch ein „Fass ohne Boden“ ist. Meine Präsenz gibt ihnen diesen Halt. Auch wenn inzwischen gemeinsames Spielen, Basteln, Kochen, Ausflüge weniger und abgelöst werden von Spielverabredungen mit anderen Kindern, so ist es wichtig, dass ich dennoch da bin. Ich muss diejenige sein, die für sie auch die Übergänge von einer Aktivität zur anderen mit gestaltet. Ich muss sie zum Turnen bringen, ich muss sie von der Musikschule abholen. Tue ich es einmal nicht, beginnen die Beziehungsanfragen von neuem.
Natürlich gibt es Familienmodelle, wo auch mit bedürftigen Kindern die Adoptivmutter arbeiten kann. In den Familien, die ich kenne, ist es dabei meist so, dass der Vater so arbeitet, dass er einen Teil der Aufgaben zuhause mit übernimmt und dass es eine rührige Großmutter gibt, die die Kinder mit umsorgt, wenn nicht sogar einen Teil der Hausarbeit erledigt. Würde Richard abends um fünf nach Hause kommen und einen Teil der Freizeitaktivitäten der Kinder mit abdecken und hätte ich eine Mutter oder Schwiegermutter, die meine Kinder manchmal zum Ballett und zum Fussball begleitet, die einkauft und die Wäsche macht, dann könnte ich mir eine Berufstätigkeit zumindest organisatorisch vorstellen. Aufgrund unserer Lebensumstände, in denen Richard Karriere macht und wir keine treusorgende Großmutter mehr haben, bleibt meine Berufstätigkeit Theorie.
Heute nach einigen Jahren habe ich gelernt, dass ich nur in dem Umfang einem Beruf nachgehen kann, der in die Freiräume, die mir meine Kinder – durchaus zunehmend – lassen, passt. Und der flexibel genug ist, dass ich ihn den Bedürfnissen meiner Kinder anpassen kann. Sind sie krank, muss ich da sein; brauchen sie in der Schule über die Hausaufgaben hinaus mehr Unterstützung, muss ich ihnen helfen; benötigen sie therapeutische Hilfe, muss ich sie dadurch begleiten; brauchen sie ein „Mehr an Mama“, muss ich es ihnen geben. Egal wie. Und alles andere muss hinten anstehen.
Vor ein paar Jahren hat eine Adoptionsberaterin auf einem Vortrag gesagt: „Mit einem hochproblematischen Adoptivkind, vergessen Sie es zu arbeiten.“ Nun habe ich keine hochproblematischen Adoptivkinder, sondern beide haben einfach besondere Bedürfnisse. Aber dennoch es sind zwei. Habe ich vor ein paar Jahren noch bei diesem Ausspruch gedacht: „Was für ein Unsinn.“, so muss ich heute zugeben: „Irgendwie hat sie (leider) recht.“