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28. Oktober – Spannende Amtserfahrungen

Seit heute halten Maxim und Nadeschda ihre deutschen Pässe stolz in den Händen. Nein, das deutsche Amtsgericht hat ihre Adoption noch nicht offiziell anerkannt, was für die Ausstellung eines deutschen Passes erforderlich wäre. Im Gegenteil, der Richter lässt sich Zeit. Während uns der Richter mit Stellungnahmen und dem Nachfordern von Dokumenten auf Trab hält, läuft derweil die Aufenthaltsgenehmigung von Maxim und Nadeschda aus. Ich muss nun für sie eine „unbefristete Aufenthaltsgenehmigung“ besorgen. Zum Bedauern des zuständigen Beamten muss ich für diesen formalen Akt auch beide Kinder mit zur Ausländerbehörde nehmen, da er den physischen Nachweis braucht, dass Maxim und Nadeschda tatsächlich hier bei uns leben. Kinderfreundlich hört sich anders an. Immerhin gibt er mir einen festen Termin – vor zwei Tagen – , so dass ich mir kein Kinderbeschäftigungsprogramm für eine lange Wartezeit auf einem dunklen Behördenflur überlegen muss. Mit Ausnahme dessen, dass das Mobiliar und der Computer in seinem Büro neueren Datums sind, unterscheidet sich der kleine Raum, der vollgestopft ist mit Akten und in dem der Schreibtisch sich unter Papieren biegt, wenig von den Behördenräumen, die wir aus Russland kennen. Vor diesem Aktenchaos und mir gegenüber sitzt ein griesgrämiger Mittfünfziger, der mich und die Kinder über seinen Brillenrand taxiert. Ohrring und Bikerboots unter seiner Jeans lassen allerdings auf ein eher verwegenes Hobby schließen. Maxim ist alles andere als schüchtern und schleicht sich schnell hinter den Schreibtisch vor den Computer. Nadeschda hingegen hängt an mir und bleibt nur bei mir auf dem Schoß sitzen. Eine gefühlte Ewigkeit sucht dieser zuständige Beamte in seinem Computer nach Maxim und Nadeschda. Und kann sie nicht finden! Bei seinem Gemurmel „Das kann doch gar nicht sein.“ werde ich stutzig und ahne Schwieriges. Aufwendige Behördengänge, Anträge, Formulare sind das letzte, was ich jetzt noch brauche. Denn eigentlich will ich mich nicht mit deutscher Bürokratie herumschlagen, sondern mich vor allem um meine kranke Tochter kümmern. Für das Lösen von Beamtenproblemen fehlt mir zur Zeit schlicht und ergreifend die Energie.

Meine innerlichen Stoßgebete scheinen diesmal erhört zu werden. Denn nach ein paar behördeninternen Telefonaten, die Maxim und Nadeschda aber nicht in der Datenbank wieder auftauchen lassen, ruft der Beamte auf der Gemeinde unseres Wohnorts an. Dort teilt man ihm mit, dass man auch ohne die richterliche Anerkennung der Adoption und nach Rücksprache mit dem Jugendamt – die noch einmal bestätigt haben, dass die Adoption in Russland nach den Maßstäben der Haager Konvention durchgeführt wurde – bei beiden Kindern die doppelte Staatsbürgerschaft eingetragen habe. Deshalb sind ihre Namen aus der Datenbank für Ausländer mit Aufenthaltsstatus erloschen. Ich kann also zur Gemeinde fahren und deutsche Pässe für Maxim und Nadeschda beantragen. Ich bin verwirrt. Unser Beamter auch. Das ist ihm in all seinen Dienstjahren noch nicht passiert. Er schickt mich erst einmal aus seinem Büro raus, da er mit seinem Vorgesetzten nun das weitere Vorgehen abstimmen muss. Wahrscheinlich möchte er nicht, dass Maxim weiter seine Aktenberge inspiziert. Also warten wir nun doch auf einem dunklen Behördenflur vor seinem Büro. Der Vorgesetzte scheint ebenso irritiert zu sein, denn wenig später sehe ich ihn mit unserem Beamten in das nächste Büro gehen. Der Obervorgesetzte? Ich bin zunehmend irritiert. Und langsam beschleicht mich eine dumpfe Sorge, dass meine beiden Kinder ab dem Ende dieser Woche in einem illegalen Rechtsstatus bei uns leben werden. Nach einer viertel Stunde dann die Erlösung: Ich soll tatsächlich einfach zu unserer zuständigen Gemeinde fahren und mir die deutschen Pässe für Maxim und Nadeschda ausstellen lassen. Damit hätte ich ein offizielles Dokument, das die deutsche Staatsbürgerschaft der Kinder bestätigt. Und der Vorgang sei damit abgeschlossen. Ich kann es kaum fassen.

Ohne noch weiter viel nachzufragen, fahre ich zu unserer Gemeinde und beantrage die Pässe. Ich bin so sehr damit beschäftigt, nun Fakten zu schaffen, damit Maxim und Nadeschda nichts passiert, dass mir erst abends klar wird: Man hätte uns ja schon einmal über die doppelte Staatsbürgerschaft informieren können. Aber wahrscheinlich hatte da jemand etwas voreilig gehandelt. Und deshalb hängt man es nun nicht an die große offizielle Glocke. Auf der Gemeinde hat man uns schon erwartet. Ich mache es dringend, denn in zwei Tagen läuft die Aufenthaltserlaubnis aus. Das klappt auch, denn ein Kinderpass wird innerhalb von 24 Stunden ausgestellt. Ich bin ein erstes Stück erleichtert. Doch ruhig schlafen werde ich erst heute Nacht wieder, denn nun halten wir die physischen Pässe tatsächlich in unseren Händen. Und unser Richter am Amtsgericht kann sich von mir aus nun alle Zeit der Welt nehmen. Denn alle Einschränkungen, die eine fehlende Anerkennung der Adoption und damit verweigerte deutsche Staatsangehörigkeit mit sich gebracht hätten, sind nun für uns, für Maxim und Nadeschda aufgehoben.

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22. Oktober – Die Diagnose

Auf die emotionale Achterbahnfahrt, auf die mich meine Kinder immer wieder schicken, war ich nicht vorbereitet. Kaum konnten wir mit Blick auf Maxims Risiko einer Epilepsie-Erkrankung durchatmen, setzte bei Nadeschda der Durchfall ein. Wieder Sorgen und Angst, dass sich etwas mit negativer Tragweite für ihre Entwicklung anbahnt, die ohnehin nicht leicht ist, wenn ich mir die täglichen Kämpfe beim Essen vor Augen halte. Doch diesmal gepaart, mit der Naivität und dem Glauben, dass alles gut wird und sich von selbst reguliert. Bisher hatten wir doch eigentlich Glück gehabt, was die gesundheitliche Situation unserer Kinder angeht. Seit einer Woche hatte sich diese Zuversicht verabschiedet und ließ mich allein mit dem dumpfen Gefühl, dass an ihrer Statt eine neue schmerzliche und schwer tragbare Herausforderung auf uns zukommen werde. Diesmal würde sich nicht alles einfach von alleine regulieren. Diesmal könnte es unseren kleinen beschaulichen Alltag, den wir gerade ein Stück weit gefunden hatten, erschüttern und erneut verändern. Jaja, das Leben und vor allem das Leben mit Kindern ist ein ständiger Prozess, genauso wie das Mutter sein. Man wächst mit seinen Herausforderungen. Doch das kann und will ich alles nicht mehr hören und muss mich dieser Gegebenheit doch fügen. Jetzt schwanke ich zwischen Pragmatismus – wir wissen nun, an was Nadeschda erkrankt ist – und großer Angst vor dem, was da auf uns zukommt – Operation und komplette Umstellung unserer Ernährung gepaart mit unendlicher Traurigkeit, wenn ich daran denke, was meine Tochter alles bereits durchmachen musste und was ihr nun noch alles bevorsteht. Ich fühle mich klein und hilflos, und bin dennoch gezwungen, zu funktionieren und die Herausforderung anzunehmen und meinem Kind zu helfen.

Heute waren wir wieder beim Kinderarzt. Richard ist diesmal auch mitgekommen. Die Blutergebnisse von Nadeschda liegen vor. Unumwunden kommt Dr. Müller schnell zur Sache: Nadeschda leidet an Zöliakie. Dabei handelt es sich um eine Autoimmun- Erkrankung im Darm, die allgemein auch als Glutenunverträglichkeit bekannt ist. Streng genommen heilbar ist diese Erkrankung nicht. Stattdessen können lediglich durch eine lebenslange glutenfreie Diät die Symptome dieser Darmerkrankung auskuriert werden. Bei einer genetischen Vorbelastung bricht diese Krankheit bereits bei Kleinkindern in dem Moment aus, wenn eine Umstellung der Ernährung auf feste und getreidehaltige Nahrung erfolgt. Ob es eine genetische Vorbelastung im Falle von Nadeschda gibt, können wir nicht mehr nachvollziehen. Aus den russischen Akten ergibt sich nichts, was darauf hingedeutet hätte. Da wir davon ausgehen, dass sie im Kinderheim noch keine feste Nahrung – außer wohlmöglich Polenta und Buchweizenbrei- zu sich nahm, blieb ihre Krankheit dort unbemerkt. Erst mit der Umstellung auf feste und getreidehaltige Nahrung bei uns in Deutschland, kommt die Krankheit zum Ausbruch. Jetzt wird mir klar, warum sie vor allem nach dem Essen von Nudeln so heftige Bauchschmerzen bekommen hat. Alle Symptome der letzten Wochen deuten darauf hin und letztlich sind alle Laborergebnisse eindeutig. Unser dumpfes Gefühl hat nun ein konkretes Gesicht bekommen.

Wir sind froh, dass Dr. Müller so schnell den richtigen Impuls und uns zu den aufwendigen Labortests gedrängt hatte. Somit können wir zumindest verhindern, dass die Krankheit bei Nadeschda so weit fortschreitet, dass sich Gedeihstörungen manifestieren und dass sie kaum noch eine Chance hat, ihre ohnehin schon vorhandene Entwicklungsverzögerung aufzuholen. So versucht uns Dr. Müller Mut zu machen. Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Um die Diagnose noch einmal zu bestätigen, muss sich Nadeschda zusätzlich einer Biopsie aus dem Darm unterziehen. Wüssten wir, ob es eine genetische Vorbelastung gibt, könnten wir ihr diesen operativen Eingriff ersparen. Wir drängen einerseits auf einen schnellen Termin, da Nadeschda bis zur Biopsie weiter Glutenhaltige Nahrung zu sich nehmen muss, auch wenn es ihr Schmerzen bereitet. Auf der anderen Seite mischt sich in unser pragmatisches Handeln große Angst vor der Operation, so klein dieser Eingriff auch ist. Denn gerade weil wir nichts aus ihrer genetischen Vorgeschichte wissen, ist das Narkoserisiko um so erheblicher. Die Panik, mein Kind zu verlieren, schnürt mir fast den Hals zu.

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13. Oktober – Besuch vom Jugendamt

Gestern kam unsere Betreuerin vom Jugendamt zum ersten Mal seit der Ankunft der Kinder zu Besuch. Mit Frau Schiffer hatten wir zu Beginn unserer Adoptionsvorhabens unser erstes Gespräch. Da wir uns aber schnell für eine Adoption aus dem Ausland entschieden hatten und auch den Sozialbericht über die Vermittlungsagentur erstellen lassen konnten, war sie bei der weiteren Überprüfung zunächst außen vor. Dennoch hielten wir sie weiter über unseren Prozess auf dem laufenden, da uns schon vor der Adoption bewusst war, dass wir uns einer Nachsorge durch das Jugendamt unterziehen müssten und auch wollten. Alternativ hätten wir uns zumindest, was die erforderlichen Entwicklungsberichte für die russischen Behörden angeht, auch an die Vermittlungsagentur wenden können. Doch uns war und ist es wichtig, die Nachsorge ernsthaft zu betreiben. Und sollte ich einmal weitere Hilfe benötigen, nutzt mir eine Vermittlungsagentur in einer anderen Region Deutschlands wenig. Ich brauche jemanden hier vor Ort.

Zudem entspricht Frau Schiffer – zum Glück – nicht dem typischen Bild einer von den täglichen Tragödien, die die Arbeit in einem Jugendamt zwangsläufig mit sich bringen, gezeichneten Behördenangestellten. Im Gegenteil: In unserem Esszimmer sitzt heute nachmittag eine weise, abgeklärte und viel erfahrene Frau, die ihren Beruf liebt und mit unerschöpflichen Enthusiasmus ihre Arbeit macht. Besonnen und verständnisvoll beobachtet sie uns, hört uns zu und gibt uns wohl überlegte Ratschläge. Es tut gut, ihren erfahrenen und wohlwollenden Blick von außen zubekommen, mit jemandem zu reden, dem man nicht alles erklären muss, der einen auch ohne viele Worte versteht.

Bindungsverhalten der Kinder

Auch Frau Schiffer ist mit dem Bindungsverhalten von Maxim und Nadeschda für die kurze Zeit, die die beiden bei uns sind, sehr zufrieden. Sie zeigen keine Anzeichnen von Distanzlosigkeit, was eher typisch für junge Adoptivkinder ist. Nein, Maxim sitzt nicht bei ihr auf dem Schoß, sondern beobachtet sie eher kritisch, aber freundlich. Nadeschda ist mehr damit beschäftigt auf ihren Stuhl zu klettern und wieder runter, Frau Schiffer interessiert sie im Grunde nicht.

Maxims Wutanfälle

Wir erzählen ihr von Maxims Tobsuchtsanfällen und meiner Strategie, den Raum zu verlassen. Das hält sie für einen guten Weg. Sie weist aber darauf hin, dass wir mit Maxim an einer Verhaltensänderung arbeiten müssen. Denn perspektivisch sind Tobsuchtsanfälle – vor allem in einem Umfeld außerhalb der Familie – kein probates Mittel, um seinen Willen zu versuchen durchzusetzen. Dabei kann helfen zu verstehen, was sich hinter diesen Wutausbrüchen verbirgt und dies dann mit ihm zu thematisieren. Mit Blick auf sein Nicht-Sprechen rät auch Frau Schiffer uns, weiter abzuwarten. Sie schlägt vor, gegebenenfalls schon einmal Kontakt zur Frühförderstelle aufzunehmen und dort abzuklären, ob für Maxim eine logopädische oder kinderpsychologische Therapie sinnvoll wäre. Allerdings gibt sie hier zu bedenken, dass Maxim grundsätzlich für eine Therapie noch zu jung ist. Und solange er auch zu uns als seine Eltern noch kein sicheres Vertrauen aufgebaut hat, wird er auch zu keiner weiteren Bezugsperson eine Beziehung eingehen, die eine verlässliche Basis für eine wirkungsvolle Therapie ist. Unseren geplanten Kindergarteneintritt für Maxim befürwortet sie. Die anderen Kinder könnten sogar ihm einen Impuls geben, doch zu sprechen. Sollte Maxim sich im Kindergarten nicht wohlfühlen, könnten wir seine Betreuungszeiten dort immer noch verkürzen.

Nadeschdas Entwicklung

Auch für Nadeschda hält sie einen Besuch bei der Frühförderstelle durchaus für sinnvoll. Auch wenn wir mit ihr in guter Betreuung durch den Kinderarzt sind, um ihre motorischen Entwicklungsverzögerungen aufzuholen, so empfiehlt uns Frau Schiffer, besser noch einmal eine zweite Meinung einzuholen. Vor allem bei Nadeschdas katastrophalem Essverhalten sollten wir nicht nur die medizinischen Aspekte berücksichtigen, sondern genauso emotionale und psychologische Ursachen mit in Betracht ziehen lassen. Alles in allem ist sie aber mit den Kindern und unserem Umgang mit ihnen sehr zufrieden.

Emotionale Entlastung

Glaubwürdig versucht sie uns zu entlasten, uns Mut zuzusprechen und uns in unserem Verhalten zu bestärken. Wir sind erleichtert. Und genauso ist der Moment, in dem wir alle am Fenster stehen und Frau Schiffer wegfahren sehen, einer, in dem sich wiederum unendliche Dankbarkeit bei mir breitmacht. Dankbarkeit für meine Kinder, für die ich vor der Adoption schon so viel lernen durfte und die mich mit jedem neuen Tag noch so viel mehr lernen lassen.

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7. Oktober – Maxim „rebelliert“

Mit der wachsenden Besorgnis um Nadeschdas Gesundheitszustand nehmen auch Maxims Tobsuchtsanfälle zu. Er will nicht aufs Klo gehen, alleine schon einmal gar nicht und auch in Begleitung nur unter Zwang. Was natürlich nicht funktioniert, denn wie soll er seine Blase entleeren, wenn er sich bocksteif macht und damit schon wieder halb von der Toilette fällt? Dafür geht inzwischen regelmässig das Pipi in die Hose und auch das große Geschäft landet meist mittags oder dann über Nacht in der Windel. Das führt immer wieder zu großen Sauereien, die mich an den Rand meiner Nerven bringen und unserer Waschmaschine den endgültigen Exodus bescheren. Nach zehn Wochen mit täglich mindestens zwei Wäschen hat sie zu Beginn der Woche kapituliert. Zum Glück können wir kurzfristig auf Omas Waschmaschine nebenan ausweichen und die neue Maschine wird morgen geliefert.

Neben dem Toilettenthema lässt Maxim sich nicht die Zähne putzen, er lässt sich nicht waschen und nicht anziehen. Jegliche Routine oder Disziplin münden in einen Tobsuchtsanfall mit häufig lang anhaltenden Weinanfällen. In den Arm lässt er sich nicht nehmen, dann schlägt er auf mich ein und schreit. Den Raum zu verlassen hilft auch nicht mehr, dann schreit er nur noch lauter. Manchmal dauert es bis zu einer Stunde, bis er sich wieder beruhigt. Zum ersten Mal empfinde ich das tägliche Zusammensein mit den Kindern als richtig anstrengend. Und ehrlich gesagt fühle ich mich oft überfordert. Immer mehr habe ich das Gefühl, dass ich vor allem auf Maxims Tobsuchtsanfälle nicht richtig reagiere. Viel zu oft steige ich selbst voll auf sein Drama mit ein. Seitdem ich in meiner ersten Verzweiflung „Survival Tipps für Adoptiveltern“ gelesen habe, weiß ich zumindest, dass ich seinen Tanz nicht mittanzen sollte. Was auch immer sein „Tanz“ in diesem Moment ist? Das kann ich immer noch nicht erkennen. Aber ich sehe seine Einladung deutlich vor mir. Auch wenn ich mich innerlich dagegen auflehne, so steige ich doch immer wieder auf Maxims Aufforderung zum Tanz mit ein. Dann tanzen wir minutenlang, bis ich abrupt abbremse, aussteige und ihn in seiner Wut, in seinem Zorn und in seiner Verzweiflung alleine zurücklassen muss. Auch wenn er dann noch lauter und hilfloser weint, ist das der einzige Weg, diesen Tanz zu beenden. Und mich vor mir selbst und meinem eigenen Kontrollverlust zu schützen.

Irgendwann beruhigt sich Maxim, doch mir geht es meist danach schlecht, schlechter als es mir ohnehin schon ging. Ich habe das Gefühl, den Bedürfnissen meiner beiden Kinder nicht gewachsen zu sein. Ich habe ständig Angst, etwas falsch zu machen. Ich glaube, ich bin eine schlechte Mutter. Ich fühle mich alleine und hilflos.

Etwas Ruhe, eine kleine Auszeit wäre jetzt hilfreich. Doch die bisher heiligen Mittagspausen mit einen friedlichen Mittagsschlaf beider Kinder werden weniger. Mit Absetzen des Epilepsie Medikaments scheint Maxim deutlich weniger Schlaf zu brauchen. Somit wird der mittägliche Gang ins Bett wieder zu einer Herausforderung. Auch heute ist wieder einmal nicht an eine ruhige Mittagspause zu denken. Nadeschda schläft. Aber Maxim beschäftigt sich mit irgendetwas im Kinderzimmer. Zum Glück nicht mehr so laut, aber auch nicht zu leise, dass man den Unsinn wahrlich flüstern hören kann, wie noch vor einer halben Stunde. Aber mal sehen, welche Überraschung er nachher für mich bereithält. Denn vorhin wurde es nach viel Rumoren plötzlich ganz still im Kinderzimmer. Misstrauisch habe ich dann doch einmal geschaut. Von angemalten Lampen und Wänden bis hin zu Windeln, die in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt worden waren, denkt Maxim sich in den letzten Tagen immer wieder neuen Unsinn aus, mit dem er seine Mittagspause verbringen kann. Alles ist möglich, außer natürlich zu schlafen. Dummerweise findet er heute das Reisewaschzeug der Kinder im Kleiderschrank und holt es sich auch mit Hilfe eines Stuhls. Dies packt er aus, probiert die Zahnpasta, und schamponiert dann sich – und Teile des Kinderzimmers – von Kopf bis Fuß ein. Er hält gerade die Körperlotion in der Hand, als ich die Zimmertüre öffne. Grinsend schaut er hoch und zeigt mir sein Werk. Ohne ein Wort zu sagen, nehme ich ihn einfach und stelle ihn so wie er ist unter die Dusche. Er ist so überrascht, dass er keinen Widerstand leistet. Nachdem ich ihn geduscht und abgetrocknet habe, lässt er sich sogar von mir ins Bett legen und beginnt, sich ein paar Bilderbücher anzusehen. Ich gehe wieder nach unten, wohlwissend, dass noch eine Menge Duschgel und Seife auf mich oben warten. Doch der Rest des Chaos beseitige ich heute nachmittag. Auch wenn Maxim nun das Kinderzimmer weiter auseinandernimmt; jetzt habe ich Pause!