
Danke an Pixabay
Neulich sprach ich mit einer Bekannten und erzählte ihr, dass Maxim nun über seine Herkunft spricht. Die Bekannte fragte mich: „Und geht Ihr jetzt offen mit dem Thema um?“ Sie spielte dabei vor allem auf die Eltern in Maxim’s Klasse an und hinter ihrer Frage verbarg sich eigentlich die Frage, ob ich mich nun vor die Elternschaft stellen und sie proaktiv über Maxim’s Herkunft aufkläre würde. Spontan antwortete ich mit Nein. Denn ich muss nicht in einem Umfeld, in dem vielleicht jetzt hinter vorgehaltener Hand über die Adoption unserer Kinder gemutmaßt wird, mich belehrend und aufklärerisch auf die Bühne stellen. Denn trotz allem bleibt unser Weg, eine Familie geworden zu sein, unsere Privatangelegenheit. Bei Lichte betrachtet gehe ich ja auch nicht durch die Gegend und frage Mütter, sofern ich es denn gehört hätte: „Und wie war das bei Euch mit der künstlichen Befruchtung?“
Dennoch bleibt es eine Gratwanderung. Und ich gebe zu, dass in meiner Brust manchmal zwei Herzen schlagen. Denn auf der einen Seite ist da mein Bedürfnis durchaus über die Adoption und das Leben mit Adoptivkindern aufzuklären. Vor allem mit Vorurteilen aufzuräumen. Aber auch anderen Adoptivfamilien zu helfen und vielleicht mit ihnen in einen Austausch zu kommen. Denn im Privaten ist das Leben mit zwei Adoptivkindern anders. – Erst neulich wurde mir nach einem Besuch bei Freunden, die ebenso zwei Kinder aus Russland adoptiert haben, klar, wie angenehm es ist, sich unter „Gleichgesinnten“ auszutauschen. Da braucht es einfach nicht immer viele Worte und diese werden auch nicht auf die Goldwaage gelegt. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Und vor allem wird auch nicht gewertet. – Ich für mich weiß, dass ich inzwischen recht gut vernetzt bin und insofern die Chance auf einen regelmäßigen Austausch habe. Daneben lese ich viel Fachliteratur. (Das könnte einmal wieder etwas mehr sein, aber dennoch ich lese immer noch mehr als viele andere Adoptiveltern.) Dennoch denke ich, dass es immer noch viel zu wenig Möglichkeiten für Adoptivfamilien gibt, sich kontinuierlich zu informieren, auszutauschen und zu beraten. Das war für mich letztendlich auch die Motivation zu meinem Buch und der Grund für die Initiierung meines Blogs. Dass vor allem der Blog viele Leser mit einem Adoptionshintergrund hat, zeigt mir, dass ich hier eine Informationslücke fülle. Ich würde mir wünschen, dass das Thema Adoption sich mehr und auch objektiv mehr in den Medien findet. Doch ich weiß auch inzwischen, warum das so selten passiert. Denn Adoptionsgeschichten müssen, damit sie sich für die Allgemeinheit „verkaufen“, persönlich sein, und auch – letztendlich wegen der Glaubwürdigkeit – persönlich bebildert sein. Man will das Kind sehen mit seinen Adoptiveltern, sonst wirkt die Geschichte nicht überzeugend. Das ist leider so. Die Konsequenz ist, dass wenig über Adoptivfamilien geschrieben und berichtet wird, und wenn dann immer doch sehr problembezogen. Denn auch hier, nur die „Sensation“ verkauft sich medial. Die „normale“ unaufgeregte Adoptivfamilie, die aber trotzdem sich ihren Weg durch ihren Alltag kämpft, ist eben nicht so spannend.
Auf der anderen Seite betreibe ich Buch und Blog bewusst anonym unter einem Pseudonym. Reale Bilder aus unserem Leben gibt es dort nicht. Genauso gibt es auch in unserem realen Familienleben keine Bilder von unseren Kindern im Netz. Dies tue ich zum Schutz meiner Kinder und unserer Privatsphäre als Familie. Vor allem will ich meinen Kindern ihre Entscheidungsautonomie lassen, selbst zu entscheiden, wem sie wann in welchem Umfang von ihrer Adoption erzählen. Denn, und das scheinen viele immer wieder zu vergessen: Es ist die Lebensgeschichte meiner Kinder. Nicht meine oder Richards. Oder dies nur zu einem Teil. Nüchtern betrachtet war es für Richard und mich ein Prozess von etwa einem Jahr, doch eine Familie werden zu können, mit vier aufregenden Reisen nach Russland. Das Schicksal meiner Kinder, ihre Lebensgeschichte bis zur Adoption, die irgendwie ja auch diesen Schritt und Akt der Adoption notwendig gemacht hat, die Adoption an sich und all das, was damit verbunden ist, ist ihre ganz persönliche Geschichte. „Es ist ihre Herkunft, es sind ihre ersten Lebensjahre, die sie nicht mit uns Adoptiveltern verbracht haben, es sind ihre Erfahrungen und Ereignisse, die sie mit geprägt haben.“ wie ich schon einmal hier geschrieben habe. Maxim und Nadeschda wird ihre Adoption ein Leben lang prägen. Sie werden sich irgendwann mit ihrer Herkunft auseinandersetzen müssen, sie werden ihre russische Mutter suchen wollen, sie werden vielleicht lange nach einer Antwort auf die Frage suchen: „Warum hat sie uns abgegeben?“ Aber egal wie, es ist ihre ganz persönliche Angelegenheit. Und sie entscheiden, wie sie damit umgehen und wen sie dabei involvieren. Nicht wir als ihre Eltern.
Ja, natürlich prägt die Adoption unseren Alltag als Familie mit und hat meine Rolle als Mutter mich anders ausgestalten lassen über all die Jahre. Mich anders werden lassen. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass die Bedeutung der Adoption bei mir als Mutter immer mehr abnimmt, je länger Maxim und Nadeschda bei uns und mit uns leben. – Dass sie an vielen Stellen mehr und andere Bedürfnisse haben, mag mit der Adoption zusammenhängen. Doch letztendlich könnte dies genauso, dann eben vielleicht in anderer Ausprägung, bei einem leiblichen Kind sein. – Und auf der anderen Seite nimmt, je länger Maxim und Nadeschda bei uns leben, die Bedeutung der Adoption gerade für sie stetig zu. Und gerade deshalb gehen wir, je älter unsere Kinder werden, umso sensibler mit diesem Thema um. Aber eben auch mit einer größeren Distanz. Denn wie schon oben gesagt, wem würde man so unvermittelt seine Familiengründungsgeschichte auftischen, wenn es keine Adoption ist?
Da wir uns nun eben auch an dem Punkt befinden, dass Maxim und Nadeschda auf der einen Seite beginnen, selbst über ihre Herkunft zu sprechen, aber auf der anderen Seite noch zu klein sind, um bewusst und reflektiert alle Konsequenzen der Offenheit abzuschätzen, müssen wir um so achtsamer mit diesem Thema umgehen. Wenn sie älter sind und ihren Umgang damit gefunden haben, dann wären wir vielleicht in der Situation, dass wir als Familie durchaus auch in eine breitere Öffentlichkeit gehen könnten. So wie die Töchter von Marion Gaedecke, die bei dem Film ihrer Mutter „Wunschkinder“ aktiv mitgewirkt haben. Da waren sie aber schon mindestens 14 Jahre alt. Bis dahin bleibt unser Adoption nur eins: unsere Privatsache!
Liebe Charlotte,
für meinen Mann und mich steht der Wunsch, unsere Kinder zu beschützen, ebenfalls an oberster Stelle. Wenn mich jemand konkret mit der Frage konfrontieren würde, ob wir adoptiert haben, dann würde ich mit „ja“ antworten, denn Lügen wäre der falsche Weg und würde ein völlig falsches Signal senden. Ich würde mir wünschen, dass aktiv Fragen der anderen Eltern zum allgemeinen Thema Adoption kommen würden, denn auch ich habe das Gefühl, dass ein – zu unrecht – negatives Bild in der Bevölkerung zum Thema Adoption besteht. So könnte ich vielleicht einige falsche Eindrücke richtigstellen. Doch diese Fragen kommen bisher noch nicht, vielleicht, weil die Angst besteht, dass Adoptiveltern eine abweisende Antwort geben könnten. Dabei hätten gerade Personen, die den Mut aufbringen, mich direkt anzusprechen und nicht über mich und meine Familie reden, meinen vollen Respekt. Konkrete Fragen zu der persönlichen Geschichte unserer Kinder würde ich jedoch bewusst nicht beantworten. Und das kann man meist den anderen gegenüber so verpacken, dass er es nicht einmal merken würde, dass man keine konkreten Informationen gegeben hat. Denn erst einmal müssen unsere Kinder ihre persönliche Geschichte in all ihren Details und Facetten kennen und verstehen. Und dann ist es alleine ihre Entscheidung, wie offen und wem gegenüber sie diese Informationen preisgeben. Auch hier sehen wir einen großen Ansatzpunkt, in dem wir unsere Kinder schützen können: Wir möchten sie dafür sensibilisieren, dass sie sich genau überlegen sollen, wie freigiebig sie mit ihrem Wissen umgehen. Dabei geht es nicht darum, den Gedanken zu schüren, dass sie sich für ihre Geschichte schämen sollen oder „nicht wie leibliche Kinder“ sind. Es geht uns darum, dass sie nicht im naiven Glauben, dass der andere schon respektvoll mit ihren persönlichen Informationen umgeht, erneut verletzt werden. Gleichzeitig hoffen wir durch dieses „Bewusstmachen“ auch, dass sie generell in ihrem späten Leben – und das trifft in Zeiten von facebook, Instagramm etc. auf alle Heranwachsenden zu – vorsichtig damit sein werden, wie sie generell mit persönlichen Informationen umgehen werden. Eine spannende aber gleichzeitig auch fordernde Aufgabe.
LikeLike
Oh wie Recht Du hast! Und danke für Deine ausführlichen Zeilen. Vor allem einen wichtigen Punkt hast Du gebracht, den ich noch gar nicht so gesehen habe, aber der so notwenig und wichtig ist: Denn es gilt ja eben auch unsere Kinder dafür zu sensibilisieren, wem sie wo und auf welchem Weg von ihrer Herkunft erzählen. Und dies eben genau in den Zeiten von Facebook und Co. Danke Dir dafür. 😉 – Und ja ich würde natürlich genauso auf die konkrete Frage nach der Adoption unserer Kinder immer mit Ja! antworten. Aber die kommt eben nicht. Und auf der anderen Seite werde ich aber auch nicht produktiv mich auf eine Elternabend stellen und sagen: „So, Maxim hat ja nun mit dem ein oder anderen Eurer Kinder gesprochen. Und nur damit das klar ist, ja, er ist adoptiert. Und ja, er ist in Russland geboren.“ Genau das habe ich nicht vor….Und ja wie Du sagst, wenn es um Details geht, da kann und darf man dann wirklich drum rum reden. Nicht gegenüber unseren Kindern, aber gegenüber jedem anderen.
LikeLike
Pingback: #bestofElternblogs im November | Charlotte's Adoptionsblog ©