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30. November – schlechte Muttergefühle

Maxims Wutanfälle halten an, täglich, mehrmals. Kleinste Dinge bringen ihn in Rage. Danach bleibt jedesmal in mir das Gefühl zurück, eine schlechte Mutter zu sein. Zu oft in den vergangenen Tagen. Ich fühle mich unzufrieden, unzulänglich und unglücklich.

Seitdem ich nach Nadeschdas Biopsie meinen Organisationsmodus wieder verlassen habe, spüre ich, wie sehr mich meine Mutterrolle anstrengt und wie sehr ich daran zweifle, diese gut auszufüllen. Die Tobsuchtsanfälle von Maxim nehmen zu. Ich habe immer weniger Geduld, damit gelassen umzugehen, und reagiere nicht immer adäquat. Danach fühle ich mich schlecht und ausgelaugt. Vor allem in der Zeit bis zum Mittagsschlaf nach dem Kindergarten ist es sehr schwierig, mit Maxim umzugehen. Die Szenen, die sich hier am Mittagstisch abspielen, haben wenig von einem glücklichen und harmonischen Familienalltag. So wie heute ist Maxim oft wütend und unzufrieden, kann aber seiner Frustration nur in Wutanfällen Ausdruck verleihen. Meist bin ich das Ziel seiner Übergriffe, doch manchmal lässt er auch seinen Frust und seine Wut, wo auch immer sie herkommen, an seiner kleinen Schwester aus. Egal gegen wen sich sein Zorn richtet und wie er ihn zeigt, ich steige immer wieder auf seine Tanzeinladung ein. Auszusteigen gelingt mir meistens nicht, und danach fühle ich mich nur noch schlechter. Ich zweifle daran, dem Alltag mit diesen zwei Kindern gewachsen zu sein, fühle mich überfordert und allein gelassen.

Auch Richard kann mir nicht helfen, geschweige denn habe ich das Gefühl, dass er mich überhaupt versteht. Zudem bleibt unsere Paarbeziehung ohnehin immer mehr auf der Strecke. Zeit alleine haben wir nicht und nehmen sie uns auch nicht. Immer mehr macht sich bei mir der Eindruck breit, dass ich auch Richards Wünschen und Erwartungen an mich als Ehefrau und Mutter seiner Kinder nicht gerecht werde. Wenn wir als Familie zusammen sind, sind wir alle angespannt und angestrengt. Richards Versuche, mir zu helfen, setzen mich nur noch mehr unter Druck. Oder ich verstehe sie als eine weitere persönliche Kritik. So dreht sich meine Frustrationsschraube immer weiter nach unten. Irgendwie habe ich mir das Muttersein anders vorgestellt.

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24. November – Ernährungsumstellung

Wir richten uns nun endlich in unserem neuen Alltag ein, der bestimmt wird von Maxims Besuchen im Kindergarten und Nadeschdas Ernährungsumstellung. Richard und ich haben gemeinsam an einem Wochenende all unsere Vorratsschränke durchforstet und aussortiert, die gesamte Küche geputzt, damit alle Glutenrückstände aus den Schränken verschwinden und mit einem Großeinkauf unsere Vorräte um glutenfreie Nahrung aufgerüstet. Seitdem übe ich mich im Zubereiten von glutenfreier Nahrung. Der Einfachheit halber haben wir nicht nur Nadeschdas Ernährung umgestellt, sondern folgen dem neuen Speiseplan als ganze Familie. Beide Kinder machen das überraschend gut mit. Wurst haben wir durch Schinken und gebratenes kaltes Fleisch ersetzt. Nudeln gibt es jetzt in einer glutenfreien Variante, die Maxim allerdings nicht mehr so gut schmecken. Das wiegen dafür die vielen Variationen von Kartoffelgerichten auf, ergänzt durch Milchreis und Maispolenta. Was Maxim liebt. Nadeschda isst das nur bedingt, aber sie ist begeistert von unserem selbst gebackenen Brot mit viel Butter, sehr viel Butter und wagt sich langsam an Schinken und Hühnerfleisch heran. Auch Obst isst sie in pürierter Form in steigenden Mengen. Und Omas klare Suppen liebt sie ohnehin. Vielleicht merkt sie schon, nach nur wenigen Tagen, dass es ihr besser geht. Ihre Laune ist deutlich fröhlicher geworden, die Bauchschmerzen nach den Mahlzeiten werden immer weniger.

Gestern waren wir zum Erstgespräch bei der Ernährungsberaterin. Sie untersuchte und spielte mit Nadeschda und gab uns noch einmal umfängliche Informationen, was sie essen darf und was nicht. Vorübergehend sollen wir auch die Milch durch lactosefreie Milch ersetzen. Und ich soll in den nächsten sechs Wochen ein Ernährungstagebuch für Nadeschda führen. Es tat gut, mit jemandem zu sprechen, der einem wirklich konkret helfen kann und will, und einen nicht nur mit medizinischen Diagnosen mehr oder weniger hilflos sitzen lässt. Das Gespräch machte mich zuversichtlich, die Ernährungsumstellung zu schaffen.

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20. November – Amtserfahrungen Teil 2 – Die richterliche Anhörung

Als hätten wir keine andere Sorgen und Herausforderungen im Moment, fand zu allem Überfluss gestern die Anhörung beim Richter am Amtsgericht statt. Eine Verschiebung des Gesprächs war nicht zulässig. Hoffentlich war es nun der letzte Termin, damit endlich die Adoption von Maxim und Nadeschda in Deutschland anerkannt wird. Durchaus Kleinkind freundlich mittags um zwei Uhr. Der Mittagsschlaf musste also ausfallen und ich durfte mich auf einen harmonischen Nachmittag mit zwei unausgeschlafenen Kindern gefasst machen. Meine Begeisterung und Vorfreude waren riesig. Meine Wut und Anspannung entlud sich dann schon im Parkhaus am Gericht, als ein speckiger Mittsechziger in seinem dicken Jaguar mir den letzten freien Mutter-Kind Parkplatz wegnahm. Am liebsten wäre ich ausgestiegen und hätte ihm eine runter gehauen, doch ich beließ es bei einem bissigen Kommentar –  ob er selbst noch im Kinderwagen fahren würde – und einer Beschwerde bei der Parkhausaufsicht. Nachdem Richter Schwarz uns dann auch noch eine halbe Stunde warten ließ, war meine Laune auf ihrem Höhepunkt. Maxim und Nadeschda nahmen das alles mit überraschender Gelassenheit. Die langen Amtsflure luden zum Herumrennen ein, und irgendeine  Beamtin, die Mitleid mit der Langeweile unserer Kinder hatte, lud sie in ihr Büro ein, wo Maxim seine ersten Experimente mit Tacker und Locher machte.

Als wir endlich dran waren, saßen wir in einem karg möblierten und peinlich ordentlichen Büro einem jungen etwas verklemmt wirkenden Richter Schwarz gegenüber. Wie sollte es anders sein, auf unsere freundliche aber kritische Anmerkung zur Uhrzeit des Termins kam die wie immer routinierte Antwort, dass er für die Terminvergabe nicht zuständig sei. Nun gut, wir stiegen sachlich in das Gespräch ein, doch schon bald sah sich Richter Schwarz veranlasst, seine Kompetenzen klar abzustecken, die russische Rechtsprechung anzuzweifeln und damit seine intensive und akribische Überprüfung unserer Unterlagen und aufwendige Kontrolle unseres Adoptionsprozesses zu legitimieren. Ähnlich der Befragung des russischen Amtskollegen vor nun mehr als vier Monaten, rollte er das ganze Verfahren noch einmal auf. Warum wir zwei Kinder adoptiert haben, wie der Prozess abgelaufen ist, ob man uns über die medizinischen Risiken der Kinder aufgeklärt habe, wie oft wir die Kinder vor der russischen Gerichtsverhandlung gesehen haben, etc. , etc., etc. Sein Verhör dauerte bald eine Stunde. Maxim und Nadeschda nahmen in der Zeit ohne jegliche Berührungsängste das Büro des Richters auseinander, öffneten Schränke, zogen Schlüssel ab, spielten mit Tacker und Locher, durchwühlten den Papierkorb, Maxim malte mit seinen Kugelschreibern. Ich ließ meine Kinder gewähren, in der Hoffnung, damit die Befragung zu beschleunigen. Doch interessanterweise ließ sich Richter Schwarz durch die zunehmende Verwüstung in seinem ursprünglich penible aufgeräumten Büro in keiner Weise irritieren. Nach einer Stunde hatten Richard und ich all seine Fragen zu seiner Zufriedenheit beantwortet. Denn fast mit einem Lächeln im Gesicht schloss Richter Schwarz unsere Akte und verkündete, dass er in den kommenden Tagen nun das Urteil zur Anerkennung der Adoption von Maxim und Nadeschda ausstellen werde. Damit dürften wir dann endlich die deutsche Staatsbürgschaft und deutsche Pässe für unsere Kinder beantragen. Doch Stolz und Freude wichen schnell wieder aus seinem Gesicht. Denn Richard zog lächelnd die zwei deutschen Kinderpässe von Maxim und Nadeschda aus seiner Jackentasche und sagte nur: „Die haben wir schon.“

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18. November – Nadeschdas Diagnose bestätigt sich

Ein kurzes Wort vorab: Die Welt stand ein paar Tage still in Trauer und Anteilnahme nach den erschreckenden Ereignissen in Paris. Dem wollte auch ich folgen, und veröffentliche erst jetzt wieder die kommenden Beiträge meines Adoptionstagebuchs. Technische Irritationen bitte ich zu entschuldigen….

Die Ergebnisse der Biopsie liegen uns seit zwei Tagen vor. Jetzt haben wir die Gewissheit: Nadeschda leidet an Zöliakie. Was auch immer das für unseren Familienalltag heißen wird und für Nadeschdas weitere Entwicklung, für Richard und mich schwingt vor allem Erleichterung mit. Denn wir können endlich handeln. Wir müssen nun nicht mehr tatenlos mit zusehen, wenn sich unsere Tochter vor Schmerzen windet. Vielleicht schaffen wir es sogar das tägliche Drama um die Mahlzeiten herum zu beenden. Doch am meisten sind wir froh, dass bei Nadeschda die Krankheit so rechtzeitig erkannt worden ist, dass wir weitere Gedeih- und Wachstumsstörungen zu ihrer ohnehin schon verzögerten Entwicklung jetzt verhindern können. Nach letztendlich wenigen Wochen der Unsicherheit und der Sorge hatten wir wieder einmal Glück gehabt und waren für Nadeschda mit einer relativ glimpflichen Diagnose davongekommen. Ja, wir würden lernen müssen, uns ein Leben lang auf diese Krankheit einzustellen, aber die Veränderungen, die wir hierfür anstreben müssen, hielten sich im Bereich des Machbaren.

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13. November – Maxims Sprachlosigkeit

Maxim spricht immer noch nicht. Inzwischen haben wir uns im Alltag damit überraschend gut arrangiert. Er ist Meister der non-verbalen Kommunikation und hat es mittlerweile perfektioniert uns wissen zu lassen, was er gerade braucht oder will. Genauso verstehen wir seine wortlose Kommunikation mit jedem Tage besser. Vielleicht ist es ein Fehler, sich auf seine Sprachlosigkeit einzulassen und damit einen Umgang zu finden. Denn so schwindet für Maxim der Anreiz, überhaupt einmal an den Punkt zu kommen zu sprechen. Es besteht für ihn kaum eine Notwendigkeit sich anders als mit Mimik und Gestik auszudrücken, wenn er merkt, dass wir jeden Tag besser mit seiner Sprachlosigkeit umgehen können und dieser Zustand für uns immer mehr zu einem Stück Normalität wird. Auf der anderen Seite wissen wir, dass es für ihn genügend andere emotionale Herausforderungen und Anpassungsaufgaben gibt, die sein Sprechen lernen auf seiner Prioritätenliste nach unten schieben. Dennoch, in seinem non-verbalen Mitteilungsdrang spüren wir genauso, dass Maxim ein immer stärkeres Bedürfnis hat, sich auch anders auszudrücken. Denn gerade in Situationen, in denen wir ihn nicht sofort verstehen, spüren wir die Frustration in ihm aufsteigen, die sich in unkontrollierten Wutausbrüchen entlädt. Danach wird sein Blick starr und leer, seine ganze Körperhaltung hölzern und steif. In den vergangenen Tagen, seitdem Maxim nun den Kindergarten besucht, haben sich diese Situationen gehäuft. Es brodelt in ihm, und dennoch kann er seinem inneren Chaos keinen Ausdruck verleihen. Er kann sich nicht mitteilen, weder ohne Worte geschweige denn mit. Sein innerer Druck kann sich kaum entladen und wird für ihn zuweilen unerträglich. Der einzige Weg, ihm im Moment zu helfen, ist viel, sehr viel Bewegung. Unser therapeutisches Spazierengehen steht wieder täglich auf der Agenda. Dank Laufrad oder Roller und Kinderwagen laufen wir viele, viele Kilometer jeden Tag, egal wie gut oder schlecht das Wetter ist. Wenn ich meinen Sohn dabei beobachte oder sehe, wie mutig er inzwischen auf dem Spielplatz turnt und klettert, dann kommt es mir vor, als würde er versuchen, seine Sprachlosigkeit durch außergewöhnliche motorische Fortschritte zu kompensieren. Ich frage mich jedoch, wie lange das noch so gut geht. Noch können wir seine Frustration, sich nicht mitteilen zu können auf diese Art und Weise auffangen. Doch er wird auch im Kindergarten langfristig nicht mit seinem beharrlichen Schweigen durchkommen. Damit steigt das Potenzial von zusätzlichem Druck und Stress für ihn, der sich irgendwie entladen muss. Mit der oberflächlichen Erleichterung, mich nun vormittags für drei Stunden nur um ein Kind kümmern zu müssen, bahnen sich gleichzeitig neue Herausforderungen an, die den gewonnenen Freiraum mehr als aufwiegen.

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11. November – Nadeschdas Biopsie

Mit jeder neuen Erfahrung wird man gelassener. Vermeintlich. Manchmal zumindest. Und ich spüre, wie ich immer dann, wenn ich unter Druck gerate und die Anspannung nahezu unerträglich wird, in meinen Organisationsmodus verfalle. Dies scheint meine Überlebensstrategie zu sein. Sie war es auch, die mir durch die zurückliegenden 24 Stunden geholfen hat. Jetzt, da ich abends hier Zuhause wieder sitze und schreibe, merke ich, dass auf die weichende Anspannung die totale Erschöpfung folgt. Ich bin müde und erschlagen, kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Aber nun gut, morgen ist ein neuer Tag und vielleicht kehrt etwas Energie nach einer ruhigen Nacht zurück. – Seit heute mittag sind Nadeschda und ich aus dem Krankenhaus zurück. Gestern morgen fand ihre Biopsie statt. Zur Sicherheit blieben sie und ich für eine Nacht zur Beobachtung in der Kinderklinik. Oberflächlich betrachtet ist alles gut gelaufen, ohne Komplikationen. Doch unter der Oberfläche waren die vergangenen zwei Tage eine harte Geduldsprobe.

Ein Taxi brachte Nadeschda und mich gestern morgen in die Kinderklinik. Nach der Aufnahme auf der Station richtete ich Nadeschda und mich in unserem Zimmer häuslich ein. Stumm ließ sie alles geschehen. Wenn sie Angst hatte, dann zeigte sie es nicht. Denn weder weinte sie, noch klammerte sie sich an mich. Was sie für gewöhnlich tat, wenn ihr Situationen fremd und nicht geheuer waren. Danach zog ich sie für den Eingriff um und gab ihr das Beruhigungsmittel, das die Schwester mir gebracht hatte. Brav ließ sich Nadeschda in ihr Bett legen und dämmert schnell vor sich hin. Nur meine Hand hielt sie ganz fest. Selbst die Fahrt in ihrem Bett in den Behandlungsbereich bekam sie nicht mehr mit. Dort empfingen uns der Kinderarzt und der Anästhesist mit zwei Schwestern, die unmittelbar routiniert, professionell und zügig begannen, den Eingriff vorzubereiten. Es mutete fast nach Fließbandarbeit an. Nadeschda wurde auf den Behandlungstisch umgebettet, verkabelt, der Zugang gelegt und die Narkose verabreicht. Ich durfte in einer Ecke des Raums Platz nehmen und von dort beobachten. Ständig hatte ich das Gefühl, dass Nadeschda gleich wieder aufwachte, in die Augen des mit Mundschutz maskierten Kinderarztes entsetzt starren und laut anfangen würde zu brüllen. Doch sie war in eine andere Welt geschickt worden, in der sie von all dem, was man ihr nun durch den Mund einführte nichts mitbekam. Der Anblick der Untersuchung, meines schlafenden Kindes, mit der Mikrosonde in seinem Bauch und der kleinen Zange am Kopf des Endoskops, die sich zügig die Gewebeproben aus Nadeschdas Darm nahm, war für mich nur schwer zu ertragen.  Ich hatte ein Kratzen im Hals, ein Rumoren in der Bauchgegend und musste gegen ein immer wiederkehrendes Bedürfnis zu Würgen ankämpfen. Es schien, als würde ich mich an meiner Tochter statt innerlich gegen die Instrumente in ihrem Körper wehren. Als für mich der Moment des Unerträglichen gekommen war, und ich mich hart kontrollieren musste, nicht in die Untersuchung einzugreifen, zog der Kinderarzt das Endoskop wieder aus Nadeschdas Körper, kontrollierte die Monitore und erklärte die Biopsie für abgeschlossen. Einen ersten Befund würde er uns auf unserem Zimmer geben. Alle verließen den Raum, nur eine Schwester blieb bei uns und wartete mit mir, bis Nadeschda wieder aufwachte. Die Minuten schlichen dahin und schon machte sich erneute Sorge bei mir breit, diesmal, dass mein Kind nun gar nicht mehr aufwachen würde. Doch wenige Augenblicke später machte Nadeschda die Augen auf. Sie guckte mich ungläubig an, starrte im Behandlungsraum umher und begann verunsichert zu weinen, als sie den Zugang an ihrem Handgelenk entdeckte. Ich versuchte sie unbeholfen zu trösten, aber sie ließ sich wieder zurück in ihr Bett fallen, drehte sich um, und schlief jammernd wieder ein. Behutsam brachte die Schwester uns nach einer Weile zurück in unser Zimmer. Nadeschda schlief weiter einen unruhigen Schlaf. Ob dies die Nachwirkungen der Narkose waren? Ob es Schmerzen waren, die sie doch quälten? Ob es alte Erinnerungen an vorangegangene Krankenhausaufenthalte waren, die durch die Kinderklinik wieder wachgerufen worden waren? Oder lediglich die körperliche Erschöpfung von den Medikamenten? Ich saß in unserem Zimmer, beobachtete sorgenvoll meine schlafende Tochter und wartete, während mich die Angst umtrieb, wie sie den Eingriff nun überstanden hatte. Der Kinderarzt riss mich aus meinen Gedanken. Die Biopsie sei gut verlaufen, Schmerzen im Darm dürfte Nadeschda nicht haben, ihr unruhiger Schlaf sei nur die Nachwirkung der Narkose und der körperlichen Erschöpfung aus dem Eingriff. Dies sollte sich aber nach ein bis zwei Stunden legen. Viele Auffälligkeiten habe er in Nadeschdas Darm nicht gesehen. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass die Zöliakie noch nicht weit fortgeschritten und damit auch schnell in den Griff zu bekommen sei. Sollte sich Nadeschda nun in den nächsten Stunden von dem Eingriff erholen, dürften wir morgen wie geplant wieder nach Hause.

Nach gut zwei Stunden wachte Nadeschda auf. Immer noch guckte sie ungläubig im Zimmer umher. Der Zugang störte sie. Doch sie schien schnell zu verstehen, dass es zwecklos war, sich gegen ihn zu wehren, geschweige denn ihn selbstständig herauszuziehen. Bald ließ sie von ihm ab und schien sich ihm wie auch ihrem Schicksal mit mir in diesem Krankenhauszimmer zu ergeben. Zum Glück kamen bald Richard und Maxim zu Besuch. Und wir vier taten das, was wir immer in emotional angespannten Situationen taten: Spazierengehen. Wir zogen Nadeschda warm an, legten sie mit einer Decke in den Kinderwagen. Maxim hatte sein Laufrad dabei und so erkundeten wir die Umgebung um das Krankenhaus. Die frische Luft tat uns allen gut. Abends durfte Nadeschda wieder etwas essen und vor allem ihre Milch trinken. Fast glücklich und vor allem erschöpft schlief sie früh ein. Die Nacht verlief ruhig. Und nachdem Nadeschda wieder Stuhlgang und kein Fieber bekommen hatte, durften wir heute mittag zurück nach Hause. Der Termin für die Befundbesprechung würde in fünf Tagen stattfinden.