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29. Februar -Maxims Sprachlosigkeit (reloaded)

Nadeschdas Zahnschmerzen haben sich zum Glück  wieder gelegt. Nach zwei weiteren schlafunterbrochenen Nächten mit leichtem Fieber, ist sie zu ihrem normalen Schlafrhythmus zurückgekehrt und so finde auch ich eine durchgängige Nachtruhe. Die zwei Backenzähne kann ich inzwischen erfühlen, aber ganz durchgebrochen sind sie noch nicht. Wir müssen uns also wohlmöglich auf weitere Zahnschmerzen einstellen. Ohne Schmerzen und mit ausreichend Schlaf ist das Leben für und mit Nadeschda wieder friedlich und harmonisch. Ihre Launen haben sich deutlich gebessert, was auch wenig verwunderlich ist. Was bleibt, sind ihre Verlustängste und ihre Anhänglichkeit.

Maxim macht mir hingegen immer mehr Sorgen. Trotz der wöchentlichen Therapiestunden bei Frau Schuster spricht er immer noch nicht. Wohlmöglich bin ich zu ungeduldig. Denn letztendlich besuchen wir sie erst seit sechs Wochen. Auch wenn meine Ungeduld sich immer wieder durchsetzt, so weiß ich auf der rationalen Ebene, dass es nicht mit zehn Terminen, die das erste Rezept vorsieht, getan sein wird. Zumal Maxim sich in seinem Umfeld wohlmöglich nicht sehr sicher fühlt – es ist unbenommen, dass er unter der Belastung von Renates Krankheit, ihrer Abwesenheit und unseren Sorgen leidet, auch wenn wir versuchen, dies nach wie vor so gut es geht, wegzuschieben. Vielleicht spürt er, dass wir – obwohl die Operation von Renate gut verlaufen ist und sie bald nach Hause kommt – noch nicht am Ende dieses Weges angekommen sind. Wie soll er sich selbst verändern, wenn die Veränderungen um ihn herum schon belastend genug für ihn sind? Hinzukommt, so mein Gefühl, dass er sich im Kindergarten nicht wohl fühlt. Gerade durch den Kontrast der Tage, wenn wir bei Frau Schuster sind und er nicht in den Kindergarten geht, an denen er zwar müde, aber irgendwie fröhlich und ausgeglichen wirkt – der Dienstag ist meist der Tag ohne einen einzigen Tobsuchtsanfall – wächst in mir der Eindruck, dass irgendetwas im Kindergarten nicht richtig oder zumindest nicht gut für ihn läuft. Da Maxim sich nicht mitteilt, beziehungsweise sich nur über seine Launen mitteilt, seine Erzieherinnen mir aber immer wieder sagen, dass alles in Ordnung ist, bleibt bei mir nur ein dumpfes Gefühl zurück.

Da ich mein Betreuungsproblem noch nicht gelöst habe, mit jedem Tag es aber dringlicher wird, dass ich etwas für mich und meine Kinder tue, habe ich mich entschlossen, uns dreien eine Auszeit von unserem Alltag hier zu gönnen. Wir werden Katharina für ein paar Tage besuchen. Auch wenn ich Respekt vor der Reise habe – ich alleine für mindestens vier Stunden mit den Kindern im Auto -, so glaube ich doch, dass uns der Tapetenwechsel gut tun wird. Ich hätte schon viel früher auf die Idee kommen sollen. Hatte ich nicht am Ende des Jahres schon gespürt, wie gut es tat, eine vertraute Freundin um einen herum zu haben, die allein durch ihre Anwesenheit entlastet? Hatte ich die Erfahrung des Besuchs von Rieke und Nils im Januar vergessen, wie erleichternd es war, sich mit lieben Menschen zu umgeben, die einen auch ohne Worte verstanden?

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24. Februar – Sorgen um Oma (Teil 3)

Renate hat ihre Operation gut überstanden. Ein Wunder, wenn wir daran denken, dass vor zehn Tagen noch niemand sicher sein konnte, dass sie die nächste Nacht überlebt. Noch einmal hat sie riesiges Glück gehabt. Denn nachdem sich keine Metastasen gebildet hatten und keine weiteren Organe befallen waren, konnte der Professor in der Operation den Tumor gut großflächig entfernen und musste nur einen Teil der danebenliegenden Lymphknoten mit entfernen. Wir können es noch nicht ganz glauben. Aber nach drei Wochen scheint sich alles zu einem Guten zu wenden. Der Professor gibt Renate nach Chemotherapie und Bestrahlung gute Prognosen, dass sie den Krebs vollständig überwinden wird. Sie selbst scheint ihr Schicksal angenommen zu haben und ist bereit, den ihr vorbestimmten Weg zugehen und die Strapazen, die die nächsten Monate mit sich bringen werden, auf sich zu nehmen. Richard hat inzwischen eine Pflegerin gefunden, die ab Anfang März, wenn Renate aus dem Krankenhaus entlassen wird, sie erst einmal Zuhause begleiten wird.

Maxim und Nadeschda haben gelernt, dass die Oma nicht verschwunden, sondern nur vorübergehend im Krankenhaus ist, und bald wieder nach Hause zurückkehren wird. Ich habe mich ein Stück weit in das Schicksal gefügt, dass uns in den kommenden Wochen und Monaten erwarten wird. Wie immer im Leben, mit jedem Tag sind die Herausforderungen ein Stück leichter zu ertragen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sie annimmt und sie nicht mehr so schwer wiegen, sondern sie zu einer Normalität werden. Es fühlt sich an, als sähen wir doch ein Licht am Ende des Tunnels. Wenn die Monate der Chemotherapie und Bestrahlungen vorbei sind, werden wir sehen, wie wir uns in unserem Leben mit einer mehr oder weniger pflegebedürftigen Großmutter einrichten werden. Hatte ich in den vergangenen Wochen oft das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wie es weitergehen sollte, so wusste ich jetzt einmal mehr: Es geht immer weiter, irgendwie!

Letztendlich halfen mir dabei Maxim und Nadeschda, ohne dass sie es erahnen konnten. Denn sie zwangen mich, jeden Tag weiterzumachen, meine eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse hinten an zu stellen. Meine beiden Kinder lehrten mich jeden Tag von neuem, dass sie das Wichtigste in meinem Leben waren. Sie diktierten meine Prioritätensetzung. Und die hieß: Maxim und Nadeschda an allererster Stelle zusetzen. Allein dieses Bewusstsein half mir. Zumindest für den Moment.

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15. Februar – Sorgen um Oma (Teil 2)

Noch immer ist Renates Zustand sehr schlecht. Die Krebsdiagnose hat sich erhärtet. Der Tumor ist recht groß und hat bereits die umliegenden Lymphknoten befallen. Doch es grenzt nahezu an ein Wunder, dass die Krebszellen noch nicht weiter gestreut haben. In Lungen und Leber sind bisher keine weiteren Krebsherde gefunden worden. Renates kritischer Gesundheitszustand ist daher vor allem auf Herzrhythmusstörungen zurückzuführen. Da sie so lange ihre Blutwerte und ihre Einstellung auf blutdrucksenkende Medikamente nicht hatte überprüfen lassen, ist ihr Herzrhythmus aus dem Ruder gelaufen. Sie schläft im Grunde die ganze Zeit, ist sehr schwach und bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen Leben und Tod. Erst wenn sich ihr Zustand stabilisiert hat, kann sie operiert werden.

Richard und ich sind immer noch in einem Funktionsmodus. Wir nehmen Renates Erkrankung von Tag zu Tag, mögen keine Prognosen abgeben, nicht die nahe liegende Zukunft planen. Wir wissen nicht wie es weiter gehen wird. Im Moment hoffen wir nur, dass alles gut geht, dass sich Renate erholt und bald operiert werden kann. Dennoch in stillen Momenten spüren wir, dass vor uns allen noch ein harter und steiniger Weg liegen. Nach der Operation werden Chemotherapie und Bestrahlungen folgen. Das wissen wir bereits. Was dies für uns als Familie bedeuten und welche Auswirkungen dies in unserem Alltag haben wird, können und wollen wir noch nicht absehen.

Ich weiß nicht, wie es Richard damit geht. Ich spüre bei dem Gedanken daran, wie sich mir der Hals zuschnürt, als hätte man mir einen Felsbrocken um das Genick gekettet, der mich langsam nach unten zieht. Doch auf der anderen Seite helfen mir Maxim und Nadeschda, mich nicht vollständig nach unten ziehen zu lassen. Denn ihnen gilt mein Leben. Für sie muss ich da sein. Meine Hauptaufgabe ist es, nun unseren Alltag so zu gestalten, dass er friedlich weiterläuft, auch mit der Belastung, dem Schmerz und den Sorgen um die Oma und einem Papa, der zur Zeit nicht so für seine Kinder da sein kann, wie er das gerne können möchte. Ich muss mein eigenes Kopfkino abschalten, um jeden Tag voll und ganz für Maxim und Nadeschda präsent zu sein. Ich muss ihnen die Stabilität geben, die um uns herum als Familie im Moment fehlt. Mehr denn je muss ich mich voll und ganz nur auf diese beiden, meine beiden Kinder konzentrieren. Das kostet auf der einen Seite Kraft, vor allem wenn keine Minute zum durchatmen bleibt. Auf der anderen Seite hilft es mir. Denn auch mir gibt die Tatsache, dass ich mehr als hundert Prozent und ohne Unterstützung für meine beiden Kinder da sein muss, Stabilität und eine klare Orientierung.

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9. Februar – Einschlafgedanken zu Nadeschda

Morgen feiern wir Nadeschdas zweiten Geburtstag. Gedankenverloren sass ich gerade an ihrem Bett und wartete, bis sie einschlief. Während ich ihre Hand durch ihr Gitterkettchen hielt, kam sie mir wieder so zart und verletzbar vor wie vor sieben Monaten als wir sie in Russland abgeholt hatten. Gleichzeitig ging mir durch den Kopf, wie sehr sie sich in diesem guten halben Jahr verändert hatte. Seit der Biopsie und ihrer Ernährungsumstellung hatte sie nun endlich begonnen, kräftig zuzunehmen, ihre Wangen waren rund und rosa, sie war gute fünf Zentimeter gewachsen, der erste Kleidergrößenwechsel stand an.

Nadeschda versuchte, ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder, immer mehr zu sprechen. Auch wenn es meist nur Gebrabel war, das selbst ich nur schwer verstand, so kamen doch jeden Tag neue Wörter dazu. Ihr Mitteilungsbedürfnis war frappierend. In ihrem Bewegungsdrang war sie selten zu halten. Klettern, Rutschen, Dreirad und Bobbycar fahren standen regelmäßig auf der Tagesordnung. Nachdem sie verständlicherweise beleidigt war, dass sie bei Maxims Turnstunden nicht mitmachen durfte, hatten wir begonnen, in eine Turngruppe für Kinder in ihrem Alter zu gehen. Mit riesiger Begeisterung half sie mir in der Küche; Backen und Kochen waren für sie das Größte. Im Grunde genommen grenzte es für mich nahezu an ein Wunder, wie schnell sie ihre Entwicklungsverzögerung aufholte. Sie war darin unermüdlich und äußerst hartnäckig. In ihr musste ein nicht ermüden wollender Kämpfergeist wohnen, der sie jeden Tag von neuem antrieb. Das war so großartig und wunderbar für mich zu beobachten. Es erfüllte mich mit tiefer Dankbarkeit und Demut, an dieser Entwicklung meiner Tochter teilhaben zu dürfen und zu merken, was alles für sie möglich ist. Sie schien inzwischen ein Stück weit hier angekommen zu sein. Mittlerweile forderte sie zunehmend mehr Aufmerksamkeit für sich ein.

Gegenüber ihrem Bruder zeigte  sie seit einiger Zeit so etwas wie Eifersucht. Gerade in den letzten Tagen war die erste halbe Stunde, nachdem wir Maxim vom Kindergarten abgeholt hatten, jeden Tag von neuem anstrengend. Kaum fiel die Haustür ins Schloss, ging Nadeschda auf ihren Bruder los; sie schubste, biss, schlug auf ihn ein. Selten mit einem konkreten Anlass. Ich war schockiert, ob der vielen Wut und Aggression, die sich in meiner Tochter angestaut zu haben schien, und an ihrem Bruder entlud. Es kam mir vor, als wohnten Engelchen und Teufelchen in ihr. Denn so jähzornig sie war, so liebreizend konnte sie keine viertel Stunde später wieder sein. Wenn sie sich beruhigt hatte, ging sie zu ihrem weinenden Bruder und streichelte ihm zärtlich über den Arm. Auf der einen Seite war mir bewusst, dass nun nach einem halben Jahr beide Kinder sich bei uns sicher genug fühlten, um all die Gefühle, die sie tief innen in sich vergraben hatten, herauszulassen.

Frau Schiffer hatte bei einem ihrer ersten Besuche erklärt, dass Adoptivkinder in der Regel spätestens nach einem halben Jahr aus ihrer Phase der Anpassung herauskommen. Dann ließen sie ihre Masken fallen. Länger als sechs Monate könnten sie ihre tiefen Verletzungen, Wut und Trauer selten unterdrücken. Vielleicht hatten wir diesen Punkt bei Nadeschda erreicht. Wenn ja, so war es ein gutes Zeichen, auch wenn mir nicht gefiel, dass Maxim darunter leiden musste. Auf der anderen Seite ging Maxim nun gute zwei Monate in den Kindergarten. Nadeschda hatte sich an unsere Vormittage alleine gewöhnt und genoss diese offensichtlich. Der Übergang mittags, wenn ihr Bruder wieder Zuhause war, gefiel ihr nicht. Jetzt musste sie mich mit ihm wieder teilen. Oder auch ihm gegenüber zurückstecken. Denn je nachdem in welcher Verfassung Maxim aus dem Kindergarten nach Hause kam, brauchte er und forderte er meine volle Aufmerksamkeit. Insofern musste ich nicht tiefenpsychologisch lange nachforschen, bis mir klar wurde, dass Nadeschda einfach eifersüchtig war. In diesem Moment der inneren Ruhe und Nähe zu meiner Tochter nahm ich auch dies als ein gutes Zeichen. Nadeschdas Eifersucht war Ausdruck ihrer engen Beziehung zu ihrem Bruder und auch zu mir als ihre Mutter, die sie nicht gerne teilen wollte.

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5. Februar – Sorgen um Oma

Die Ereignisse haben sich überschlagen. Renate ist seit gestern im Krankenhaus. Binnen 48 Stunden hat sich ihr Gesundheitszustand so verschlechtert, dass Richard handeln musste. Vorgestern Abend konnte sie nicht mehr die Treppe hinauf ins Schlafzimmer gehen. Erschöpft saß sie auf der untersten Treppenstufe und vermochte nicht mehr aufzustehen. Richard hatte dies durch ihr Wohnzimmerfenster gesehen. Er wusste, dass er etwas unternehmen musste, und Renate nicht hilflos auf der Treppe sitzen lassen konnte. Dies gepaart mit der Angst, welche Pandorabüchse sich für ihn und für uns als Familie öffnen würde.

Doch nach einem Moment des Haderns ging er zu seiner Mutter. In der folgenden Stunde entfaltete sich das ganze Drama, das meine Schwiegermutter schon seit Jahren mit sich herumgetragen und allen verheimlicht hatte. Oberhalb ihrer Brust wuchs ein Handteller großes Geschwür. Sie war nicht zum Arzt gegangen. Sie war schon seit Jahren nicht mehr beim Arzt gewesen, aus der Angst heraus, dass er dieses Geschwür entdecken könnte. Dass sie in den letzten Tagen all ihre Kräfte verloren hatte, wollte sie nicht damit in Zusammenhang bringen. Auch wenn sie in ihrem tiefsten Inneren wusste, dass sie nun ins Krankenhaus gehen musste, wollte sie das Ausmaß ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht wahrhaben. Sie wollte nicht sehen, was Richard in Sekunden realisierte: Sie hatte Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Das war selbst für Richard als Laien offensichtlich. Ein späteres Telefonat mit Marlene, die Internistin war, brachte als Ferndiagnose die erste Gewissheit. Sie empfahl, dass wir nicht das Wochenende abwarten, sondern dass Renate unmittelbar am nächsten Tag ins Krankenhaus eingeliefert werden sollte.

Als der Krankenwagen kam, versetzte das Maxim und Nadeschda in helle Aufregung. Sie waren nicht mehr von dem Fenster wegzubewegen, von wo aus wir den besten Blick auf Omas Haus hatten. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass die Oma krank sei und dass sie nun in ein Krankenhaus käme, wo man ihr helfe. Was davon ankam, kann ich nicht sagen. Maxim blickte mich nur stumm an, doch die Anspannung und Aufregung waren ihm ins Gesicht geschrieben. Auch wenn ich ruhig blieb, und mir selbst die Tragweite dessen, was gestern Abend ans Licht kam, bis zum jetzigen Moment nicht klar war, so spürte mein Sohn, dass etwas sehr Schlimmes mit der Oma passiert war. Das war nicht zu übersehen. Nachdem der Krankenwagen mit Renate und Richard ein paar Minuten später selbst mit dem Auto abgefahren waren, verbrachten die Kinder und ich einen ganz normalen Samstag. Oder eher gesagt, einen normalen Tag. Wir gingen einkaufen, machten ein paar Erledigungen und kochten. Wie immer war der Alltag mit den Kindern auf der einen Seite so fordernd – sie verlangen immer eine 100 prozentige Präsenz – und auf der anderen Seite so wohltuend. Ich spürte, dass ich nicht alleine war. Nein, meine beiden Kinder waren bei mir. Mich um sie zu kümmern, war meine allererste Priorität. Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht, geschweige denn anzufangen mir Sorgen zu machen.

Mit der Mittagspause spürte ich, dass die Ereignisse des Morgens Maxim und Nadeschda sehr beschäftigten. Sie waren ungewöhnlich müde, schliefen schnell ein und wachten spät wieder auf. Nach dem Aufwachen verlangte Nadeschda seit langem einmal wieder nach einer Flasche Milch. Maxim war überraschend anhänglich. Ständig wollte er auf meinen Arm und festgehalten werden. Er selbst schloss seine Ärmchen ganz fest um meinen Hals. Konnte ich ihn einen Moment nicht halten und musste ihn absetzen, fing er unmittelbar an zu weinen. Obst und Schokolade hoben seine Stimmung etwas. Doch wich er weiterhin nicht von meiner Seite. Wir malten nachmittags wieder einmal. Genauer gesagt, Maxim malte und Nadeschda war sein Sprachrohr. Denn nach dem zweiten Bild, nahm sie es vom Tisch – Maxim ließ sie überraschend gewähren – und fragte Maxim: „Oma?“ Er nickte eifrig und lächelte. Nadeschda trug Maxims Kunstwerk zu mir hinüber und gab es mir wieder mit einem „Oma!“. Während Maxim unermüdlich weiter malte – es entstanden noch drei weitere Bilder, eine Ausdauer, die ich selten bei ihm sah – hatte Nadeschda aus einer Schublade in der Küche ein altes abgelegtes Handy herausgezogen und lief damit „telefonierend“ herum. Ich verstand wenig von ihrem Gebrabel, doch immer wieder kam sie zu mir, hielt mir das Telefon ans Ohr und sagte: „Oma.“ Auch ich sollte mit der Oma sprechen. Ich war zutiefst gerührt. Ich selbst war nicht in der Lage, meinen eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, geschweige denn sie überhaupt hochkommen zu lassen und mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich war seit dem Vorabend wieder in meinem Funktionsmodus, in dem Sorgen, Ängste und Traurigkeit keinen Raum fanden. Um so mehr bewunderte ich Maxim und Nadeschda, wie sie so schnell ihren Weg gefunden hatten, sich mit dem Krankenhausaufenthalt ihrer Großmutter auseinanderzusetzen und die damit verbundenen Gefühle auszuleben.