Die Sonne scheint, am blauen Himmel zeigen sich nur vereinzelte kleine Wolken, eine warme Brise weht. Im Hintergrund höre ich die Meeresbrandung. Es ist Nachmittag und die Flut kommt allmählich zurück. Ich sitze in unserem Strandkorb und schreibe diese Zeilen. Maxim und Nadeschda jagen mit Richard den Wellen am Meer nach. Für ein paar Tage besuchen wir Freunde in ihrem Sommerurlaub an der Nordsee.
Die Tage verbringen wir meist mit morgendlichen Einkaufsgängen in den Ort, langen Spaziergängen durch die Dünen und Fahrradausflügen rund um die Insel. Maxim spielt viel mit den anderen Kindern in den Dünen oder im Garten. Es werden Höhlen gebaut und dort Familie gespielt. Oder die Höhle mutiert zu einem Piratenschiff, das fremde Inseln erobert. Ich beobachte meinen Sohn und bin fasziniert, wie schnell er sich in den Reigen der älteren Kinder eingereiht hat. Das Wetter hatte bisher noch nicht zu einem langen Verweilen am Strand eingeladen. Erst seit gestern können wir die Nachmittage bei Sonne am Strand genießen. Zumindest so lange, bis der Wind uns zu sehr die Sandkörner in die Augen treibt und wir uns doch lieber an windgeschütztere Orte hinter den Dünen zurückziehen. Die Kinder buddeln mit großem Engagement im Sand, sammeln Muscheln an der Meeresbrandung und jagen den Wellen hinterher. Nadeschda quiekt vor Begeisterung, Maxim lacht in einem fort. Es ist großartig, meine Kinder so erleben zu dürfen. Wie glücklich sie sind!
Ich war gespannt auf diesen Urlaub gewesen. Denn ich hatte mit Strand und Meer einen alten Kindheitstraum verbunden. Einen unerfüllten. Meine dumpfen Erinnerungen an meine Ferien als Kind an der Nordsee waren keine guten. Meine Eltern hatten die meist verregneten Wochen an der See bald gegen Strandferien im heißen Süden eingetauscht. Diese hinterließen bei mir einen so nachhaltig langweiligen und manchmal quälenden Eindruck, dass für mich ein solches Urlaubskonzept bis heute in keiner Weise in Frage kommt. Mit der Nordsee verband ich aber eine stille Sehnsucht von heiler Familie, genährt von Sonne, Wind, Sandburgen, Muscheln sammeln, Drachensteigen, Pommes Frites und Fisch- oder Krabbenbrötchen im Strandkorb. Die Tage auf Juist erfüllen diese Sehnsucht und legen einen verklärten Schleier über unsere Zeit als Familie auf der Insel.
Denn tief in mir bin ich angespannt, ich kann zu wenig loslassen und die Zeit einfach laufen lassen. Wieder einmal bin ich gefangen in meiner Rolle des Cheforganisators und der Spielverderberin, was mir wenig gefällt. Richard widmet sich mit weit über hundert Prozent seinen Kindern, ist für Spaß und Blödsinn zuständig. Mit der Tatsache, dass ihn Maxim und Nadeschda damit voll für sich einnehmen und ihn nicht loslassen, ist er jedoch überfordert und reagiert er angespannt. Ich kann mich nicht von meinen eigenen Gefühlen frei machen, bei meinen Kindern nur zweite Wahl zu sein und im Zusammenspiel mit Richard das fünfte Rad am Wagen. Auch ich reagiere empfindlich und muss hart an mir arbeiten, nicht jede Bemerkung persönlich zu nehmen. Nach all dem, was wir in den vergangenen zwölf Monaten erlebt haben, befinden wir uns wieder in einer neuen Situation. Hier müssen wir uns erst einmal zusammenfinden, jeder seinen Platz einnehmen, der ihm gut tut. Es dauerte eine Weile, bis uns das gelingt. Mir wird klar, dass die Bilderbuchfamilie am Strand sich erst noch entwickeln muss. Das kann ich nicht innerhalb von fünf Tagen erzwingen. Das braucht Zeit. Zeit, die wir noch so reichlich haben, denn vor uns vieren liegt noch ein ganzes Leben als Familie.
Bilderbuchfamilie im Urlaub schaffen wir auch als über Jahre gewachsene Familie nicht, bzw. nur in einzelnen Momenten. Wenn man es gewohnt ist, den Alltag zu organisieren, auf alles (naja, fast alles) zu achten, fällt das Loslassen im Urlaub manchmal echt schwer. Und manchmal hatte wir im Urlaub schlimmere Familienmomente als zuhause…😉
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Die schlimmeren Familienmomente im Urlaub als zuhause, sind uns Gott sei dank auch in den Jahren danach bisher erspart geblieben. Dennoch, Du hast Recht: Das Loslassen fällt schwer und es fällt vor allem schwer, wenn Loslassen unterschiedlich definiert wird und unsere Kinder dennoch – auch im Urlaub -irgendwie Struktur brauchen. Bis heute. Damals in unserem ersten Urlaub war eben auch noch eine gewissen Erwartungshaltung da. Die habe ich zum Glück heute nicht mehr. 😉
Dennoch, es tut gut zu hören, dass das in „normalen“ Familien auch so ist. 😉
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Ich bin auch ein Nordsee-Mensch. Warst du schon mal in Blavand in Dänemark?
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Nein, waren wir noch nicht. Aber vielleicht ist Dänemark auch mal eine Überlegung wert. 😉 Bisher sind wir in den Folgejahren an die Ostsee gefahren, da dort Familie lebte. Mal sehen, wo es uns im nächsten Jahr hinverschlägt…
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Fanö in Dänemark ist auch wunderschön. Da ist Mitte Juni immer das Internationale Kite Fliers Meeting – das ist wunderschön dort. Der ganze Strand der kleinen Insel ist voll mit kunterbunten Drachen ❤ als Kind war ich dort oft im Urlaub, und ich vermisse die kleine Insel sehr – das waren immer richtig tolle Urlaube
Liebe Grüße,
Steffy
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