Die andere Seite der Herkunft – Über meine drei Mütter

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In Summe habe ich drei Mütter: Eine biologische Mutter, eine Stiefmutter und eine amerikanische „Ersatzmutter“. Alle drei haben in mir Spuren hinterlassen. Wie sehr sie mich geprägt und beeinflusst haben, das habe ich erst vollständig realisiert, seitdem ich selbst Mutter bin. Dass ich mit Leib und Seele Mutter bin, und dabei es manchmal auch übertreibe und „Helikoptermutter aus Überzeugung“ bin, mag nicht nur mit der Lebensgeschichte meiner Kinder und den Bedürfnissen, die sich daraus ergeben, zu tun haben, sondern auch in den Vorbildern, die ich in meiner Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenalter erleben durfte, begründet sein.

Katja von homeiswheretheboysare hat im vergangenen Jahr einen bewegenden Post zu „Regretting Motherhood“  geschrieben. Immer wieder waberte ein darauf bezogener Post durch meinen Kopf. Dann verwarf ich ihn wieder. Doch nachdem Sylvi von momsfavoritesandmore sich dem Thema in einer wunderbaren Weise angenommen hat (und dabei tatsächlich eine Frau, die ihre Mutterschaft bereut, für ein Interview gefunden hat), nehme ich diesen Ball noch einmal auf. Diesmal als Betroffene, als Kind, das von zwei Frauen ins Leben begleitet wurde, die meiner Meinung nach ihre Mutterschaften immer bereut haben, und das dann in der späten Jugend das Glück hatte, noch einmal eine Mutter zu erleben, die ihre Mutterrolle angenommen hat.

Meine Mutter ist ein schwieriger Charakter. Neben vielen Persönlichkeitsbezogenen Schwierigkeiten, bin ich davon überzeugt, dass auch sie zu den Müttern gehört, die ihre Mutterschaft bereuen. Nicht umsonst sprach mir Katjas Beitrag zu „Regretting Motherhood“, vor allem ihre Aspekte zur Traumarisierung der Kinder, so aus der Seele. Nicht nur wegen meiner eigenen Kinder. – Meine Kinder wurden von einer Frau geboren, die zumindest nicht Mutter sein konnte. Sonst hätte sie Maxim und Nadeschda nicht abgegeben. Meine Kinder haben diese Erfahrung gemacht, abgegeben zu werden, aus welchen Gründen auch immer. Noch immer fällt es mir schwer, der Geschichte zu glauben, dass sie ihre Kinder aus Liebe abgegeben hat. Ja, vielleicht auch. Doch vielmehr war es eine Notwendigkeit aus den Umständen heraus. Dennoch bleibt bei den Kindern das Gefühl zurück, nicht gewollt zu sein, egal wie. Noch immer hallt des Nicht-gewollt sein. – Nein, auch ich bin sicherlich nicht aus tiefstem Herzen gewollt gewesen. Ihr ganzes Leben lang hat meine Mutter meinen Vater und meinen Bruder und mich für ihr Unglück und ihr „verfuschtes“ Leben verantwortlich gemacht. Sie hat damals Kinder bekommen, weil man das eben so machte, weil es dazu gehörte, weil es von einer Frau erwartet wurde. Die Frage nach einem anderen Weg stellte sich gar nicht. Geschweige denn, dass meine Mutter den Mut dazu gehabt hätte. Verantwortung zu übernehmen gehört bis heute nicht zu ihren Stärken. Sicherlich bemühte sie sich mehr recht als schlecht, uns Kinder zu versorgen, aber maßgeblich war mein Elternhaus von emotionaler Kälte und Desinteresse dominiert. Wir Kinder hatten zu funktionieren, unsere Leistung zu bringen und uns einzufügen, in die Regeln und gesellschaftlichen Konventionen, die herrschten. Empathie, Wärme und Fürsorge aus einem mütterlichen Grundbedürfnis heraus gab es nicht. Auch heute sucht sie nur gelegentlich den Kontakt zu ihren Enkeln. Und auch das wiederum nur, weil man das so von ihr erwartet. Ein wirkliches Interesse und das Bemühen sich mit ihren Enkeln ernsthaft auseinanderzusetzen hat sie nicht. Es hat mich Jahre der Therapie gekostet, alte Glaubenssätze, die vor allem meine Mutter mir mit ins Lebensbuch geschrieben hat, abzulegen und mit neuen zu ersetzen. Und erst in der Konfrontation mit ihrem Verhalten gegenüber meinen eigenen Kindern habe ich gelernt, loszulassen. Lange habe ich noch geglaubt, es wäre auch wieder meine Verantwortung, dass meine Mutter ein gutes Verhältnis zu ihren Enkeln hat. Ist es aber nicht. Es ist allein ihre Verantwortung.

Wie wenig sie das Bild einer Mutter erfüllt, führte mir mein Sohn vor Augen. Da war Maxim fünf. Wieder einmal war meine Mutter zu Besuch bei uns gewesen, der mehr oder weniger angespannt verlief. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich mich auch mit ihr wieder gestritten habe und laut wurde. Abends blickte ich mit Maxim und Nadeschda auf den Tag zurück. Selbstkritisch muss ich so etwas gesagt haben wie: „Ja, es war nicht gut, dass ich die Omi angebrüllt habe, denn sie ist ja meine Mutter.“ Mein Sohn blickte mich irritiert an und antwortete: “Wie, die Omi ist Deine Mama?? Sie ist gar nicht so wie eine Mama.“

Die Geschichte zu meiner Stiefmutter ist schnell erzählt. Bösartig kann ich sagen, dass mein Vater in dem Moment sich von meiner Mutter trennte, als er jemanden neues, junges gefunden hatte, der ihm seine Hemden bügelte. Nach mehr als zwanzig Jahren Ehe verließ er seine erste Frau und begann eine neue Beziehung. Meine Stiefmutter griff zu dem Mittel, dass vielen Frauen seit Jahrhunderten benutzen, um einen Mann vermeintlich langfristig an sich zu binden: Sie wurde schnell schwanger. Das nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Ihre eigenen Kinder mussten genauso nur gesellschaftliche Konventionen erfüllen. Empathie und Fürsorge vermisste ich als beteiligter Betrachter. Mein Bruder und ich, als ihre Stiefkinder, waren nur lästiges Beiwerk. Oder gar Konkurrenz. Zum Glück war ich da schon so alt, dass ich nicht mehr Zuhause lebte. Doch Besuche bei meinem Vater waren eine Qual. Die Anwesenheit dieser Frau bereitete mir physische Schmerzen.

Ich hatte das große Glück, als Jugendliche in den USA für einige Zeit bei einer Familie zu leben, die mich annahm wie ihre eigene Tochter. Wäre ich damals nicht schon zu alt gewesen, hätten meine Gastmutter und mein Gastvater mich sicherlich adoptiert. Richard fasst es immer so schön zusammen: „Ich habe drei Schwiegermütter. Und die, die am weitesten weg lebt, ist mir eigentlich die liebste.“ In der Zeit bei ihnen begegnete mir auf einmal wirkliches Interesse an mir und meinem Leben, Empathie und Fürsorge. Die Sicherheit und Geborgenheit eines „Zuhauses“. Meine Gastmutter kümmerte sich mit mir um die Schule, sie fuhr mich zu Freunden, sie nähte mir ein Kleid für den Abschlussball, sie ergriff Partei für mich, als ich Schwierigkeiten mit der Austauschorganisation hatte, sie hatte immer ein offenes Ohr für meine Sorgen und genauso Freuden in meinem amerikanischen Alltag. Ich erinnere mich, wie ich einmal viel zu spät nachts nach Hause kam. Sie saß auf der Treppe und wartete auf mich. Natürlich war sie sauer. Aber nicht weil ich mich nicht an die Regeln gehalten hatte, sondern weil sie sich Sorgen gemacht hatte. Ich bekam eine Woche Stubenarrest. Doch als ich zu einem Date eingeladen wurde, lockerte sie den Stubenarrest für diesen einen Tag. – Seit meiner Zeit dort hielten wir den Kontakt aufrecht und immer wieder bin ich in regelmäßigen Abständen zu meiner amerikanischen Familie für mehrere Wochen oder Monate zurückgekehrt. Heute verbringen wir meist einen Familienurlaub im Jahr zusammen. Dort habe ich ein Stück „Zuhause“ gefunden. Weniger aus der Heimatverbundenheit zu diesem Ort, sondern vielmehr, weil ich dort gelernt habe, was es heißt: “Du wirst geliebt für das, was Du bist und nicht für das, was Du tust.“

Ich hoffe, dass ich meinen eigenen Kindern genau das mitgeben kann. Ich als ihre Mutter liebe sie für die Persönlichkeiten, für die Menschen, die sie sind – so wunderbar, tapfer, mutig und einzigartig. Eines werde ich in meinem Leben nicht bereuen: Die Mutter von Maxim und Nadeschda sein zu dürfen. Ich bin dankbar, dass das Schicksal mir diese zwei Kinder gebracht hat, ja geschenkt hat! Selbst wenn das Leben mit ihnen viele Herausforderungen bereit hält, die ich nicht erwartet hätte, und es durchaus auch Momente gab, in denen ich gedacht habe, dass es leichter wäre, so bin ich dankbar für all das, was mich meine Kinder gelehrt haben, und was sie mich sicherlich noch lehren werden. Letztlich haben sie mir auch geholfen, mein eigenes Trauma des Nicht-gewollt-seins, zu überwinden. Sie haben mir den Weg zu einem eigenen Muttersein gewiesen und die verletzende Vergangenheit da zu lassen, wo sie hingehört, in die Vergangenheit.

8 Gedanken zu “Die andere Seite der Herkunft – Über meine drei Mütter

  1. Liebe Charlotte,

    danke, dass du so offen von der anderen Seite erzählt hast, wie es sich anfühlt, Tochter einer Mutter zu sein, die nicht lieben konnte. Nicht jedes Kind, dem dies widerfahren ist, findet dafür Worte oder will es genau anschauen. Doch eine Verdrängung bringt nichts und oft meldet sich die Seele, wenn es endlich Zeit wird, sich damit auseinander zu setzen, wenn man selber Mutter geworden ist. Ich glaube dir, dass es die Unterstützung einer Therapie bedarf, um alte Muster zu aufzulösen und vor allem zu lernen, dass man liebenswert ist und das innere Kind nichts dafür konnte, dass die eigene Mutter zu wenig emotionale Zuwendung geben konnte. Liebe Charlotte, ich finde es wunderbar, dass du offen darüber sprichst und eine dich liebende und mit dir fühlende Ersatzmutter hast, die mit dir geht.

    Viele liebe Grüße
    Katja

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    • Liebe Katja,
      danke Dir für Deine mitfühlenden Worte. Es war jetzt an der Zeit, diesen Post einmal zu schreiben. Und danke Dir noch viel mehr für den Impuls dazu, nicht nur über Deinen Post, sondern auch die kurze Korrespondenz, die wir dazu einmal an anderer Stelle hatten!
      Dir und Deinen Lieben ein wunderbares Wochenende!
      Liebe Grüße Charlotte

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  3. Ich hatte – wie so oft – Gänsehaut beim Lesen! Deine Reflektion auf das Leben und das Leben deiner Kinder ist einfach unbeschreiblich. Mir fehlen die Worte, aber deine Worte regen mich immer wieder zum Nachdenken an. Danke dafür! Liebe Grüße

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